Werte wahren - Gesellschaft gestalten. Franz-Peter Tebartz-van Elst

Werte wahren - Gesellschaft gestalten - Franz-Peter Tebartz-van Elst


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unserer Zukunft brauchen wir einen fairen Dialog mit den monotheistischen Religionen, wie Papst Benedikt XVI. ihn einfordert: „Der interreligiöse und interkulturelle Dialog zwischen Christen und Muslimen darf nicht auf eine Saisonentscheidung reduziert werden.Tatsächlich ist er eine vitale Notwendigkeit, von der zum großen Teil unsere Zukunft abhängt.“8

      Einen entscheidenden Ort für die Ausbildung eines in diesem Sinne gefestigten Glaubens und eines daraus gebildeten Gewissens erblickt das christliche Bild vom Menschen im Beziehungsgefüge von Ehe und Familie.

      Der Staat setzt Werte und Haltungen voraus, die er nicht durch Vereinbarungen oder Rechtsgrundsätze festlegen kann. Eine demokratische Staatsform allein ist kein Garant dafür, dass die Bürger gute Demokraten sind; ebenso kann kein Gesetz festschreiben oder sogar einfordern, was als besondere Grundhaltung im christlichen Bild von Ehe und Familie beständig zum Aufschein kommt. (Vgl.Kapitel 3/I.)

      Ehe und Familie bilden einen unersetzlichen Wert für das Miteinander in unserem Gemeinwesen. Wie in keiner anderen Konstellation werden Kindern Grundhaltungen und Werte vorgelebt und durch das Beispiel der eigenen Eltern in kaum zu übertreffender Weise vermittelt. Kinder erfahren in Familien was Verlässlichkeit, Solidarität und Rücksichtnahme bedeuten. Sie lernen Anteilnahme, Gemeinschaft und Kompromissfähigkeit.

      Die Kirche betrachtet die Familie auch als wichtigste Keimzelle des Glaubens. In ihr werden, neben den genannten grundlegenden Werten menschlichen Zusammenlebens, Riten und Gebräuche der kirchlichen Tradition vermittelt. In Familien erfahren Menschen Sinn und Erfüllung. In ihr wird das Einüben sozialer Kompetenzen ermöglicht, die Übernahme von Verantwortung wird selbstverständlich. Durch diese hohe Bedeutung für die Gesellschaft ist die Familie in besonderer Weise schutzbedürftig.

      Der Auftrag, Ehe und Familie besonders zu schützen und zu fördern, richtet sich über den Staat und die Rechtsordnung hinaus an die gesamte Gesellschaft. Diese Charakteristika begründen die Vorrangstellung von Ehe und Familie und erklären, warum es nach christlichem Menschenbild keine rechtliche und politische Gleichstellung mit gleichgeschlechtlichen Verbindungen geben kann – ein Thema, das überall dort in Europa zunehmend diskutiert wird, wo fortschreitende Säkularisierung des Lebens die christliche Prägung verblassen lässt.

      Die Frage, was unsere Gesellschaft erhält und fördert, ist elementar an das gebunden, was Nachkommenschaft und Nachhaltigkeit generiert. In diesem Sinn hat die Verantwortung für Gerechtigkeit ethisch-moralische, soziale und wirtschaftliche Implikationen.

      Auf dem Fundament des christlichen Menschenbildes und der darauf bauenden katholischen Soziallehre, die seit der Enzyklika „Rerum Novarum“ (1891) von Papst Leo XIII. ausdrücklich erarbeitet wurde, entwickelte sich in unserem Land das Modell der sozialen Marktwirtschaft. Zwar stellen weder das christliche Menschenbild noch die katholische Soziallehre ein eigenes Wirtschaftsmodell dar – das wollen und können sie ja auch ausdrücklich nicht sein –; dennoch bilden sie wichtige Prinzipien für unser Gemeinwesen.

      Die jüngste Krise der Wirtschaft und des Finanzmarktes offenbart, dass es auch in diesem Bereich nicht mehr selbstverständlich ist, das christliche Bild vom Menschen als maßgeblich zu erachten. Die Krise mancher Unternehmens-und Finanzkonzepte, die zum Teil einzig auf die kurzfristige Maximierung von Gewinn ausgerichtet schienen, hat in unserer Gesellschaft die existenzielle Frage nach dem aufgeworfen, was verlässlich ist. Deutlich spricht daraus die Erkenntnis, dass sich der Mensch, auch in seinen vielfältigen wirtschaftlichen Bezügen, nicht als Alleingänger betrachten darf. Das Gelingen unseres Miteinanders bleibt auch im Bereich der Ökonomie auf die Vermittlung unserer christlichen Wertvorstellungen angewiesen. (Vgl. dazu Kapitel 6/I.)

      Es wird in Zukunft vermehrt darauf ankommen, Verantwortung wieder mehr im Sinne des christlichen Menschenbildes und der katholischen Soziallehre wahrzunehmen. Mit dieser Option für eine ethisch-moralische Weitsicht verbindet sich die Aufmerksamkeit für ein siebtes Handlungsfeld, in dem es die Gestaltungskraft des christlichen Menschenbildes braucht.

      Der Mensch steht in vielfältigen Bezügen. Er ist zuerst einmal Geschöpf, er verdankt sich nicht seiner eigenen Anstrengung oder seinem Wollen. Er ist ein Teil der Schöpfung. Seinem ,Vorzug' und seiner besonderen ,Funktion' innerhalb des Schöpfungsaktes Gottes auf der einen Seite entspricht auf der anderen Seite auch eine besondere Verantwortung für das Werk Gottes. Mensch und Schöpfung, so hält es uns das christliche Menschenbild vor Augen, stehen in einer unmittelbaren Beziehung zueinander. Die Schöpfung bildet den ,Möglichkeitsrahmen' für die Entfaltung dessen, was in jedem Menschen individuell, als Gabe des Schöpfers, angelegt ist. Die daraus resultierende Haltung bringt Papst Benedikt XVI. In seiner Enzyklika „Caritas in veritate“ treffend zum Ausdruck:

      „Der Umgang mit [der Schöpfung] stellt für uns eine Verantwortung gegenüber den Armen, den künftigen Generationen und der ganzen Menschheit dar. Wenn die Natur und allen voran der Mensch als Frucht des Zufalls oder des Evolutionsdeterminismus angesehen werden, wird das Verantwortungsbewusstsein in den Gewissen schwächer. Der Gläubige erkennt hingegen in der Natur das wunderbare Werk des Schöpferischen Eingreifens Gottes, das der Mensch verantwortlich gebrauchen darf, um in Achtung vor der inneren Ausgewogenheit der Schöpfung selbst seine berechtigten materiellen und geistigen Bedürfnisse zu befriedigen. Wenn diese Auffassung schwindet, wird am Ende der Mensch die Natur entweder als ein unantastbares Tabu betrachten oder, im Gegenteil, sie ausbeuten. Beide Haltungen entsprechen nicht der christlichen Anschauung der Natur, die Frucht der Schöpfung Gottes ist.“9

      In diesem Sinn wird es einem, vom christlichen Menschenbild getragenen Gemeinwesen, immer darum gehen müssen, sich an einen nachhaltigen Umgang mit den Ressourcen der Schöpfung zu orientieren.Raubbau und Ausbeutung,die in unseren Tagen oftmals zu Lasten der (wirtschaftlich) schwächeren Länder gehen, Klimakatastrophe und der Hunger in der Welt brauchen eine Haltung und Handlungsoption, die sich dem christlichen Menschenbild verpflichtet wissen. Hier liegt das Korrektiv einer Politik, die eine vom Glauben geprägte Umkehrbereitschaft voraussetzt. (Vgl. dazu Kapitel 6/II.)

      In der Bundesrepublik Deutschland gebührt der Grundhaltung des christlichen Menschenbildes, besonders der einmaligen Würde jeder Person und deren uneingeschränktem Recht auf Unversehrtheit, auch aus historischer Perspektive ganz besondere Achtung. Nach dem wohl dunkelsten Kapitel unserer Geschichte, nach Krieg und Zerstörung, bezogen sich die Väter und Mütter des Grundgesetzes ganz bewusst auf das Fundament des christlichen Menschenbildes. Unter den ,Trümmern des Krieges', so könnte man sagen, bargen sie das Fundament des christlichen Glaubens, den sie als leitenden Gottesbezug ausdrücklich in die Präambel aufgenommen haben. Die Geschichte hatte gezeigt, dass der Staat allein keinen ausreichenden Bezugsrahmen für das Zusammenleben und Zusammenwollen von Menschen bereitzustellen vermag. Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott bekennt das Deutsche Volk deshalb in Artikel 1 GG: „Die Würde des Menschen ist unantastbar, sie zu achten und zu schützen ist die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

      Im Unterschied zu Verfassungen anderer Länder, wie z.B. Frankreich oder den USA, die aus ihrer jeweiligen Geschichte heraus den Freiheitsgedanken besonders hervorheben, betont das Grundgesetz zuerst die Unantastbarkeit der Würde jedes Menschen. Diese Würde entspringt zutiefst dem christlichen Bild vom Menschen.Zu diesem eher allgemeinen und,wenn man so will, zurückhaltend formulierten Gottesbezug hält Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio fest: „Das kann der Gott der Gläubigen sein, und ich glaube sogar, das kann der Gott der Atheisten sein. Denn auch für den Atheisten wird damit nichts anderes gesagt, als dass es eine andere Dimension der Einsicht geben kann, die nicht im praktischen oder theoretischen Diskurs betretbar ist. Es geht also um die Möglichkeit der Transzendenz, die man auch einräumen kann, wenn man nicht an Gott glaubt.“10

      In seinem viel beachteten Essay „Ein Bewusstsein von dem, was fehlt“ beschäftigt sich Jürgen Habermas mit eben diesem Zusammenhang. Er sieht die (praktische) Vernunft als das Vermögen, welches menschliches Leben auf seinen


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