Werte wahren - Gesellschaft gestalten. Franz-Peter Tebartz-van Elst

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Homann, Philosoph aus München, hat diesen Gedanken mit seiner Theorie der anreizgestützten Institutionenethik untermauert. Hier liegt eine Aufgabe, die sich nicht nur auf die spektakulären politischen Themen bezieht, sondern beispielsweise auch Für den Bereich der Sozialpolitik gilt: Haben wir in diesem Regelungsfeld die richtigen Anreize gesetzt, damit das Prinzip der ,Hilfe zur Selbsthilfe' zum Tragen kommen kann? Damit der Betroffene in Freiheit Eigenverantwortung übernehmen kann? Oder bewirken unsere Gesetze und Verordnungen, dass die Betroffenen eher alimentiert werden?

      Auf der persönlichen Ebene kann sich niemand hinter ungenügenden staatlichen Regeln, die zu viele Spielräume lassen, verstecken und sagen: Ich nutze nur die Möglichkeiten für mich, die mir gegeben sind. Vielmehr darf keiner sich frei machen von Orientierungen, die dem Schutz der Menschen dienen.Unsere Kultur lebt eben auch von humanen Werten, die nicht durch Gesetze und Verordnungen gesichert werden können. Das ist kein Gegensatz zur Freiheit, die dem Menschen gegeben ist. Denn menschliche Freiheit zeigt sich auf vielfache Weise als begrenzte Freiheit.18 Deshalb sollten wir auch aufhören, zwischen den so genannten ,Gutmenschen' und anderen, am Eigeninteresse orientierten Menschen zu unterscheiden, weil wir sonst in der Gefahr stehen, die verbindende Klammer in der Gesellschaft zu verlieren.

      Das an humanen Werten orientierte Leben in der Gesellschaft ist Auftrag aller Gesellschaftsmitglieder. In diesem Zusammenhang darf nicht übersehen werden, was das im Blick auf den Staat bedeutet. Er könnte seine Aufgaben gar nicht genügend wahrnehmen, wenn er alle Spielräume im menschlichen Handeln immer mehr regeln muss, weil die Menschen diese Räume nur für sich selbst nutzen. Der Staat Würde an den Regelungsnotwendigkeiten ersticken.

      Nur eine humane Gesellschaft und Kultur ermöglicht einen freiheitlichen Staat, der den Menschen Freiheitsräume lässt. Dabei sind viele Wertüberzeugungen in den so genannten Grundwerten ausgedrückt, die in unserer Verfassung festgeschrieben sind. Schon die Präambel des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ zeigt, dass allen staatlichen Regeln eine grundlegende Orientierung am Wohl des Menschen vorausgeht. Hier wird deutlich, dass Werte und Wertüberzeugungen gelebt werden wollen,wenn sie zur Orientierung für die Menschen dienen sollen.

      Die deutschen Bischöfe haben vielfach auf diesen Zusammenhang hingewiesen und deutlich gemacht, dass gerade die Kirche in der Bezeugung des christlichen Glaubens hier einen unverzichtbaren Beitrag leistet. Zwar macht der notwendige Verweis auf die verfassungsmäßig gesicherten ,Grundwerte' das gelebte Ethos der Bürger nicht überflüssig. Es ist das Beispiel, das überzeugt und motiviert. Demgegenüber bleiben die ,Grundwerte' zunächst abstrakt. „überall jedoch, wo der Glaube an Gott und die Liebe zum Nächsten verkündigt werden, sittliche Weisung für den Alltag des Lebens geschieht und die Gemeinschaft der Kirche gelebt wird, werden – mindestens indirekt – auch Grundwerte gefördert und gepflegt.“ 19

      Schon dem Philosophen Immanuel Kant war als Kritiker der reinen Vernunft klar, dass der Rekurs auf die menschenwürde und das mit ihm verbundene strikte Verbot, Menschen zum Zweck für die Interessen anderer zu machen, nicht aus menschlicher Vernunft allein verstehbar zu machen ist. Die Grenze, die er der Vernunft des Menschen aufgezeigt hat, eröffnet eine neue Perspektive für das Verständnis des Gewissens. Sie ermöglicht zu sagen, dass der Sinn des Gewissensspruchs menschliche Sinnstiftung übersteigt und auf den transzendenten Gott verweist. Damit wird die ,Gewissensforderung' für die ,Glaubenserfahrung' des religiösen Menschen geöffnet. Darin liegt der entscheidende Grund, aus dem die ,Stimme des Gewissens' in einem recht verstandenen Sinn auch die ,Stimme Gottes' im Herzen eines Menschen genannt werden darf.20

      Der Beitrag der Kirche besteht darin, dass sie aus dem Glauben und der langen Glaubensgeschichte Orientierung geben will. Damit leistet sie in doppelter Richtung einen Beitrag zur Gewissensbildung. Es geht um den konkreten Dienst am Menschen und füreinander und es geht um politische Ordnungen, die das Wohl des Menschen ermöglichen, Stützen und fürdern sollen. In der Folge hat sich die Gewissensordnung dann aber auch selbst unter diese Orientierung zu stellen.

      In seiner viel beachteten Rede vor dem Deutschen Bundestag am 22. September 2011 und bereits in seiner ersten Enzyklika „Deus caritas est“ hebt Papst Benedikt XVI. ausdrücklich hervor: „Die gerechte Ordnung der Gesellschaft und des Staates ist zentraler Auftrag der Politik. Ein Staat, der nicht durch Gerechtigkeit definiert wäre, wäre nur eine große Räuberbande“21, wie der heilige Augustinus einmal sagte. Dabei will die Katholische Soziallehre ihren Beitrag für die Politik leisten, indem sie immer wieder auf politische Notwendigkeiten hinweist, um die ethische Orientierung an der Würde des Menschen ins Spiel zu bringen.

      Denn, so Papst Benedikt XVI. weiter, „die gerechte Gesellschaft kann nicht das Werk der Kirche sein, sondern muss von der Politik geschaffen werden. Aber das Mühen um die Gerechtigkeit durch eine Öffnung von Erkenntnis und Willen für die Erfordernisse des Guten geht sie zutiefst an.“ 22 Wie aber können wir heute noch das Gute erkennen und benennen?Abstrakt lautet die Antwort: All das, was dem Leben der Menschen dient, ist hier gemeint. Konkret stoßen wir auf Themenfelder wie Armut, Arbeitslosigkeit,Abtreibung, Bioethik23, Präimplantationsdiagnostik oder embryonale Stammzellforschung24, Umweltschutz und Bewahrung der Schöpfung, Bildung, Integration, Friedensbewahrung, Kindeswohl und Familienwohl25, als auch Lebensschutz am Anfang wie auch am Ende des Lebens, der der Kirche besonders am Herzen liegt,weil es hier um die Schwächsten geht.

      Die neuen Herausforderungen in diesen Bereichen stehen in enger Verbindung mit dem,was die Verfassung mit ,Menschenwürde' benennt. Mit der Wachsamkeit für diese Themen beginnt die persönliche und öffentliche Verantwortung für ,Gewissensbildung'. Wenn es gegenwärtig z.B. In der Finanzkrise darum geht, dass die materiellen Bedingungen vieler Menschen weltweit wesentlich gefährdet sind, wird der ethische Zusammenhang zwischen den eigenen Einstellungen und dem Wohl und Wehe anderer Menschen – besonders der Ärmsten der Armen – bewusst.

      Spekulative Märkte haben beispielsweise akute Ernährungsengpässe in der so genannten Dritten Welt erzeugt. Sie sind also nicht einfach erlaubt. Sie müssen sich gegenüber Arbeitsplatzpolitik, Armutsbekämpfung etc. rechtfertigen. Das Streben nach dem schnellen hohen Gewinn hat die Handelnden blind gemacht und sie zur Unvorsichtigkeit verleitet.

      Nicht ohne Grund erinnert die Kirche ausdrücklich an die ethischen und moralischen Herausforderungen. Es ist der uns überlieferte jüdisch-christliche Glaube, dass Gott den Menschen nach seinem Ebenbild geschaffen hat, und dass Gott zum Menschen steht; dass der Mensch etwas Heiliges in sich trägt, das ihn gleichsam unantastbar macht. Dabei geht es um jeden Menschen, unabhängig von Rasse, Klasse, Geschlecht oder auch Kultur. In diesem Sinn ist auch das Wort des jüdischen Philosophen Abraham Joshua Heschel zu verstehen: „Höchste Bedeutung ist (daher) unvorstellbar ohne den Sinn, der von einem höchsten Sein kommt. Humanität ohne Divinität ist ein Torso.“ 26

      So kann verständlich werden, dass Christen das Gewissen als Stimme Gottes verstehen.Ungeachtet der unrühmlichen Anteile aus der eigenen Kirchengeschichte liegt hier der Kern des heutigen politischen Verständnisses der universalen Menschenrechte.

      Daher sind wir als Christen besonders herausgefordert, internationale Entwicklungen in ihren Wirkungen über alle Kontinente hinweg zu beachten,Vorkehrungen anzumahnen und selbst engagiert an deren Bewältigung mitzuwirken. Eine verantwortliche Politik kommt nicht umhin, alle hierfür möglichen und notwendigen Instrumente intensiv zu prüfen und politisch umzusetzen. Dabei dürfen wir nicht vor ungewohnten überlegungen und Konzepten zurückschrecken. Dies gilt insbesondere deswegen, weil wir hiermit vor bisher nicht da gewesenen Herausforderungen und neuen Aufgaben stehen.

      Eine verantwortliche Politik braucht verantwortungsvolle Politiker. Nur wer sein Gewissen immer wieder neu schärft, erhält durch das Gewissen Impulse, die ihn die Richtung erkennen lassen. Hier setzt die Ethik des Neuen Testamentes an. Sie offenbart sich in dem, der von sich sagt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ Das Beispiel Jesu ruft den Menschen in seine Verantwortung und Freiheit. „Die wichtigsten neutestamentlichen Zeugnisse, in denen uns die Ethik Jesu entgegentritt,


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