Werte wahren - Gesellschaft gestalten. Franz-Peter Tebartz-van Elst

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Dialog als Weg15

      Die deutsche Bischofskonferenz hat im Herbst 2010 eine Dialoginitiative auf den Weg gebracht. Mit dieser Initiative verbinden sich in unserer Kirche und in der Gesellschaft viele Erwartungen. Gespräche unter Menschen, die Gott zu Wort kommen lassen, brauchen eine Gestalt, in der sich zuerst vermittelt: Der Glaube kommt vom Hören. Dialog in der Kirche unterscheidet sich in diesem Sinn von den Debatten der Welt. Wo Christen zusammenkommen, um miteinander danach zu fragen, welchen Weg Gott seine Kirche führen will, geht es um eine Haltung und Richtung, die das Zweite Vatikanische Konzil schon vor bald 50 Jahren angesprochen hat: ,die Zeichen der Zeit zu verstehen und sie im Licht des Evangeliums zu deuten'.16

      Fruchtbarer Dialog unter Menschen bringt etwas in Bewegung,wo der Dialog mit Gott am Anfang steht.Aus dem gemeinsamen Gebet erwächst ein Geist des Gespräches, der die Begabung zum Hören, zum Verstehen und zum Sprechen weckt. Begegnungen bringen uns weiter, wo wir wahrgenommen werden, ausreden dürfen und selber zuhören können. Ein Gespräch irritiert, wenn wir merken, dass das Gegenüber innerlich schon in äußeren Gesten zur Gegenrede ansetzt und uns nicht anschaut, Während wir uns mitteilen. Wie abstoßend wirken manche Talkshows im Fernsehen, wo Menschen sich nur übertönen wollen. Ein Gespräch inspiriert, wo es eine Gelassenheit eröffnet, die schweigen und hören, denken und reden lässt. Ein Gespräch gelingt, wo Menschen die Erfahrung machen, die der Theologe Romano Guardini als Gebet formuliert: „Herr, gib mir das Wort, das mich neu erschafft, das Passwort meines Lebens.“

      Dialog in Glaube und Kirche ist nicht voraussetzungslos. Es gibt ihn nur im Horizont des Glaubens.Er orientiert sich an den beiden Quellen des katholischen Bekenntnisses, der Heiligen Schrift und der kirchlichen Überlieferung. Er formt eine Spiritualität der Gemeinschaft, deren Kennzeichen Papst Johannes Paul II. darin sieht, ,den Blick auf das Geheimnis der Dreifaltigkeit zu richten, das in uns wohnt und auf dem Angesicht der Schwestern und Brüder neben uns aufleuchtet'17. Das Wesen des dreifaltigen Gottes ist Dialog. Wort und Antwort gehören zusammen.

      Ein Dialog, der die Kirche als Zeichen für die Welt zur Sprache bringt, hat beides im Blick:Position in Kommunikation. Er formt ein Zeugnis und Bekenntnis, von dem Papst Benedikt XVI. sagt: „Rede und Antwort zu stehen für unseren Glauben setzt voraus, dass wir selbst den Grund des Glaubens verstanden haben, dass wir dieses Wort, das für die anderen wirklich eine Antwort sein kann, mit dem Herzen und auch mit dem Verstand wahrhaft verinnerlicht haben.“18

      Wirklicher Dialog ist etwas anderes als Diskussion oder Debatte. Er braucht zuerst das Licht des Glaubens. In diesem Horizont findet die Kirche eine neue Strahlkraft im Leben.

      „Nicht du trägst die Wurzel,

       sondern die Wurzel trägt dich. “

      Röm 11,18

      „Wurzel Jesse“, Freskengemälde im Hohen Dom zu Limburg,

       spätromanisch mit Übermalung aus dem 17. Jahrhundert

      Der Limburger Dom ist reich an Bildern. Viele kennen ihn von außen, seine Lage auf dem Felsen, seine Architektur und Geschichte. Ein Blickfang aus der Ferne, ein echter ,Hingucker' von der Autobahn – so wie man äußerlich einen Eindruck vom Glauben der Christen und vom Leben der Kirche hat.Betritt man das Innere des Domes,wird man hineingenommen in eine Bildwelt, die der Botschaft unseres Glaubens Gesichter gibt.Was von außen Stützen und Pfeiler zeigen, bekommt im Inneren eine Bedeutung. Was die Architektur an Statik vermittelt, geben die Bilder an Halt. So kann man die Wand im nördlichen Querschiff des Domes verstehen. Sie zeigt das bekannte Motiv der Wurzel Jesse, den Stammbaum Jesu. Das Gemälde ist so alt wie diese Kirche, über 750 Jahre.Auch wenn es im Laufe der Zeit überarbeitet und aufgefrischt wurde, seinen Ursprung hat es nicht verloren.

      Es ist ein Bild des Anfangs! Es erzählt, wie Gott, der Schöpfer der Welt, in ihr selbst Mensch geworden ist. Es erinnert, wo wir herkommen, und es zeigt, was Menschen blüht, die glauben. Man sieht Wurzeln und Wachstum. Ganz unten die Heilige Sippe, der Jesus entstammt, in der Mitte der Baum der Generationen mit den Gesichtern der Vorfahren; Könige, die aus dem Stamm David hervorgegangen sind.Und ganz oben die Blüte: Maria mit dem Kind. In den seitlichen Flügeln stehen Mose und Aaron, die Propheten Jesaja und Ezechiel ganz im Dienst an einer Geschichte, die unsere Gegenwart ist.

      Worte und Weissagung der Bibel geben uns Menschen Wurzeln. Im Horizont der Heiligen Schrift gewinnen wir die Inspiration zu fragen und zu sagen, woher der Mensch ist: aus Gott – und wo er zuhause ist:in Gott.Wo Gott ausdem Blick gerät, werden Menschen entwurzelt. Wo Gott nicht mehr vorkommt, ist der Mensch heimatlos. Diese Einsamkeit ist die größte Wunde unserer Zeit, die dann besonders wehtut, wenn der Mensch an Brüchen des Lebens radikal auf sich selbst verworfen wird. Mancher leidet gerade dann darunter, dass Ursprünglichkeit im Leben verloren gegangen ist.

      Die größte Entwurzelung unserer Tage ist die Trennung des Menschen von Gott.Wo die Gabe des Lebens nicht mehr als Geschenk des Schöpfers gesehen wird, ist die Würde und der Wert des Menschen vor seiner Geburt, in der Krankheit und im Alter in Gefahr.Wo die Wirtschaft sich von Werten löst, geht die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander.Wo sich das Klima der Erde erwärmt, zeigt sich, dass die Herzen der Menschen immer kälter werden, wenn es um eine gemeinsame Verantwortung für die Schöpfung geht. Wo sich die Einstellung zum Leben – auch im Sog eines neuen Atheismus – auf die Formel der Religionskritiker verkürzt, wird der Mensch entwurzelt: Sie sagen: „So viel Wert der Mensch hat, so viel Wert und nicht mehr hat sein Gott. (…)“ Sie behaupten: „Das Bewusstsein Gottes ist das Selbstbewusstsein des Menschen.“ Sie meinen: „Die Erkenntnis Gottes ist die Selbsterkenntnis des Menschen“ (vgl. L. Feuerbach).

      Christlicher Glaube spricht eine andere Sprache. So viel Wert Gott in dieser Welt bekommt, so viel Wert hat der Mensch.So weit wie Gott im Blick ist,so tief ist der Mensch verwurzelt. Davon spricht das Evangelium: „Allen, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben“ (Joh 1,12). Wo Gott dazwischenkommt,gewinnt der Mensch Halt.Wer in Gott verwurzelt ist, kann wachsen. Wo Gott nicht mehr vorkommen darf, wo das Kreuz aus den Klassenzimmern und den öffentlichen Räumen verschwinden soll, schrumpft der Mensch.

      In seiner Erzählung „Der Ulmenstamm“ schreibt der russische Dichter Alexander Solschenizyn in Erinnerung an seine Zeit im Gefangenenlager: „Wir sägten Holz,griffen dabei nach einem Ulmenbalken und schrien auf. Seit im vorigen Jahr der Stamm gefällt wurde, war er vom Traktor geschleppt und in Teile zersägt worden, man hatte ihn auf Lastwagen geworfen, zu Stapeln gerollt, auf die Erde geworfen – aber der Ulmenstamm hatte sich nicht ergeben!Er hatte einen frischen grünen Trieb hervorgebracht – eine ganze künftige Ulme oder einen dichten rauschenden Zweig. Wir hatten den Stamm bereits auf den Bock gelegt, wie auf einen Richtblock; doch wagten wir nicht, mit der Säge in seinen Hals zu schneiden. Wie hätte man ihn zersägen können? Wie er doch leben will – stärker als wir.“ 1

      Christlicher Glaube bringt die Botschaft, dass der Baum unseres Glaubens auch im Winter wächst. Die Geschichte Israels wird zur Gegenwart der Kirche: „Aus dem Baumstumpf Isais wächst ein Reis hervor, ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht“ (Jes 11,1). Wachstum braucht Richtung, so lehrt es uns die Natur, und das gilt auch für den Menschen. Zum Bistum Limburg gehört der Rheingau, eine mit Weinstöcken gesegnete Landschaft, in der man vieles lernen kann.Vor dem großen Frost des Winters sind die Winzer damit beschäftigt, die Reben auf das Maß eines Baumstumpfs zurückzuschneiden. Nur ein Trieb bleibt, in den alles Wachstum gehen soll. „Weinerziehung“ nennen sie diese Maßnahme der Botanik. Alle Kraft soll in einen Zweig gehen. Das gesamte Wachstum richtet sich auf einen Trieb. Ein Einschnitt, der notwendig ist, damit Neues werden kann.

      Eine Einsicht, die uns ein altes Weihnachtslied aus dem 16. Jahrhundert vermittelt: „Es ist ein Ros entsprungen aus einer Wurzel zart,wie uns die


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