Werte wahren - Gesellschaft gestalten. Franz-Peter Tebartz-van Elst

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Rede von den Fundamenten und die Anschaulichkeit überzeugender Felsen, damit in den Stürmen des Umbruchs bewusst wird, was bleibt und was auf Sand gebaut ist. Es braucht Sprachschulen des Glaubens im Bereich der Bildung, damit im Leben die Aufmerksamkeit erhalten bleibt, wo wir Füreinander zu Stufen werden können. Es braucht den Religionsunterricht in unseren Schulen, damit es später im Beruf und im Alltag zu der Entdeckung kommen kann, die der Dichter Elias Canetti einmal so ins Wort brachte: „Wie gerne Würde ich mir als Fremder einmal zuhören. Ohne mich zu erkennen und später erst erfahren, dass ich es war.“

      Worte brauchen Gesichter. Politik lebt von persönlichen Beiträgen.So entstehen Treppen in die Zukunft, deren Trittfestigkeit immer auf der untersten Stufe ertastet wird.Worte brauchen persönliche Bekenntnisse. Dadurch vermitteln sie sich anderen als tragfähig. Und sie brauchen Räume der Entfaltung, die der Staat Fördert, damit Verbindlichkeit und Verbundenheit in unsere Gesellschaft kommen. Die Sorge für den Menschen braucht die freie Sicht auf Gott. Nur dann haben wir Zukunft im Blick.

      In den Briefen des Apostels Paulus haben wir einen Glaubenszeugen vor Augen, der durch seine Verkündigung selbst zu einer Stufe geworden ist, über die das Christentum zu uns gekommen ist. Im ersten Brief an die Korinther begreift er diese Verantwortung: „Der Gnade Gottes entsprechend, die mir geschenkt wurde, habe ich wie ein guter Baumeister den Grund gelegt. (…) Denn einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist: Jesus Christus“ (1 Kor 3,10–11).

      Weil Jesus Christus uns ,zuvorgekommen' ist, können wir auf diesen Grund weiterbauen. Er trägt, was Menschen belastet. Er fördert, was Menschen nach oben bringt. Diese Gewissheit unseres Glaubens dient dem Wohl unserer Gesellschaft. Politik in dieser Statik braucht den tragenden Grund, eine Aufmerksamkeit für gelegte Fundamente und die Bereitschaft, darauf selbst zur Stufe zu werden. Auch in diesem Sinn mag dann gelten, was man bisweilen auf Schildern lesen kann: „Watch your step!“

      Immer wieder wird in unseren Tagen die Frage nach dem Gewissen in Gesellschaft und Politik angesprochen. In der Regel geschieht dies anhand konkreter Fälle. Es geht beispielsweise um die weltweite Wirtschafts-und Finanzkrise, die auch als Frage nach den politischen Rahmenbedingungen wahrgenommen wird. Oder es geht um die Frage der Managergehälter, wobei unweigerlich auch die Relation zur Entlohnung der Arbeiter in den Blick kommt. Oder es geht um Entscheidungen einzelner Abgeordneter, die weitreichende Folgen im politischen Geschehen eines Landes und darüber hinaus haben. In den aktuellen öffentlichen Diskussionsbeiträgen zu diesen Themen ist bisweilen auch die Anfrage zu vernehmen, ob Personen, die für sich eine Gewissensentscheidung reklamieren, sich hinter der Gewissensfreiheit sozusagen ,verstecken' können.

      Eberhard Schockenhoff, Moraltheologe an der Universität Freiburg, weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass „das deutsche Wort ,Gewissen' im gegenwärtigen Sprachgebrauch der Öffentlichkeit den Rückbezug auf universale ethische Prinzipien und verbindliche Wertüberzeugungen weitgehend abgestreift“ hat.6 Und weiter stellt er fest: „Demokratische Gesellschaften neigen offenbar dazu ... nach der Devise zu verfahren:Was die Mehrheit für richtig hält, kann nicht falsch sein.“ 7 Es ist also grundlegender danach fragen, wie heute ,das Gewissen' verstanden wird. Dabei kann eine erste wichtige Feststellung gemacht werden: Das Gewissen ist keineswegs mit „einer urwüchsigen Naturpotenz vergleichbar“.8 Vielmehr zeichnet es den Menschen aus, eine Instanz zu haben, die wir ,Gewissen' nennen und die sich schon von Anfang des menschlichen Lebens an ausgestaltet, wie jüngere Forschungen bestätigt haben. Thomas von Aquin spricht vom Gewissen als „natürliche Anlage“. Es ist gewissermaßen „der angeborene Speicher, der die obersten Prinzipien des moralischen Urteils enthält“9.

      Daran verdeutlicht sich ein weiterer Aspekt: Das Gewissen will geformt sein, will inhaltlich gefüllt werden. Die Religionspädagogik spricht hier von der ,Gewissensbildung'. Dieser Bildungsvorgang bedeutet eine Anbindung des Gewissens an ethische Prinzipien, an Wertüberzeugungen und an moralische Normen.Dabei ist der Mensch „als freier Urheber seiner Handlungen nicht nur ,vor' seinem Gewissen, sondern auch ,Für' sein Gewissen verantwortlich“.10

      Gewissensfreiheit und Verantwortung gehören immer zusammen. Das Gewissen macht in gewisser Hinsicht unabhängig, hat aber auch einen Aufforderungscharakter, der den Menschen zur übernahme von Verantwortung treibt. Dabei schützt die Freiheit des Gewissens den Staat davor, dass niemand gezwungen werden darf. Die Grenze der Freiheit aber ist die Freiheit des anderen. Deswegen haben gemeinschaftzerstörende Handlungen nichts mit Gewissensfreiheit zu tun.11

      Für den Bereich der Verantwortung nimmt der Philosoph Otfried Höffe eine vierfache Konkretisierung anhand folgender Fragen vor: Wer ist zuständig? Für was ist jemand zuständig? Gegenüber wem ist der Betroffene zuständig? Welche Beurteilungskriterien liegen vor?12 Die ersten beiden Fragen klären die Situation. Gerade bei globalen Themen – wie der weltweiten Finanzkrise – wehren sich manche geradezu dagegen, zuständig zu sein. Schon hier setzt eine politische Reflexion an. Bei der dritten und der vierten Frage tritt das Gewissen ins Zentrum der überlegungen: Wer ist mein Gegenüber? Wem bin ich rechenschaftspflichtig?Und was ist der Maßstab der Beurteilung? Die Moralpädagogik spricht hier von der Bildung der sittlichen Urteilskraft und personaler Verantwortung. Darin deutet sich schon an, was mit dem ,individuellen Gewissen' gemeint ist und was nicht. Man darf das ,individuelle Gewissen' nicht missverstehen, indem man die Geltung von Normen je nach Situation eingrenzt und dabei Ausnahmen für sich zulässt. Denn das Gewissen ist nicht primär Dispensorgan, sondern eher eine individuelle Pflichtinstanz. „Es geht imGewissen in erster Linie um die Freilegung eines Horizonts, um die Erkenntnis einer Aufgabe, nicht um die Fixierung einer Grenze oder die Abweisung sittlicher Ansprüche.“ 13 Ohne die Rückbindung an fundamentale Gerechtigkeitsprinzipien, an konkrete Normen oder an Werte „verkommt das Gewissen zu einem Handlanger der eigenen Interessensbehauptung“.14 Es ist also in jeder Entscheidungssituation neu danach zu fragen,welche Orientierungsmaßstäbe zu beachten sind. Im Bereich des Politischen greift die Kirche auf die Katholische Soziallehre zurück und fragt,welche staatlichen Gesetze,Regelungen oder Ordnungen hier gelten bzw. gelten sollen.

      Auf die europäische bzw. weltweite Wirtschafts-und Finanzkrise bezogen wirft dies die Frage auf, ob überhaupt ein Regelwerk auf internationaler Ebene als Rahmen genügend ausgestaltet ist. Der Erzbischof von München und Freising, Reinhard Kardinal Marx, hat vielfach darauf hingewiesen, dass aus Sicht der Katholischen Soziallehre eine Ordnungspolitik auf Weltebene erforderlich ist, damit mehr Gerechtigkeit, Transparenz und Verantwortlichkeit geschaffen wird.15 Dies ist eine Forderung, die nicht mehr übergangen werden kann, denn zu allen Zeiten gilt: Wer aus der Geschichte nicht lernt, wird sie noch einmal erleben.

      Die Frage des Gewissens erschöpft sich jedoch nicht in der Orientierung an Prinzipien,Werten und Normen. Denn das Gewissen treibt uns auch dahin, selbst neue Handlungsmöglichkeiten zu entdecken. Es kann als intuitive Erfahrung und autorative Verpflichtung verstanden werden. Habe ich für meine Entscheidungssituation diese auch unbestechlich bilanziert? Habe ich die möglichen Alternativen mit ihren entsprechenden Folgen konsequent genug überdacht? Suche ich danach, aus der Situation für mich persönlich gut herauszukommen – oder lasse ich mich in die Pflicht nehmen für eine gute Sache, für die ich auch stehen will?16

      So können durch eine Gewissensprüfung auch neue Horizonte des Handelns aufkommen, Gestalt gewinnen und erschlossen werden. Es eröffnet sich die Möglichkeit, dass das Gewissen aus Krisensituationen neue Chancen erwachsen lässt. Zugleich aber wird auch deutlich, dass wir immer wieder an uns selbst arbeiten müssen, wenn wir den Herausforderungen gerecht werden wollen.Von dieser Verantwortung kann sich niemand dispensieren.

      Das Gewissen macht uns aber auch nicht frei, alle Spielräume, die internationale oder staatliche Gesetze und Regeungen lassen, nur für sich selbst auszuschöpfen, ungeachtet dessen, welche Konsequenzen sie für andere Völker und Menschen haben. Auf der politischen Ebene wird hier bewusst,was Papst Johannes Paul II. In seiner Enzyklika „Sollicitudo rei socialis“ mit den „Strukturen der Sünde“17


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