Griechische Altertumskunde. Richard Maisch
87), in zweifelhaften Fällen durch Auseinandertreten nach verschiedenen Seiten. Das Recht, in der Versammlung zu sprechen, hatten wohl nur die Könige, Geronten und Ephoren. Ihre ursprüngliche Bedeutung verlor die Volksversammlung durch die dem König Theopomp zugeschriebene Gesetzesbestimmung, der zufolge die Beschlüsse des Volkes für die Regierung nicht mehr bindend sein sollten (vgl. § 15).
§ 18. Die spartanische Zucht (ἀγωγή).
Aus einem Kriegslager war Sparta entstanden (§ 11); nach langwierigen Kämpfen hatten die Einwanderer die alte Bevölkerung unterworfen und geknechtet. Nun galt es, diese Herrschaft zu behaupten. Offenkundig bewahrheitete sich der Satz, daß jede Herrschaft mit denselben Mitteln behauptet werden müsse, durch welche sie begründet wurde. Für die Spartaner galt es, ihren an Zahl weit überlegenen, stets zum Aufstand bereiten Untertanen gegenüber unausgesetzt auf der Hut und in Kriegsbereitschaft zu sein. So zielte die ganze Gemeindeordnung, welche schon Isokrates mit der eines Kriegslagers verglichen hat, auf die Ausbildung der Kriegsfertigkeit ab. Dabei kam der allgemein hellenische Grundsatz, daß jeder nicht für sich, sondern für sein Vaterland geboren sei, in extremer Weise zur Anwendung.
Gleich nach der Geburt wurden schwächliche und mißgebildete Kinder nach der Entscheidung der Phylenältesten im Taygetos ausgesetzt. Die kräftigen Knaben erhielten vom 7. Jahre an eine staatliche Erziehung unter der Oberleitung eines Paidonomos; sie wurden in Scharen (βοῦαι oder ἀγέλαι) und deren Unterabteilungen, Rotten (ῖλαι), eingereiht; an der Spitze dieser Abteilungen standen die tüchtigsten der Iranes (ἴρανες), der jungen Männer von [pg 40]20–30 Jahren. In der Regel bestand zwischen je einem von diesen und einem Knaben ein besonderer Freundschaftsbund zum Zweck der Ausbildung des letzteren. Gymnastische Übungen und Entbehrungen aller Art sollten den Körper abhärten. Proben ihrer Standhaftigkeit legten die Knaben alljährlich am Altar der Artemis Orthia ab, wo sie sich geißeln ließen und derjenige den Sieg gewann, welcher ohne Schmerzäußerung die Geißelung (διαμαστίγωσις) am längsten aushielt. Auch die Eigenschaften der List und Verschlagenheit suchte man bei den Knaben zu entwickeln. Die Mädchen wurden ebenfalls gymnastisch ausgebildet und die Stellung der Frau war eine viel freiere als im übrigen Griechenland, besonders bei den Ioniern. Die geistige Ausbildung, welche gegen die körperliche sehr zurücktrat, beschränkte sich auf die Gewöhnung an kurze, treffende („lakonische“) Reden, auf die Pflege der Musik, die Einübung lyrischer Chorgesänge, Marsch- und Schlachtenlieder und die Homerischen Epen.
Vom 20. Lebensjahre an hatten die Jünglinge, wenn sie durch einstimmige Wahl in eine der aus etwa 15 Personen bestehenden Zeltgenossenschaften (σύσκηνοι) aufgenommen wurden, an den gemeinsamen Männermahlen (ἀνδρεῖα, später φιδίτια, von den übrigen Griechen συσσίτια genannt) teilzunehmen, wobei das Hauptgericht in Blut gekochtes und mit Essig und Salz gewürztes Schweinefleisch, die berühmte schwarze Blutsuppe (βαφά oder αἱματία, auch ὁ μέλας ζωμός) war. Hierzu hatte jeder Teilnehmer einen bestimmten monatlichen Beitrag an Gerstenmehl, Wein, Käse, Feigen und Geld zu entrichten. Unablässige Schulung durch gymnastische und militärische Übungen bildete das Lebensziel auch der Erwachsenen. In der Tat gewann so Sparta ein Heer, das durch kriegsmäßige Geschlossenheit, strengste Subordination und klare Ordnung im Kommando [pg 41]einzig in Griechenland dastand. „Alle andern“, sagt Xenophon, dem hierin ein Urteil zustand, „sind Dilettanten, die Spartaner Künstler im Kriegführen.“
§ 19. Heerwesen und Kriegführung.
Die Dienstpflicht dauerte vom 20. bis 60. Lebensjahre. Die eigentlichen Kerntruppen bildeten die 10 bezw. 15 jüngsten Jahrgänge (τὰ δέκα, πεντεκαίδεκα ἔτη ἀφ’ ἥβης). Über die taktische Gliederung des spartanischen Heeres, die wahrscheinlich wiederholt geändert wurde, sind wir nur unvollkommen unterrichtet. Gegen Ende des Peloponnesischen Kriegs bestand das Heer aus 6 Moren, die wahrscheinlich in folgender Weise gegliedert waren:
1 Mora | = | 2 Lochen | = | 8 Pent. | = | 16 Enom. | = ca. | 600 M. |
1 Lochos | = | 4 Pent. | = | 8 Enom. | = ca. | 300 M. | ||
1 Pent. | = | 2 Enom. | = ca. | 72 M. | ||||
1 Enom. | = ca. | 36 M. |
Die Zahlen geben die ungefähre Normalstärke; sie schwankten je nach der Zahl der aufgebotenen Jahrgänge. Die Mora befehligte der Polemarch, den Lochos der Lochagos, die Pentekostys der Pentekoster, die Enomotie der Enomotarches.
Die Bewaffnung der spartanischen Hopliten bestand in einem roten Waffenrocke (φοινικίς), dem Panzer, Helm, den Beinschienen, dem großen, den ganzen Mann deckenden Schilde, den man sich erst unmittelbar vor der Schlacht vom Schildknappen (ὑπασπιστής) reichen ließ; auf demselben war als Abzeichen der Lakedaimonier ein Λ angebracht; als Angriffswaffen dienten die lange Stoßlanze und das kurze, einschneidige Schwert.
Die Elementartaktik der Hopliten war nach Xenophon in ihren Grundzügen folgende: Die Gefechtsstellung (ἐπὶ φάλαγγος) hat infolge des Bestrebens, den Lanzenstoß möglichst kräftig und nachdrücklich zu gestalten, die verhält[pg 42]nismäßig große Normaltiefe von 8 Mann. Im 1. Gliede (ζυγόν) stehen die Vordermänner (πρωτοστάται), die gewandtesten und geübtesten Leute; jeder Vordermann steht an der Spitze seiner Rotte (στίχος, später λόχος), das letzte Glied bilden die Rottenschließer (οὐραγοί). Die gewöhnlichsten taktischen Bewegungen waren die Wendungen (κλίσεις) rechtsum (ἐπὶ δόρυ), linksum (ἐπ’ ἀσπίδα), kehrt (μεταβολή); Schwenkungen (ἐπιστροφαί); Herstellung der gewöhnlich rechts abmarschierten (der rechte Flügel marschiert an der Spitze) Marschkolonne (επὶ κέρως). Auf den Reisemärschen scheint man meist „zu zweien“ (ἐπὶ δύο) marschiert zu sein, wodurch die Kolonne sehr ausgedehnt wurde. Durch (Links-)Aufmarsch (ἐπ’ ἀσπίδα παράγειν) wird die Gefechtsordnung wiederhergestellt. Verdoppelung (διπλοῦν) der Aufstellung nach der Tiefe (κατὰ βάθος) verringert die Frontbreite auf die Hälfte und bewirkt die doppelte Tiefe; das Gegenteil wird durch die Verdoppelung nach der Länge (κατὰ μῆκος) erreicht. Bei unerwartetem Erscheinen des Feindes im Rücken wurde nicht einfach Kehrt gemacht, sondern um die im 1. Gliede stehenden besten Leute auch wieder in das 1. Glied der neuen Front zu bringen, der Kontermarsch (ἐξελιγμός) nach Rotten ausgeführt. Im hohlen Viereck (πλαισίον), den Troß in der Mitte, die Hopliten außen, marschierte man, wenn