Werte wahren - Gesellschaft gestalten. Franz-Peter Tebartz-van Elst

Werte wahren - Gesellschaft gestalten - Franz-Peter Tebartz-van Elst


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wächst, wo Einschnitte nötig sind. Wir bemerken es oft erst im Rückblick. Wo uns in winterlicher Zeit Verzicht abverlangt wird, kommt es zur Konzentration auf das We sentliche. In Kirche und Gesellschaft, im Beruf und in den Beziehungen sagt uns der christliche Glaube: Wo wir Gewohntes und Vertrautes lassen müssen, will Gott, dass wir uns nicht länger in einem Vielerlei verlieren, das uns zerstreut.

      Der Blick auf die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus zeigt uns den frischen Trieb aus dem Baumstumpf einer wechselhaften Lebens-, Welt-und Glaubensgeschichte. Die Bilder der Bibel zeigen die Wachsamkeit für das Wesentliche. Das Kind in der Krippe bewirkt die Konzentration auf das Kommende. Papst Benedikt XVI. hat sie im Blick, wenn er sagt: „In der Nacht von Bethlehem wird der Erlöser einer von uns, um auf den verfänglichen Wegen der Geschichte unser Begleiter zu sein. Ergreifen wir die Hand, die er uns entgegenstreckt: Es ist eine Hand, die uns nichts nehmen, sondern nur schenken will.“ 2

      Wo es so scheinen mag, als Würde in winterlicher Zeit manches zurückgeschnitten und gestutzt, zeigt der junge Trieb, was christlicher Glaube bewirkt. Die Frucht aus dem Baumstumpf Isais kann nur wachsen, wenn es den Blick und die Besinnung auf die Blüte gibt, die unser Stammbaum des Glaubens zeigt. Hier sehen wir, was wir singen: „Das Blümelein so kleine, das duftet uns so süß, mit seinem hellen Scheine vertreibt's die Finsternis, wahr Mensch und wahrer Gott ... “

      Maria mit dem Kind zeigt uns, welche vertraute Nähe entsteht,wo der Mensch des Glaubens Gottes Wort an sich heranlässt. Menschen blühen auf, wenn sie in einer Gemeinschaft leben, die trägt. Das wird uns bewusst, wenn wir unser eigenes Leben betrachten. Wir freuen uns über die echten Zeichen von Verbundenheit und wir leiden,wo Nähe verloren gegangen ist. Die Verbindung von Mutter und Kind im Bild der Blüte setzt sich fort in den Bildnissen der Schmerzhaften Mutter, der Pietà als Vesperbild. Menschen des Glaubens sind in der Solidarität des Lebens geborgen, die von der Krippe bis zum Kreuz geht. Die Botschaft der Bibel sagt uns: Wer glaubt, ist nie allein! Wer hofft, wächst über sich hinaus! Wer liebt, bleibt fest verwurzelt! Im Stammbaum Jesu haben wir vor Augen,was uns der christliche Glaube ins Herz pflanzt: „Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich!“ (Röm 11,18b). Die Gestaltung unserer Gesellschaft braucht mehr Wissen um diese Weisheit. Sie ist die Wurzel aller Werte, die Menschen in ihrer Persönlichkeit und in ihrer Verantwortung füreinander wachsen lässt.

      Politik braucht Worte. Das sind wohl ihre wichtigsten Werkzeuge. Die Macht des Wortes bedingt die Möglichkeiten des Machbaren. Sein Wort ,machen zu können', ist eine Voraussetzung dafür, in Staat und Politik etwas bewegen und verändern zu können.Wer viel reden muss,ist leicht in der Gefahr, schnell mit Worten ,dabei zu sein'. Die richtigen Worte zu wählen und zu wägen, ist mehr als Strategie und Diplomatie. Reden und schweigen zu können, ist deshalb eine Gabe, die über die Kunst der Rhetorik hinausgeht. Dieser Zusammenhang erinnert an eine Begebenheit, die über den weisen Philosophen der Antike erzählt wird:

      Zu Sokrates kam einer gelaufen und war voll Aufregung. „Höre, Sokrates, das muss ich dir erzählen, wie dein Freund ... “ „Halt ein!“, unterbrach ihn der Weise, „hast du das, was du mir sagen willst, durch die drei Siebe gegeben? Lass sehen, ob das, was du mir zu sagen hast, durch die drei Siebe hindurchgeht. Das erste Sieb ist die Wahrheit. Hast du alles, was du mir erzählen willst, geprüft, ob es wahr ist? „Nein, ich hörte es erzählen und ...""So so! Aber sicher hast du es mit dem zweiten Sieb geprüft, es ist das Sieb der Güte. Ist das, was du mir erzählen willst, wenn es nicht schon als wahr erwiesen –, so doch wenigstens gut?“ Zögernd sagte der andere: „Nein, das nicht, im Gegen- teil ...“ Nachdenklich unterbrach ihn der Weise: „So lass uns auch das dritte Sieb noch anwenden und lass uns fragen, ob es notwendig ist, mir das zu erzählen, was dich so erregt!“ „Notwendig nun gerade nicht ...“, entgegnete der andere. „Also“, lächelte der Weise, „wenn das, was du mir erzählen willst, weder wahr noch gut, noch notwendig ist, so lass es begraben sein und belaste dich und mich nicht damit.“

      Diese harsche Abfuhr erschreckt und macht zugleich nachdenklich.Worte können so ambivalent sein und inflationär werden. Gute Worte haben ihren Ort und ihre Zeit. Sie brauchen Zurückhaltung, damit sie Aufmerksamkeit gewinnen. Gute Worte führen den Menschen in die Nähe Gottes. Er ist das Wort, das am Anfang war und – wie das Johannesevangelium sagt – Fleisch geworden ist. In Jesus Christus hat Gottes gutes Wort für uns Menschen Namen und Gesicht bekommen.

      „Bene dicere“ – das ist die Selbstentäußerung Gottes in seinem Sohn Jesus Christus. Gutes sagen bedeutet segnen, gesegnet sein und gesegnet werden.

      Der Apostel Paulus trägt das Herz auf der Zunge,wenn er in seinem Brief an die Korinther so leidenschaftlich die Kollekte für die Gemeinde in Jerusalem empfiehlt. Er tut dies mit dem Wort ,Opfergabe', das in der Demokratie Athens die freiwilligen oder zwangsweisen Leistungen begüterter Bürger für das Staatswesen bezeichnet. Gemeint ist damit mehr als Besitz, es steht für die Beiträge Einzelner, die dem Ganzen dienen; es sind Worte, die halten und verbinden; es sind Gaben, die aufbauen und unterStützen.

      Das ,bonum commune' braucht nach der Überzeugung des Apostels die Investition von Worten und Werken, die eine Kultur des ,Miteinander' und ,Füreinander' begründen. Paulus weiß im Voraus: Wer sich so einbringt,wird selbst beschenkt, „wer reichlich sät, wird reichlich ernten“ (2 Kor 9,6b). „Die Früchte der Gerechtigkeit, die Gott wachsen lässt“ (vgl. 2 Kor 9,10b), sind Worte, die wahr, gut und notwendig sind.

      Solche Worte geben – wie ein russisches Sprichwort sagt – Wärme für drei Winter. Der Dialog in der Politik und Gesellschaft, zwischen Personen und Positionen, zwischen Fraktionen und Kommissionen, zwischen Meinungen und Möglichkeiten, braucht Worte, die sich an dem orientieren, was wahr, notwendig und gut für unser Land ist. Die Opfergabe, um die es Paulus zum Aufbau einer tragenden Gemeinschaft geht, ist ein Beitrag, um den die Dichterin Rose Ausländer in ihrer geistlichen Lyrik Gott direkt bittet: „Herr, gib mir das Wort, das mich neu erschafft!“ Die Dichterin meint das Wort, das mich betrifft und mit den anderen verbindet. Sie spricht von dem, was Gott zuerst gibt und was wir brauchen, wenn wir neu anfangen wollen: seinen Segen.

      Es war bei einem Besuch in Rom. Während einer Führung durch die Archivräume des Petersdomes hatte ich die Gelegenheit, das handgeschriebene Testament des Gianlorenzo Bernini zu sehen, dieses großen Baumeisters und Bildhauers der Barockzeit. Sein Vermächtnis ist ein Brief an seinen Sohn, in dem er verfügte: Nach seinem Tod solle für ihn kein Grabmal errichtet werden. Vielmehr bat er darum, in einer Treppe beigesetzt zu werden, und bemerkte: „Erst wenn ein Leben zur Stufe für andere geworden ist, hat es sich wohl erfüllt.“ Wer heute nach Rom kommt und die Basilika Santa Maria Maggiore besucht, begegnet dem Grab dieses großen Bildhauers in einer Stufe zum Aufgang in den Chorraum dieser Kirche.

      Politik ist die Architektur unserer Gesellschaft. Hier entscheidet sich, welche Fundamente und Stufen gebaut werden, welche Säulen und Gerüste es braucht, damit das gemeinsame Haus Bestand hat. Die Herausforderungen in der Welt der Wirtschaft machen uns bewusst, welchen tieferen Grund unsere Gesetze brauchen, damit Gerechtigkeit und Solidarität erfahrbar werden.

      Weil ein tragender Staat auf verlässlichen Fundamenten fußt, braucht es Politiker, die Werte wahren und vertreten. Weil unsere Gesellschaft Wege in die Zukunft sucht, braucht sie Persönlichkeiten mit dem Bewusstsein und der Bereitschaft, zur Stufe für andere zu werden. Diese Belastbarkeit gibt es nicht ohne die Wertschätzung unserer Herkunft und ohne den Mut zur Zukunft. Beides vermittelt sich im Bild der Stufe: Einbindung und Verbindlichkeit, der Blick nach vorn und nach oben.Wo nicht der Glaube an Gott das Fundament für den Blick auf den einzelnen Menschen und das Miteinander in unserer Gesellschaft ist, wird auch der Himmel nicht mehr als das bergende und schützende Dach erfahren. Seelisches Unbehaustsein und leibliche Heimatlosigkeit machen vielen Menschen zu schaffen. Der Satz des Dichters Novalis vermittelt sich nur, wo es die Stufen von Werten und Wahrheiten gibt, die über das Materielle und Funktionale hinausgehen: Er fragt und sagt: „Wohin gehen wir? – Immer nach Hause!“

      Wo Politik die Wege zu Werten freilegt,kommen Positionen in den Blick,


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