Griechische Altertumskunde. Richard Maisch

Griechische Altertumskunde - Richard Maisch


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in historischer Zeit noch verblieben. Als Einkünfte erhielten die Könige den Pachtzins ausgedehnter Domänen, welche Periöken bebauten, ein Drittel der Kriegsbeute, Anteil an allen Opfertieren, ein Ferkel von jedem Sauwurf. Die Könige wurden auf Staatskosten gespeist und bekamen bei den Syssitien doppelte Portionen. Beim Tode eines Königs wurde ein Leichenbegängnis mit orientalischem Gepränge veranstaltet. Zehn Tage lang dauerte die allgemeine Landestrauer; in jeder Spartiatenfamilie mußten mindestens zwei Personen Trauer anlegen; Periöken und Heloten kamen mit ihren Weibern aus ganz Lakonien zu Tausenden nach Sparta zur gewaltigen Totenklage und Lobpreisung des Verstorbenen, dem Ehren erwiesen wurden „nicht wie einem Menschen, sondern als einem Heros“.

       Inhaltsverzeichnis

      Wie in anderen griechischen Staaten stand dem Königtum in Sparta ein Ausschuß der angesehensten Familienhäupter, der Rat der Alten, „Gerusia“ genannt, mitberatend und mitbeschließend zur Seite. Nun ist in allen griechischen Staaten wie in Rom zu beobachten, daß die Machtbefugnis des alten Heerkönigtums langsam, aber unaufhaltsam dahinschwand, während diejenige des Rates erstarkte; die Leitung des Staates geht vom Königtum fast unmerklich in den Gemeinbesitz der Geschlechtshäupter über: an die Zeit der Monarchie reiht sich ohne erkennbare Grenzlinie die Aristokratie. Mögen nun auch persönliche Unfähigkeit einzelner Könige, Thronstreitigkeiten, fortwährender Zwist der beiden Königshäuser, Mißerfolge im Felde die Minderung der monarchischen Gewalt verschuldet haben: [pg 35]jene immer wiederkehrende Erscheinung muß ebenso einen tieferen Grund gehabt haben, wie bei den Deutschen nach der Völkerwanderung der Übergang vom alten Heerkönigtum zur Feudalherrschaft des Adels, der Herren von Grund und Boden. Das alte Heerkönigtum hatte auf der breiten Grundlage des Heerbannes der Kampf- und Wanderzeit geruht, innerhalb dessen alle an Besitz und Recht sich gleichstanden. Nachdem die Eroberer seßhaft geworden, löste sich im Lauf der Menschenalter die alte Gleichheit der Lagergemeinschaft: besaßen die meisten nur das zum Unterhalt Nötige, so häufte sich dagegen in den Händen einzelner Familien ein umfangreicher Besitz an, auf Grund dessen ihre Häupter höheren politischen Einfluß beanspruchten und gewannen.

      Die Gerusie zu Sparta bestand aus 28 über 60 Jahre alten (also nicht mehr felddienstpflichtigen), aus den angesehensten Geschlechtern auf Lebenszeit gewählten Mitgliedern. Die Wahl erfolgte durch Akklamation (βοῇ), indem die Kandidaten in erloster Reihenfolge durch die Volksversammlung gingen und derjenige für gewählt galt, der nach der Entscheidung von Männern, welche in einem in der Nähe befindlichen Gebäude eingeschlossen waren, mit dem lautesten Zuruf begrüßt wurde. Der Rat hatte alle Anträge, die an die Volksversammlung kommen sollten, vorzuberaten; die Entscheidung stand, wenigstens ursprünglich, der letzteren zu. Allein nach einem dem König Theopomp (754) zugeschriebenen Gesetze konnten Rat und Könige einen „schiefen“ Beschluß der Gemeinde als ungültig behandeln. Der Rat übte ferner die Gerichtsbarkeit in Mord- und Hochverratsprozessen. Die bedeutende Stellung, welche er in der Lykurgischen Verfassung einnahm, vermochte er später nicht mehr zu behaupten, als die Ephoren allmählich die gesamte Oberleitung des Staates an sich zogen.

      [pg 36]

       Inhaltsverzeichnis

      Die lebenskräftigste Gewalt im spartanischen Gemeindeleben war die Behörde der 5 Ephoren, welche jährlich vom Volke aus sämtlichen vollberechtigten Spartiaten gewählt wurden. Der erste derselben, welcher den ständigen Vorsitz im Kollegium führte, war eponym, d. h. nach ihm wurde das Jahr benannt. Innerhalb des Kollegiums entschied die Mehrheit, der sich die Minderheit unbedingt zu fügen hatte. Ob das Ephorat schon in der Lykurgischen Verfassung existierte oder erst von dem König Theopomp (754) eingesetzt wurde, steht ebensowenig fest wie der ursprüngliche Umfang der Befugnisse: ob nämlich die Ephoren ursprünglich als Gehilfen und Stellvertreter der Könige und von diesen ernannt mit der Zivilgerichtsbarkeit und Polizeiaufsicht in den 5 Bezirken Spartas betraut waren, oder ob sie vielleicht schon von Haus aus als Vertreter der Interessen der spartanischen Adelsgemeinde gegenüber dem Königtum eingesetzt wurden. Immerhin weist ihr Name (ἔφορος = Aufseher) darauf hin, daß sie von Anfang an ein gewisses Aufsichtsrecht besaßen, das sich schließlich zur Oberaufsicht über die gesamte Staatsverwaltung und Leitung aller inneren und äußeren Angelegenheiten entwickelte. Diese Erweiterung ihrer Machtbefugnis ward begünstigt durch den fortwährenden Hader der beiden Königshäuser, welcher die Wirksamkeit des ohnedies durch wiederholte Verurteilungen einzelner Könige in seinem Ansehen gesunkenen Königtums vollends lahmlegte, und sie ist um so begreiflicher, als in dem Ephorate die beiden treibenden Kräfte des spartanischen Gemeindelebens – das Mißtrauen des Adels gegen das Königtum und der Argwohn der dorischen gegen die unterworfene achäische Bevölkerung verfassungsmäßigen Ausdruck gefunden hatten.

      [pg 37]

      Monatlich tauschten Könige und Ephoren einen Eid aus, wobei die ersteren schwuren, daß sie nach den Gesetzen regieren wollten, wogegen die Ephoren im Namen des Volkes versprachen, in diesem Falle die königliche Gewalt ungeschmälert zu erhalten. Die Ephoren konnten nicht nur die Beamten, die alle nach Ablauf ihres Amtsjahres ihnen rechenschaftspflichtig waren, sondern selbst Könige vor sich laden, verhaften und von der Gerusie aburteilen lassen. Sie beriefen und leiteten die Gerusie und die Volksversammlung und sorgten für die Ausführung der Beschlüsse derselben. Aus letzterem Grunde treten sie besonders bei der Leitung der auswärtigen Politik hervor. Sie verhandeln mit den Gesandten fremder Staaten, ordnen die Mobilmachung an (φρουρὰν φαίνειν) und bestimmen, wie viele Jahrgänge auszumarschieren haben. Mit den Feldherren bleiben sie auch während des Kriegs in direktem Verkehr, berufen sie unter Umständen ab und erteilen ihnen durch geheime Depeschen, Skytalai, Verhaltungsmaßregeln. (Die Skytale war ein schmaler Riemen, der um einen Stab gewickelt, in fortlaufenden Zeilen beschrieben, dann wieder abgewickelt und dem Betreffenden zugeschickt wurde; um das Geschriebene lesen zu können, mußte man den Streifen wieder um einen genau entsprechenden Stab wickeln.)

      Die Ephoren hatten ferner den größten Teil der Zivilgerichtsbarkeit, wobei sie als Einzelrichter fungierten, leiteten die Finanzverwaltung und beaufsichtigten den Staatsschatz.

      Aber nicht nur die Tätigkeit der Beamten und Könige, sondern auch das Verhalten der Bürger, die Jugenderziehung wie das Privatleben der Erwachsenen, selbst der Könige, überwachten die Ephoren bis ins kleinste nach der Richtung, daß überall der staatliche „Kosmos“, die strenge Zucht und Sitte und die öffentliche Ordnung, gewahrt bleibe. [pg 38]So forderten sie seit alter Zeit bei ihrem Amtsantritt die Bürger feierlich auf, den Schnurrbart zu scheren und den Gesetzen zu gehorchen. Fremde, von denen man einen nachteiligen Einfluß auf die Bürger befürchtete, wurden ohne weiteres von ihnen ausgewiesen (ξενηλασία). Die Ephoren bildeten so ein oberstes Sittengericht, das durch sein fortwährendes, unmittelbares Eingreifen einen unvergleichlich größeren Einfluß ausübte als die römische Zensur.

      Eine besonders wichtige Aufgabe bildete endlich die beständige Überwachung und Niederhaltung der Periöken und Heloten; erstere konnten sie jederzeit ohne Richterspruch töten lassen, gegen die letzteren entfalteten sie durch die Krypteia (s. § 12) eine wahre Schreckensherrschaft.

      So war das Amt der Ephoren die Exekutive der spartanischen Aristokratie; seit dem 5. Jahrhundert lag die Regierung tatsächlich in der Hand dieser Behörde, der die Gerusie als Staatsrat zur Seite stand. Ihre selbstherrliche Gewalt war nur insofern eingeschränkt, als sie ein Kollegium von Fünf bildeten, nur auf Jahresfrist gewählt waren und von ihren Amtsnachfolgern zur Rechenschaft gezogen werden konnten.

       Inhaltsverzeichnis

      Zur Teilnahme an den monatlich stattfindenden, ursprünglich von den Königen, in historischer Zeit von den Ephoren geleiteten


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