Die Würde des Tieres ist unantastbar. Kurt Remele

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wird kaum zwischen „Tierschutz“ (Verbesserungen für Tiere im Rahmen des nicht grundsätzlich in Frage gestellten menschlichen Nutzungsanspruchs) und „Tierrechten“ (Rechte der Tiere, Pflichten der Menschen, sehr enges Verständnis des Begriffs „Vermeidung unnötigen Tierleids“) unterschieden, wobei ohnehin die Frage nach einer eindeutigen Abgrenzung nicht völlig geklärt ist. Im alltäglichen Sprachgebrauch wird zudem auch zwischen bio- oder ökozentrischen Umweltschützerinnen und pathozentrischen Tierschützern bzw. Tierrechtlern nicht streng differenziert: Beide fallen unter die breite Kategorie „Naturschützer“ / „Umweltschützer“. Einer weit verbreiteten Auffassung nach sind Schutz der Umwelt und Schutz der Tiere mehr oder weniger ein und dieselbe Sache. Tierethik wird häufig als Unterkapitel der Umweltethik betrachtet, gerade auch in der Moraltheologie bzw. der theologischen Ethik. Das ist nicht von vornherein völlig falsch, denn Tierschutz und Naturschutz, Tierethik und Umweltethik haben vieles gemeinsam: Sowohl die Umweltbewegung als auch die Tierrechtsbewegung wurden in den 1970er Jahren populär, beide widersetzen sich einem obsoleten, einseitigen Anthropozentrismus, der der nicht-menschlichen Natur jeden Eigenwert abspricht. Zudem sind viele Umweltschützer zugleich Tierschutzaktivisten und selbstverständlich decken sich Forderungen und Anliegen des Umwelt- und des Tierschutzes in vielen Punkten.

      Blickt man genauer hin, kann man allerdings erkennen, dass es bei allen Gemeinsamkeiten auch Differenzen zwischen Umwelt- und Tierrechtsethik gibt.80 Während die Tierrechtsethik den Kreis der berücksichtigungswürdigen moralischen Objekte („moral patients“) auf empfindungsfähige (nichtmenschliche) Lebewesen ausdehnt, geht es in der Öko-Bewegung um den Eigenwert aller Lebewesen, also auch von Bäumen und anderen Pflanzen (Biozentrismus) oder von zu Ökosystemen verbundenen Menschen, Tieren, Pflanzen, Steinen, Gewässern und Böden (Ökozentrismus).

      Das primäre Ziel einer ökozentrischen Ethik ist es, die Integrität, Stabilität und Schönheit von Ökosystemen zu erhalten, das primäre Anliegen einer sentientistischen Ethik dagegen ist das Wohlergehen jedes einzelnen empfindungsfähigen (menschlichen und nichtmenschlichen) Tieres. Lebewesen und Ökosysteme, denen kein Lust- und Schmerzempfinden zu eigen ist, verdienen dieser Ansicht zufolge ethisch nicht die gleiche Beachtung. „Es wäre unsinnig zu behaupten“, schreibt Peter Singer völlig zu Recht, „es sei nicht im Interesse eines Steines, von einem Schuljungen die Straße entlang gekickt zu werden. Ein Stein hat keine Interessen, weil er nicht leiden kann. Nichts, was wir ihm zufügen können, würde sein Wohlergehen auf irgendeine Weise beeinflussen. … Eine Maus [dagegen] hat ein Interesse daran, nicht … getreten zu werden, weil sie dabei leiden würde.“ 81

      Während Umweltschützer häufig keine Probleme damit haben, zu jagen, zu fischen und Tiere zu essen, solange diese Tätigkeiten ihrer Meinung nach das Ökosystem nicht gefährden oder womöglich sogar erhalten helfen, scheuen vor allem Tierrechtler davor zurück, das konkrete Leben einzelner Tiere mehr oder weniger bereitwillig für das im letzten doch recht vage und abstrakte Wohl eines Ganzen zu opfern.

      Die unterschiedlichen Prioritäten des sentientistischen und des ökozentrischen Ethikkonzeptes führen einerseits bisweilen zu moralischen Konflikten und Dilemmata. Anderseits ist auch klar, dass das Wohl des Ökosystems und das Wohl der einzelnen Lebewesen eng miteinander verbunden sind. Die Retinität (Vernetzung) allen Lebens und die Einbindung der Menschen und Tiere in das tragende Netzwerk der übrigen Natur sind unbestritten. Eben weil ein angemessener Lebensraum (Habitat) für das Überleben und Wohlergehen von Tieren so wichtig ist, bedarf es intakter Ökosysteme. Weil aber die Integrität des Ökosystems auf das Wohl aller und jedes einzelnen Lebewesens hin zu ordnen ist, dürfen Tiere nicht bloß instrumental als reine Mittel oder Hindernisse zur Systemerhaltung betrachtet werden, sondern sind in ihrem Eigenwert und ihrer Befindlichkeit zu respektieren. Dies ist sowohl die normative Richtlinie als auch die praktische Herausforderung.

      Die Fähigkeit einer Kreatur, Lust und Schmerz zu empfinden, ist zweifellos ein wesentliches Kriterium dafür, es in besonderer Weise moralisch zu berücksichtigen. Es wäre jedoch falsch, den Fehler früherer Generationen zu wiederholen und eine einzige Eigenschaft oder Fähigkeit wie zum Beispiel Vernunft, Sprache oder eben Empfindungsfähigkeit herauszugreifen und zur Grenzbarriere zu stilisieren, jenseits derer ethische Überlegungen unnötig sind. Nicht empfindungsfähige Kreaturen sowie Ökosysteme dürfen deshalb nicht aus dem Kreis der moralischen Objekte entlassen werden. Dies verbieten sowohl ihr Eigenwert und die Interdependenz alles Seienden als auch das Wissen um die Tatsache, „dass alle moralischen Kategorien und Unterschiede der Veränderung unterliegen, weil sich unser Bewusstsein weiterentwickelt und unsere wissenschaftlichen Erkenntnisse ständig wachsen.“82

      Das moralische Bewusstsein in der Gesellschaft in Bezug auf Tiere hat sich geschichtlich gewandelt und weiterentwickelt, auch das moralische Bewusstsein in den christlichen Kirchen. Thomas von Aquin lehrte, dass die Tiere allein zum Gebrauch durch die Menschen bestimmt seien. Noch die Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils, Gaudium et spes, erklärte, dass der Mensch die auf Erden „einzige von Gott um ihrer selbst willen gewollte Kreatur ist.“83 Und auch im Katechismus der Katholischen Kirche aus dem Jahre 1993 ist zu lesen: „Er [Gott] hat alle materiellen Geschöpfe [Engel dagegen sind nichtmaterielle Geschöpfe] zum Wohl des Menschengeschlechtes bestimmt:“ (Paragraf 353)

      Doch bereits der Sozialhirtenbrief der katholischen Bischöfe Österreich, der 1990, also drei Jahre vor dem Katechismus erschienen ist, stellte fest, „dass die Schöpfung und alles was lebt, einen gottgewollten Eigenwert besitzt und nicht allein zum Nutzen des Menschen da ist.“84 Im darauffolgenden Jahr betonten die katholischen Bischöfe der USA in ihrer pastoralen Erklärung Renewing the Earth. An Invitation to Reflection and Action on Environment in Light of Catholic Social Teaching: „Die übrigen Geschöpfe … sollten nicht bloß als Mittel für die Erfüllung menschlicher Bedürfnisse behandelt werden, sondern auch als Geschöpfe Gottes, die einen unabhängigen, eigenen Wert besitzen und die unseren Respekt und unsere Fürsorge verdienen.“85 In seiner Enzyklika Laudato Sí vom Mai 201586 und in seiner Ansprache vor der UNO im September 2015 bestätigte Papst Franziskus die neue kirchenamtliche Lehre auf höchster Ebene: „Jedes Geschöpf – besonders die Lebewesen – hat einen Eigenwert, einen Wert des Daseins, des Lebens.“87

      Die gegenwärtige kirchenamtliche Lehre verkündet den Eigenwert aller Lebewesen und der gesamten Schöpfung. Sie betont jedoch ebenso die gegenseitige Verflechtung und Interdependenz aller Kreaturen. In Laudato Sí betont Papst Franziskus, „dass sämtliche Geschöpfe des Universums, da sie von ein und demselben Vater erschaffen wurden, durch unsichtbare Bande verbunden sind und wir alle miteinander eine Art universale Familie bilden, eine sublime Gemeinschaft.“ Der Papst fährt fort: „Ich möchte daran erinnern, dass ,Gott uns so eng mit der Welt, die uns umgibt, verbunden [hat], dass die Desertifikation des Bodens so etwas wie eine Krankheit für jeden Einzelnen ist, und wir […] das Aussterben einer Art beklagen [können], als wäre es eine Verstümmelung‘.“88

      Gegen Anfang dieses ersten Kapitels wurde über die Ausrottung des Dodo berichtet und darüber, dass die christliche Lehre von der göttlichen Bestimmung der vernunftlosen Tiere zum Wohle des Menschen und zum Gebrauch durch ihn nicht unwesentlich dazu beigetragen hat. Am Ende des Kapitels erfahren wir, dass der amtierende Papst ein solches Aussterben einer Tierart in ökozentrisch anmutender Art und Weise als Verstümmelung der mit allen anderen Geschöpfen verbundenen Menschheit bezeichnet.

      Die eben dargelegten neueren päpstlichen und bischöflichen Lehraussagen über die Tiere betonen ganz offensichtlich den Eigenwert jedes Tieres und die ökologische Verbundenheit aller Wesen mit- und untereinander. Das ist ein nicht zu unterschätzender Wandel in der theologischen Schöpfungslehre, den es zu würdigen gilt. Die Frage, ob diese neuen theologischen Akzentsetzungen Verhaltensänderungen im täglichen Umgang mit Tieren zur Folge haben sollten und, falls ja, welche genau, wurde in den genannten kirchenamtlichen Dokumenten bestenfalls sehr allgemein beantwortet. Das konkrete Handeln der meisten Christen ist explizit oder


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