Werte wahren - Gesellschaft gestalten. Franz-Peter Tebartz-van Elst

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Kontroversen und Debatten unserer Zeit – nicht selbstverständlich zugunsten des christlichen Menschenbildes ausfallen wird.

      Deutschland ist ein Land, das man im positiven Sinne als ,Teil Europas in der so genannten westlichen Welt' bezeichnen kann. Oft beschworen werden dabei von den unterschiedlichsten Vertretern und Meinungen ,unsere Werte' bzw. ,unser Menschenbild'. Wie selbstverständlich verstehen wir uns – und auch jeden anderen Menschen – als frei, gleich an Rechten und Würde; wir betrachten unsere Verfassung als eine, die dieser Auffassung am ehesten gerecht wird, und geben ihr ,grund-sätzlichen'Rang.

      Allzu schnell übersehen wird jedoch, dass das damit gemeinhin verbundene und transportierte Bild vom Menschen in unserem Kulturraum nicht ohne Herkunft bzw. Bezugsgröße ist, es ist nicht im ,luftleeren Raum' entstanden. Immer stärker ist in unserer Gesellschaft die Tendenz zu einer regelrechten ,Selbstsäkularisierung' aller Lebensbereiche zu spüren. Es erscheint geradezu verpönt, sich mit seinem Wertebezug festzulegen, besonders da, wo dieser sich auf originär christliche Wurzeln stützt. Die Rückbindung an den eigentlichen Grund unseres Wertesystems droht uns immer mehr abhandenzukommen. Die Debatte um die Frage einer ,christlichen Leitkultur' zeigt das eindrücklich. Es gibt in unserem Land durchaus eine christliche Leitkultur. All unsere Rede vom Menschen, von seinen gesellschaftlichen Bezügen und Bindungen, ist geprägt vom (jüdisch-)christlichen Erbe unseres Kulturraumes. Immer weniger haben wir jedoch das Bewusstsein für diesen Ursprung und damit auch für die Plausibilität unserer Grundwerte. Es gerät uns zunehmend aus dem Blick, dass sich unser Menschenbild dem jüdischchristlichen Gottesbild verdankt. Ausführlich widmen sich die Kapitel 3/I.; 3/II. und 7 des vorliegenden Buches der Frage nach der Herkunft unserer Werte (vgl. auch Kapitel 1/II.1.).

      Unsere kirchliche Rede vom ,Menschenbild' nimmt ihren Anfangin den ersten Kapiteln der Genesis. Hier ist von der Gottebenbildlichkeit des Menschen die Rede und von der Schöpfungsabsicht Gottes: „Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Abbild (imago), uns ähnlich (similitudo). Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh und über die ganze Erde und über alle Kriechtiere auf dem Land. Gott schuf also den Menschen als sein Abbild;als Abbild Gottes schuf er ihn.Als Mann und Frau schuf er sie“ (Gen 1,26 f.).

      In der nachfolgenden Paradiesgeschichte wird in den bekannten Bildern beschrieben, wie der Schöpfer Adams, gleichsam als bildender Künstler, den Menschen („Adam“) wie auch die Tiere aus der Erde formt. Adam ist es, dem er den Odem, den göttlichen Geist, einhaucht, dem er damit allein gewissermaßen Anteil gibt an seiner Schöpfung. Diese „Sonderstellung im Kosmos“ (Max Scheeler) – das Alleinstellungsmerkmal des Menschen – ist es, was Psalm 8 in seiner so wunderbaren Sprache noch einmal hervorhebt: Die einzigartige Würde des Menschen kommt darin zum Ausdruck, dass der Schöpfer ihn mit „Herrlichkeit und Ehre gekrönt“ hat; ihn nur „wenig geringer gemacht hat, als Gott“ (vgl. Ps 8,6). Adam, obwohl er selbst Teil der Schöpfung ist, darf neben den Schöpfer treten und den Tieren Namen geben.

      Die hier kurz angesprochenen Texte bilden Quelle und Grund des biblischen Menschenbildes. Gerhard Lohfink hat darauf hingewiesen, dass der hebräische Begriff ,Selem' (Ebenbild) sprachlich auch in anderen Kontexten vorkommt bzw. vorkam. Interessant und aufschlussreich ist beispielsweise der Hinweis, dass im Ägypten der Pharaonen der Begriff ,Selem' das ,Bild des Pharao' bezeichnete, was ihm in seinem Reich eine ,ubiquitäre Präsenz' verschaffte. Überträgt nun der biblische Sprachgebrauch diesen Zusammenhang auf die Beziehung zwischen Schöpfer und (menschlichem) Geschöpf, bleibt die Rede vom Menschen als ,Bild Gottes' nicht nur Sinnbild, sondern wird zu Realität und Anspruch der Schöpfung. Der Mensch hat nicht nur die Möglichkeit, sondern den Auftrag, überall und in jeder Situation die Gottespräsenz zu verkörpern und – andersherum – die Gottespräsenz im anderen anzuerkennen. (Vgl. dazu Kapitel 3/II.3)

      Dieser Grundgedanke setzt sich im Zeugnis des Neuen Testamentes fort. In und durch die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus kommt uns der Schöpfer auf einmalige Weise unüberbietbar entgegen. Mit ihm ist die Fülle der Zeiten angebrochen. Wir sind hineingenommen in die Liebes-und Lebensgemeinschaft des dreifaltigen Gottes. Daraus resultiert unsere Auffassung von Werten im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Miteinander. Es ist das christliche Menschenbild, das diese Grundhaltung bedingungslos auf alle Menschen übertragen hat.

      Das christliche Bild vom Menschen weiß auch um die Schwäche des Einzelnen. Wir sind nicht frei von der Gefahr der Selbstüberschätzung. Zu sehr neigt der Mensch dazu,sich selbst in den Mittelpunkt zu setzen und den Bezugspunkt seines Handelns letztlich im eigenen Wollen zu suchen. Der Glaubende hingegen hat ein ,Korrektiv'. Ohne einer gesellschaftlichen Funktionalisierung der Religion das Wort zu reden, soll doch auf diesen entscheidenden Punkt hingewiesen werden. Wir sehen uns als Christen immer schon auf die in Jesu Christi Person gewordene Wahrheit bezogen, zu der uns zu verhalten wir stetig gefordert sind. Der Mensch muss sich damit nicht dem geradezu unmenschlichen Druck ausgesetzt sehen, sein Heil aus eigener Kraft, im Hier und Jetzt, selbst bewerkstelligen zu müssen.

      Ohne Transzendenz, so drückt es der vormalige Ministerpräsident von Hessen, Roland Koch, aus, „ohne einen Bezugspunkt außerhalb seiner selbst, wird [der Mensch] intolerant gegenüber allem, was sich ihm entgegenstellt, verfällt in Verzweiflung, sobald er in existenzielle Not gerät“. 2 Wenn nun aber der Mensch in dem bis hierher skizzierten Sinne ,Bild Gottes' ist, und zwar jeder Einzelne, dann hat dies besonders auch an den ,Grenzen des Lebens' seine Berechtigung und verdient dort besonderen Schutz.

      Mit der Frage, was dem unbedingten Schutz menschlichen Lebens dient, sind wir noch einmal sehr konkret beim Thema des eingangs zitierten Romans „Das amerikanische Hospital“. Die Nüchternheit und der geradezu berechnende Umgang mit den befruchteten Eizellen der Hauptprotagonistin, die der Autor Michael Kleeberg beschreibt, rückt eindrücklich vor Augen, dass die rein medizinisch-technische Orientierung das menschliche Leben viel zu schnell zur Konkursmasse der Machbarkeit zu degradieren droht.

      So sehr in dem fiktiv geschilderten Fall Verständnis und sogar echtes Mit-Leiden für den sehnlichen Kinderwunsch aufkommen mag: Die bereits genannte Würde und die Freiheit jeden menschlichen Lebens werden hier in der Regel nur noch sehr selektiv und damit willkürlich geachtet. Aus dem bereits herausgestellten Bekenntnis des christlichen Menschenbildes zur Einzigartigkeit und Würde jeder Person resultiert konsequent auch der Wille zum unbedingten Schutz menschlichen Lebens von Anfang an. (Vgl. Dazu Kapitel 5/II.)

      Dies gilt in den Debatten über Stammzellenforschung, über Präimplantationsdiagnostik (PID) ebenso wie in der Frage der Abtreibung. In allen genannten Bereichen wird in den immer wieder aufkommenden Diskussionen mit dem Freiheitsbegriff argumentiert. Die Freiheit der Forschung müsse gewährleistet sein, auch, um nicht hinter die internationale Konkurrenz zurückzufallen. Das aber würde bedeuten, Unrecht zu legitimieren, weil es an anderer Stelle auch getan wird. Ebenso gerne wird der Begriff der Freiheit derartig isoliert, dass er am Ende dazu dienen soll, die Tötung ungeborenen Lebens zu rechtfertigen. Dass die menschliche Freiheit ein Gut ist, das nur im Verbund mit anderen Werten zu realisieren ist, wird dabei in der Regel zugunsten der Individualität ausgeblendet. Konkret hat dies im Jahr 2003 der damalige Präfekt der Glaubenskongregation, Joseph Kardinal Ratzinger, am Beispiel der Abtreibung ausgeführt:

       „In der Radikalisierung der individualistischen Tendenz der Aufklärung erscheint Abtreibung als ein Freiheitsrecht: Die Frau muss über sich selbst verfügen können. Sie muss die Freiheit haben, ob sie ein Kind zur Welt bringen oder sich davon befreien will. Sie muss über sich selbst entscheiden dürfen, und niemand kann ihr – so wird uns gesagt – da von außen her eine letztlich bindende Norm auferlegen. Es geht um das Recht der Selbstbestimmung. Aber entscheidet die Frau bei der Abtreibung eigentlich über sich selbst? Entscheidet sie nicht gerade über jemand anderen – darüber, dass einem anderen keine Freiheit zugestanden werden soll, dass ihm der Raum der Freiheit – das Leben – genommen werden muss, weil das mit meiner eigenen Freiheit konkurriert? Und so ist zu fragen: Was ist das eigentlich für eine Freiheit, zu deren Recht es


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