Werte wahren - Gesellschaft gestalten. Franz-Peter Tebartz-van Elst

Werte wahren - Gesellschaft gestalten - Franz-Peter Tebartz-van Elst


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christliche Glaube nicht mehr gehört und gesehen wird.

      Die folgenden Beiträge sind in Zusammenhängen entstanden, die nach der Stimme der Kirche rufen. Sie verstehen sich als Plädoyer für eine Politik mit christlichem Profil, die die Werte wieder ins Wort bringt, die in unserer Gesellschaft nicht mehr selbstverständlich sind. Solche Werte zu wahren, führt die Kirche manchmal auf einen einsamen, deswegen aber noch lange nicht verlorenen Posten. Aus Politik und Gesellschaft kommen zugleich Signale und manchmal auch Hilfeschreie, die Religion und Kirche neu auf die Verantwortung des Rufers in der Wüste (vgl. Mt 3,1–12) verweisen. Es ist an der Zeit,von dem zu sprechen, was von Gott her um der Menschen willen nicht verloren gehen darf, wenn sich gesellschaftlich, wirtschaftlich und kulturell so vieles rasant verändert. Eine Lebensmentalität, die einem konstanten Drängen zur Diesseitigkeit und einem Druck zum Pragmatismus unterliegt, bringt schleichend und offen eine Dominanz des säkularen Denkens mit sich, für das am Ende gilt: „Wenn es keinen Gott gibt, dann ist alles erlaubt“ (Fjodor Dostojewski).

      Gegen solche Gegebenheiten einer säkularen Kurzsichtigkeit, die zu einer ethischen Blindheit führen können, bekommt der „Ruf nach Religion“ auch eine politische Dimension. Der frühere hessische Ministerpräsident Roland Koch stellt diese Bedeutung heraus, wenn es um die Garantiedes Gemeinsinns in unserer Gesellschaft geht: „Der Mensch hat eine natürliche Neigung, sich selbst für den Mittelpunkt der Welt zu halten. Ohne einen Bezugspunkt außerhalb seiner selbst wird er intolerant gegenüber allem, was sich ihm entgegenstellt, und verfällt in Verzweiflung, sobald er in existenzielle Not gerät. Die Neigung des Menschen zur Transzendenz ist vor diesem Hintergrund etwas Befreiendes (…) Denn tief im Herzen haben die Menschen die Sehnsucht, sich selbst nicht für den Maßstab aller Dinge halten zu müssen, sondern Antwort zu erhalten auf tiefere Fragen nach dem Sinn des Lebens.“4

      Dieses Bedürfnis will das vorliegende Buch in sieben Themenfeldern aufgreifen. Orientierung aus dem christlichkirchlichen Glauben hilft, ein Gewissen zu formen, das um die Größe Gottes und um die Grenzen des Menschen weiß, wo ihm scheinbar alles möglich ist. Politik mit christlichem Profil verweist auf die unverzichtbaren Räume der Entfaltung, in denen die Tragfähigkeit des christlich-kirchlichen Glaubens so erfahren und vermittelt werden kann, dass die Lebensform von Ehe und Familie in ihrer wesenhaften Verbindlichkeit und ihrer gesellschaftlich verbindenden Bedeutung erlebt wird. Politik mit christlichem Profil setzt auf Bildung, die mehr ist als Pisa. Christen geht es um Bedingungen und Möglichkeiten, unter denen Menschen ihre ganze Persönlichkeit im Sinne einer umfassenden Charismenförderung entwickeln können. Den ganzen Menschen zu sehen bedeutet, ihn gerade an den Grenzen des Lebens, in Gesundheit und Krankheit als Geschöpf Gottes zu begreifen, dem ein unbedingtes Lebens-und Fürsorgerecht zukommt. Politik mit christlichem Profil versteht sich als unermüdliche Anwaltschaft für einen Lebensschutz, der den Menschen nicht von seiner Produktivität für die Gesellschaft her bewertet, sondern das Apriori Gottes als Maß aller Dinge begreift. Wo Gott vorkommt, gewinnt die Gerechtigkeit auch in der Welt der Wirtschaft und der Arbeit Gestalt.

      Die Beiträge dieses Buches verdanken sich allesamt konkreten Situationen, in denen das Wort der Kirche erbeten war.Sie gehen auf Redemanuskripte zurück, die darauf angelegt waren, pointiert zur Sprache zu bringen, was Christen vom Evangelium her zu sagen haben. Der bisweilen appellative Charakter ist dem Interesse geschuldet, christlich-kirchliches Profil benennbar und damit zitierbar zu machen.

      Mit der Vorlage dieses Buches verbinde ich meinen Dank an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bistum Limburg, die an unterschiedlichen Orten in Gemeinde, Bildung und Caritas den Glauben der Kirche auch mit ihrem persönlichen Zeugnis als einen Dienst an der Welt vertreten. Den Vertreterinnen und Vertretern des politischen und öffentlichen Lebens, die in säkularer Gesellschaft den Mut zu diesem Bekenntnis aufbringen, gilt mein tiefer Respekt. Meinem persönlichen und theologischen Referenten, Roland Berenbrinker, danke ich für die Mühe der redaktionellen Überarbeitung.

      Das Plädoyer für eine Politik mit christlichem Profil ist die Position der Heiligen Schrift. Der erste Petrusbrief zeigt den Weg auf, wie Christen Werte wahren und Gesellschaft gestalten können: „Denn es ist der Wille Gottes, dass ihr durch eure guten Taten die Unwissenheit unverständiger Menschen zum Schweigen bringt. Handelt als Freie, aber nicht als solche, die die Freiheit als Deckmantel für das Böse nehmen, sondern als Knechte Gottes. Erweist allen Menschen Ehre, liebt die Brüder, fürchtet Gott und ehrt den Kaiser“ (1 Petr 2,15–17).

      Diese Worte in unsere Zeit gesprochen mahnen zu begründeten Positionen im Respekt vor Personen und Verantwortungen. Es geht um die Haltung eines demütigen Selbstbewusstseins, die den Mut zum Widerspruch und die Leidenschaft zur Argumentation nicht scheut. In diesem Sinn will uns die Bibel bewegen, offensiver zu werden. Es geht um eine Perspektive,die im Denken und Handeln die gefährliche Enge einer Immanenz durchbricht, die Transzendenz in ihrer Bedeutung für das Gemeinwohl unserer Gesellschaft aus dem Auge zu verlieren scheint. In diesem Sinn verstehen sich die folgenden Beiträge als ein Plädoyer für eine Politik mit christlichem Profil und im Dienst einer Priorität, die Papst Benedikt XVI. In seiner Ansprache vor dem Bundestag in einem plausiblen Bild als Gebot der Stunde formuliert hat: „Die sich exklusiv gebende positivistische Vernunft, die über das Funktionieren hinaus nichts wahrnehmen kann, gleicht den Betonbauten ohne Fenster,in denen wir uns Klima und Licht selber geben, beides nicht mehr aus der weiten Welt Gottes beziehen wollen. Und dabei können wir uns doch nicht verbergen, dass wir in dieser selbst gemachten Welt im Stillen doch aus den Vorräten Gottes schöpfen, die wir zu unseren Produkten umgestalten. Die Fenster müssen wieder aufgerissen werden, wir müssen wieder die Weite der Welt, den Himmel und die Erde sehen und all dies recht zu gebrauchen lernen.“5

      Limburg an der Lahn, zum 20. Januar 2012

      + Dr. Franz-Peter Tebartz-van Elst

       Bischof von Limburg

      In seinem viel beachteten Roman „Das amerikanische Hospital“ schildert Michael Kleeberg die Begegnung zweier Menschen, die auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein können. Die dreißigjährige Pariserin Hélène wartet in einem amerikanischen Militärkrankenhaus in Paris auf einen Untersuchungstermin, um, zusammen mit ihrem Mann, mittels künstlicher Befruchtung doch noch zur Erfüllung ihres sehnlichen Kinderwunsches zu kommen. Vor der Rezeption des Hospitals begegnet sie dem Literaturwissenschaftler David Cote, der vor ihren Augen zusammenbricht.

      Als Veteran kehrte er aus dem Golfkrieg des Jahres 1991 zurück, nun, Jahre später, bricht sich bei ihm eine Art posttraumatische Belastungsstörung bahn. Immer wieder begegnen sich beide. Ein Mann, der Leben nahm, und eine Frau, die es nicht schafft, Leben zu schenken. Sie werden, obwohl ihre Situationen so gegensätzlich sind, einander zur Stütze. Er ist lange davongelaufen; vor der Auseinandersetzung mit seiner Kriegsvergangenheit, aus Angst vor der Konfrontation mit persönlicher Schuld. Wie sollte er damit umgehen, dass er auch am Tod von Kindern schuldig wurde, denen zu helfen er doch eigentlich aufgebrochen war.

      Sie muss erleben, wie die immer wieder vorgenommenen Befruchtungen immer aufs Neue fehlschlagen; erlebt ihren Körper als etwas zunehmend Fremdes, ihrem tiefen Wunsch Widerstrebendes. Er gibt ihr Trost und Hoffnung, wenn sie immer mehr von dem durch verschiedenste Behandlungen vorgegebenen ,Takt' bestimmt wird: „Down-Regulierung, Stimulation, Auslösung, Follikelpunktion, Transfer, Wartezeit, Enttäuschung, Erholung und Neubeginn.“1 Mit zunehmender äußerlicher Routine, ja, mit der „Selbstverständlichkeit einer Pendlerin“, passiert Hélène die Grenze zwischen ihrem Leben, das von dem so starken Kinderwunsch geprägt ist, und den beschriebenen, beinahe mechanischen Abläufen in der Klinik.

      Ergreifend und empfindlich präzise beschreibt Michael Kleeberg die Situation des modernen Menschen und konfrontiert mit der kalten medizinisch-technisierten reinen Möglichkeit. Es bleibt der fahle Geschmack eines über alles andere erhobenen ,Denkens der Machbarkeit', das Vorgaben und Grenzen nicht akzeptieren will. Kleebergs Roman führt durch die beiden so persönlich geschilderten Biografien zu den grundsätzlichen Fragen, die sich unserer Gesellschaft heute stellen. Dazu gehört vor allem die Frage der Verhältnisbestimmung


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