Werte wahren - Gesellschaft gestalten. Franz-Peter Tebartz-van Elst

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die den ganzen Einsatz wagt, entscheidet sich die Glaubwürdigkeit der Botschaft.

      Schaut man in die Geschichte der gelebten Caritas, sieht man glühende Ausdauer und gewachsene Orte am heiligen Feuer. Was hier unmittelbar gelebt und bezeugt wird, muss aber auch die institutionalisierten Einrichtungen der Caritas in der Kirche prägen. Dann vermitteln sie sich als Stätten dieser Leidenschaft in doppelter Hinsicht: Sie zeigen den ganzen Einsatz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und damit die Bereitschaft und den Mut, zugleich den Leidenden Würde und Worte, Hilfe und Heimat zu geben. Eine missionarische Kirche braucht solche exemplarischen Stätten am heiligen Feuer, damit suchende Menschen heute entdecken können, was die heilige Therese von Lisieux einmal so ins Wort bringt: „Ich sah, dass die Kirche ein Herz hat und dass dieses Herz von Liebe brennt.Ich sah ein,dass die eine Liebe die Glieder der Kirche zur Tätigkeit antreibt, und wenn die Liebe erlischt, keine Apostel mehr das Evangelium verkünden und keine Martyrer mehr ihr Blut vergießen werden. Ich schaute und erkannte, dass die Liebe alle Berufungen in sich schließt.“

      Die Befähigung zur Leidenschaft wird zum Motor einer Kultur der Barmherzigkeit, wo sie zusammengeht mit einem dritten Kriterium:

      Aus dem Nachlass der seligen Mutter Teresa haben persönliche Aufzeichnungen Aufsehen erregt. Die Leidenschaft dieser bescheidenen Frau für Gott als Quelle ihrer Anwaltschaft für die Ärmsten der Armen war auch ein Ringen, ein Mitleiden an der Verlassenheit und Einsamkeit Jesu in seiner Hingabe für die Menschen am Kreuz. Vieles im Leben und in der Berufung Mutter Teresas zeigt Ähnlichkeiten zum heiligen Vinzenz von Paul.

      Wie er ist sie zunächst darauf vorbereitet, mit erworbener Bildung anderen zum Aufstieg zu verhelfen. Als Lehrerin für Geografie ist sie an der Schule höherer Töchter eingesetzt. Wie Vinzenz von Paul glaubte sie, ihre wahre Berufung erst später gefunden zu haben, als sie sich der Kranken und Sterbenden in den Slums von Kalkutta annahm. Mit Gott teilt sie eine Leidenschaft für den Menschen, die sie selbst verwundet. Die nicht vernichteten Briefe, die jüngst aus ihrem Nachlass gefunden wurden, spiegeln die Erfahrung des Beters in Psalm 39: „Heiß wurde mir das Herz in der Brust, bei meinem Grübeln entbrannte ein Feuer,da musste ich reden“ (Ps 39,4).

      Bei ihrem unvergesslichen Besuch auf dem Katholikentag in Freiburg 1978 redete Mutter Teresa und warf eine Frage in die Menge, die für uns eine bleibende Gewissenserforschung ist: „Kennt Ihr sie, die Armen eurer Stadt?“ Vielen klangen damals solche Worte in einer Wohlstands- und Wachstumsgesellschaft fremd. Heute sprechen wir von der versteckten Armut in unserer Gesellschaft und die Begleiterscheinungen von Hartz IV sind nicht selten eine viel tiefere seelische Haltlosigkeit, die immer mehr Menschen an den Rand ihrer Möglichkeiten und Kräfte bringt. Da, wo der Traum vom schönen Leben mit seinen Idealen das wirkliche Leben nicht gelten lässt, gibt es die Versuchung, Alter und Krankheit zu tabuisieren oder zu evakuieren, wo sie ,unansehlich' scheinen. Weil auch hier gilt: ,Aus den Augen, aus dem Sinn', braucht es Orte und Initiativen, die den ganzen Menschen in den Blick nehmen und in die Mitte stellen. Die Einladung Jesu an den Mann mit der verdorrten Hand im Markusevangelium ist eine Anwaltschaft, die auf allen Seiten Bewusstseinsänderung bewirkt: „Steh auf und stell dich in die Mitte“ (Mk 3,3b). So möchte Gott den Menschen aufgestellt wissen. Dieser Blick ist die Perspektive der Barmherzigkeit.

      Die Armen zu kennen bedeutet, sich in ihr Leben einfühlen zu können. Unsere Gesellschaft hat hier Berührungsängste! Sie erscheint eher ,apathisch', und wenn die Armut und das Leid Beachtung finden, geschieht dies oft mehr durch einen medialen Voyeurismus. ,Sympathie'ist im wört lichen Sinn ein Mitfühlen und Mitleiden, das zur Anwaltschaft für alle bewegt, die in unserer Gesellschaft keine Lobby haben. Hier ist der Platz der Kirche.

      Eine Kultur der Barmherzigkeit ist in diesem Sinne unbedingte Anwaltschaft für das Leben, gerade, wo es bedroht, schwach und arm ist; wo es marginalisiert und manipuliert wird. Das Niveau einer rechtsstaatlich-demokratischen Gesellschaft vermittelt sich durch die in ihr praktizierte Anwaltschaft Für das ethische und soziale Gewissen.Wo immer Veränderungen in Wissenschaft und Wirtschaft neue Herausforderungen und Fragestellungen mit sich bringen, bleibt die Bewegung zur Anwaltschaft für das menschliche Leben die Priorität für Christen. Caritas in der Kirche ist die gelebte Initiative, in allem oft bedrohlichen Wandel das Bleibende zur Geltung zu bringen – ganz so, wie der heilige Vinzenz von Paul zu einer Kreativität in der Komplexität mancher Sachzwänge und zu einer Loyalität in Flexibilität ermutigt, wenn er sagt: „L'amour est inventif jusqu'a l'infini“ – „Liebe ist bis ins Unendliche erfinderisch.“

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