Die Würde des Tieres ist unantastbar. Kurt Remele

Die Würde des Tieres ist unantastbar - Kurt Remele


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von medizinischen Geräten oder Apparaturen in den Körper des Tieres verbundene Tierversuche verwendet. Bei Giftigkeitsprüfungen von Substanzen werden zum Beispiel Chemikalien mit einem Schlauch in den Magen der Affen gepumpt. Für Hirnexperimente werden Elektroden über ein Bohrloch im Schädel in die Affengehirne eingeführt. Durch Flüssigkeitsentzug gefügig gemacht, müssen die Tiere mit angeschraubtem Kopf jeden Tag stundenlang Aufgaben an einem Bildschirm erfüllen. Anfang 2015 war das Max-Planck-Institut in Tübingen in die Schlagzeilen geraten, nachdem Undercover-Fotos aus einem Labor blutverschmierte Tiere mit Implantaten im Kopf zeigten.25

      Fragen der Tierethik

      Blicken wir zunächst noch einmal auf den Dodo und auf das, was der Mensch ihm angetan hat. Die meisten heute lebenden Menschen sind zumindest intuitiv davon überzeugt, dass die Abschlachtung und Ausrottung dieses Vogels ein massives moralisches Übel darstellt. Für manche würde es zynisch klingen, wenn jemand die Frage stellte, warum dies eigentlich so sei. Ethisches Nachdenken jedoch bedingt, einer solchen Frage nicht auszuweichen. Darüber zu reflektieren, worin denn im Fall der Ausrottung des Dodo das konkrete moralische Unrecht besteht, kann die scheinbar selbstverständlichen Grundlagen und stillschweigend vorausgesetzten Annahmen aufdecken, die hinter tierethischen Überzeugungen stecken. Traditionell war die Tötung eines Tieres ausschließlich dann verboten, wenn es sich dabei um das Eigentum eines anderen handelte. Wer ein Tier, das einem Mitmenschen gehörte, mutwillig verletzte oder tötete, beging ein Eigentumsdelikt. Diese Begründung zählt beim Dodo nicht: Als die niederländischen Seeleute auf Mauritius landeten, gehörten die Dodos niemandem. Warum also sollte es dann ethisch falsch gewesen sein, sie zu töten? Auch diverse andere Fragen stellen sich: Beginnen die ethischen Probleme erst dann, wenn man erkannt hat, dass eine bestimmte Tierart komplett ausgerottet wurde? Oder vorzugsweise knapp davor, damit man noch etwas gegen das Aussterben tun kann? Bedarf nicht schon die Tötung jedes einzelnen Tieres einer hinreichenden Begründung, unabhängig davon, ob die Art, der es angehört, eines Tages ausstirbt oder nicht? Macht es einen Unterschied, ob ein Matrose einen Dodo aus Vergnügen und Übermut oder aus Ernährungszwecken tötet? Wäre die Tötung eines Dodo ethisch anders zu bewerten, wenn für die Matrosen die Möglichkeit bestanden hätte, sich auf Mauritius ohne das Essen von Tieren, also vegetarisch oder vegan, gut und gesund zu ernähren? Besteht diese Möglichkeit heute nicht für sehr viele Menschen, zumindest in den meisten wohlhabenden Ländern dieser Erde? Was folgt ethisch daraus?

      Man könnte auch die Frage stellen, ob die Ausrottung der Dodos vor allem deshalb schlimm war, weil sie – zumindest nach Meinung einiger Forscher – das Ökosystem der Insel aus dem Gleichgewicht brachte, zur drastischen Reduzierung der Calvaria- oder Tambalacoque-Bäume führte und damit auch den Menschen, die zu diesem Zeitpunkt schon auf Mauritius lebten, Schaden zufügte. Wäre die Ausrottung der Dodos weniger bedenklich gewesen, würde der behauptete Zusammenhang zwischen totem Vogel und totem Baum gar nicht existieren, das heißt wenn für andere Lebewesen keine negativen Folgen eingetreten wären?

      Tierethik zu betreiben beinhaltet, sich diesen und anderen Fragen zu stellen. An dieser Stelle können solche Fragen jedoch nur erwähnt werden, um die ethische Neugier zu wecken und zu ermutigen, sich eigene Gedanken zu machen. Ethisch verantwortliche und einsehbare Antworten werden sich nach und nach im Laufe der Lektüre dieses Buches erschließen. Das sind jedenfalls die Absicht dieses Buches und die Hoffnung, mit der es geschrieben wurde.

      Die Ausrottung des Dodo geschah aus menschlicher Unwissenheit und Fahrlässigkeit. Sie stellt aber auch eine Folge der bis in die Gegenwart verbreiteten Auffassung dar, der Mensch als Vernunftwesen sei die Krone der Schöpfung und alle Tiere stünden unter seiner Herrschaft.26 Der griechische Philosoph Aristoteles27 (384 – 322 v. Chr.) war davon überzeugt, dass die Pflanzen um der Tiere willen geschaffen wurden und die Tiere um der Menschen willen; die zahmen Tiere für die Arbeit und die menschliche Ernährung, die wilden Tiere zum größten Teil ebenso für die Ernährung oder auch für andere Dinge, die uns nützen, wie z. B. Kleidung. Aristoteles lehrte übrigens auch, dass Männer den Frauen übergeordnet seien, und manche Menschen aufgrund ihrer Körperkraft die Bestimmung hätten, Knechte oder Sklaven zu sein.

      Aristoteles’ Auffassung über das Verhältnis von Menschen und Tieren wurde von den großen christlichen Theologen weitertradiert und durch die Berufung auf die Bibel abgesichert, allen voran von Thomas von Aquin (1225 – 1274), dem Doctor angelicus, dem engelgleichen Lehrer, wie einer seiner Ehrentitel lautete. Zwischen Doktor Thomas und dem lieben Vieh bestand ein weiter Graben, denn nach Thomas von Aquin ist nur der Mensch als göttliches Ebenbild geschaffen und mit Verstand ausgestattet worden. Die vernunftlosen Tiere dagegen würden ausschließlich zum Wohle des Menschen existieren und seien zum Gebrauch durch ihn bestimmt. Der Mensch habe zwar das Eigentumsrecht an Tieren zu respektieren, an sich allerdings bestünden keine Verpflichtungen eines Menschen gegenüber Tieren, sondern das umfassende Recht, sie zu töten und nach Belieben zu verwenden: „Aus der Göttlichen Vorsehung nämlich werden sie [die Tiere] durch die natürliche Ordnung zum Gebrauch des Menschen geordnet, weswegen der Mensch sie ohne Unrecht gebraucht, sei es, indem er sie tötet, sei es auf irgendeine andere Weise.“28

      Die sich im 17. Jahrhundert anbahnende Aufklärung brachte keinen tierethischen Fortschritt, ganz im Gegenteil. Der einflussreiche französische Philosoph René Descartes29 (1596 – 1650) beschrieb die Tiere als Maschinen oder Automaten ohne Gefühle des Schmerzes und Wohlbefindens, als Geschöpfe ohne Vernunft und ohne Seele. Descartes und seine Anhänger hatten von Anfang an keine Probleme, brutale Tierversuche zu rechtfertigen. „Wissenschaftlich interessierte Cartesianer konnten … lebende Hunde an Bretter nageln, aufschneiden und davon überzeugt sein, dass sie ihnen keine Schmerzen zufügen und dass die Laute, die die Objekte ihrer Forschung von sich gaben, nichts anderes wären als das Quietschen einer Maschine. (Manchmal wäre es allerdings von Vorteil gewesen, die Stimmbänder der Hunde zu durchschneiden, um das lästige Winseln nicht mehr zu hören.)“30 Immanuel Kant31 (1724 – 1804), der große Aufklärungsphilosoph des 18. Jahrhunderts, sprach Tieren ebenfalls keinen Eigenwert und keine Würde zu. Wie für Thomas von Aquin war auch für Kant Tierquälerei ethisch nur deshalb problematisch, weil sich aus der Grausamkeit gegenüber Tieren eine allgemeine Neigung zur Grausamkeit entwickeln könnte, die auch vor Mitmenschen nicht haltmacht.

      Angemessene Begrifflichkeit

      In Jonathan Safran Foers Buch Tiere essen ist folgender Bericht eines Arbeiters in einem amerikanischen Schlachthof abgedruckt:

      „Im Tötungsbereich, wo immer viel Blut fließt, macht einen der Blutgeruch ganz aggressiv. Wirklich. Du kriegst die Einstellung, dass wenn ein Schwein nach dir tritt, du es ihm heimzahlst. Eigentlich tötest du es ja schon, aber das reicht noch nicht. Es muss leiden. … Du gehst hart ran, setzt ihm zu, schlägst ihm die Luftröhre kaputt, lässt es in seinem eigenen Blut ertrinken. Spaltest ihm die Nase. Da rennt also ein lebendes Schwein durch die Wanne. Es guckt zu mir hoch, und wenn ich gerade den Job als Stecher habe, dann nehme ich das Messer und – krrrk – schneide ihm ein Auge raus, während es einfach dahockt. Und dann schreit das Schwein wie am Spieß. Einmal habe ich mein Messer genommen – es ist ziemlich scharf – und einem Schwein ein Stück von der Nase abgeschnitten, als wär’s eine Scheibe Mortadella. … Dann … nehme ich eine Handvoll Salz und reibe es ihm in die Nase. Da ist das Schwein richtig ausgeflippt. … Ich war nicht der Einzige, der solche Sachen gemacht hat. Ein Schlachter, mit dem ich zusammenarbeite, treibt die Schweine manchmal noch lebend in das Brühbad.“32

      Mein hier vorliegendes Buch handelt von der kontrafaktisch unantastbaren Würde der Tiere. Faktisch ist sie, wie dieser Bericht drastisch zeigt, antastbar und verletzlich. Die beschriebene Schlachthofszene legitimiert und provoziert den Gebrauch des Begriffes der Tierwürde in einem expressiven Sinn und wegen seiner appellativen Wirkung. Es mag


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