Griechische Altertumskunde. Richard Maisch
sie gehörten, zu bebauen und von dem Ertrage eine jährliche feste Abgabe an ihre Herren abzuliefern hatten; sie konnten eigenes Vermögen erwerben. Von ihren Herren durften sie weder freigelassen noch außer Landes verkauft werden. In den Krieg folgten sie den Spartiaten als Waffenknechte; so kamen bei Platää auf jeden Spartiaten 7 Heloten; auch als Leichtbewaffnete und Ruderknechte wurden sie verwendet, seit dem Peloponnesischen Kriege sogar als Hopliten. Je gefährlicher ihre Überzahl erschien, desto argwöhnischer und grausamer wurden sie von den Spartiaten behandelt. Um sie ermorden zu können, ohne dadurch eine Blutschuld auf sich zu laden, erklärten ihnen die Ephoren alljährlich bei ihrem Amtsantritt offen den Krieg. Ein förmliches Überwachungs- und Verfolgungssystem war in dem Institut der Krypteia eingerichtet. Bewaffnete junge Spartiaten durchstreiften das Land und töteten kurzerhand jeden irgendwie Verdächtigen. So ließ man während des Peloponnesischen Kriegs 2000 Heloten, die sich im Felde ausgezeichnet hatten, auf einmal spurlos verschwinden. Dieses großartig organisierte System des Massenmeuchelmords zeigt die Eigenart des vorgeschichtlichen dorischen Räuberstaates in greller Beleuchtung. Die Heloten rächten sich dafür durch furchtbare Aufstände, welche Sparta wiederholt an den Rand des Verderbens brachten.
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§ 13. Die Spartiaten.
Im Gegensatz zu der unterworfenen Bevölkerung der Heloten und Periöken nannte sich die herrschende dorische Bürgergemeinde Spartiaten, während im Verkehr mit dem Ausland die offizielle Bezeichnung des Staates Lakedaimonier war. Sie gliederte sich nach den 3 altdorischen Phylen der Hylleer, Dymanen und Pamphyler und nach 27 Phratrien. Daneben gab es eine lokale Einteilung nach 5 Phylen oder Distrikten, den oben (§ 11) genannten 5 Dörfern (κῶμαι) Spartas, von denen die 30 (?) Oben (ὠβαί) wohl Unterabteilungen waren. Das Vollbürgerrecht war nicht nur durch die Geburt, sondern auch durch die Teilnahme an der vorgeschriebenen staatlichen Erziehung und die regelmäßige Beitragleistung zu den gemeinsamen Mahlzeiten bedingt. Die Vollbürger hießen als unter sich gleichberechtigt die „Gleichen“ (ὅμοιοι), während diejenigen, welche eine der beiden letzten Bedingungen nicht erfüllten, die Klasse der Halbbürger (ὑπομείονες) mit den zivilen, aber ohne die politischen Rechte, bildeten. Jeder Spartiate war im Besitz eines Bauernguts (κλᾶρος), das aber nicht von ihm selbst, sondern von den dazu gehörigen Heloten bewirtschaftet wurde, so daß er selbst ganz seinem kriegerischen Berufe leben konnte. Nach der Überlieferung wurde das Land bei der Besitznahme durch die Eroberer in 6000 (?) Ackerlose geteilt, die im allgemeinen annähernd gleich groß waren und von ihren jeweiligen Inhabern nicht veräußert werden durften. Im Lauf der Zeit entwickelte sich jedoch naturgemäß eine Ungleichheit des Besitzes, die zwar bei der fortschreitenden Gebietserweiterung Spartas durch Teilung des neugewonnenen Landes (z. B. Messeniens durch Polydor) wohl teilweise wieder ausgeglichen wurde, aber doch immer wieder und zwar in verstärktem Maße zutage trat, so daß auch in Sparta der [pg 31]Gegensatz von reich und arm entstand. Dieser Prozeß wurde noch befördert durch das Gesetz des Ephoren Epitadeus, welches jedem gestattete, auch bei vorhandener Nachkommenschaft sein Gut schon bei Lebzeiten zu verschenken oder testamentarisch jedem beliebigen zu vermachen; unter der Form der Verschenkung oder Vererbung verbarg sich von jetzt an häufig ein tatsächlicher Verkauf des Guts. So kam schließlich der ganze Grundbesitz in die Hände weniger Personen, die ein üppiges Leben führten, während viele verarmte Spartiaten die Beiträge für die Syssitien nicht mehr aufbringen konnten und infolgedessen ihr Bürgerrecht verloren.
Die Anhäufung einer größeren Zahl von Landgütern in den Händen einzelner Personen stand in engem Zusammenhang mit der Hauptkalamität Spartas, der stetigen Verminderung der Kopfzahl der Spartiaten. Aus Mangel an Männern ist Sparta zugrunde gegangen, sagt Aristoteles. Während Neuaufnahmen von Bürgern in Sparta so gut wie gar nie vorkamen, schmolz durch die Verluste in den andauernden Kriegen die Zahl der Vollbürger immer mehr zusammen, ein Prozeß, der sich weder durch Vergünstigungen für solche, welche 3 oder 4 Söhne hatten, noch durch Bestrafung derer, die gar nicht oder zu spät heirateten (δίκη ἀγαμίου, ὀψιγαμίου), aufhalten ließ. Während es zur Zeit der Perserkriege noch 8000 Spartiaten gab, belief sich ihre Zahl im Jahre 371 auf kaum mehr als 1500; Aristoteles berechnet für seine Zeit (etwa 330 v. Chr.) nicht ganz 1000 Spartiaten; bei dem Regierungsantritt Agis’ IV. (243 v. Chr.) waren es noch 700, von denen etwa 100 im alleinigen Besitz von Grund und Boden waren.
Je mehr aber diese Ungleichheit des Besitzes dem altspartanischen Grundsatz gleicher Lebensführung und Bürgerpflicht widersprach, desto lebhafter mußte sich einem Patrioten der Gedanke aufdrängen, daß es einst, zu Lykurgs Zeiten, [pg 32]besser gewesen sei, indem damals alle gleiche Ackerlose gehabt hätten. So unternahm es König Agis IV., „die lykurgische Verfassung wiederherzustellen“, indem er alles Ackerland für die Spartaner in 4500 Lose teilte; ihre Zahl sollte durch Aufnahme von Periöken ergänzt werden. Allein der wohlgemeinte Versuch scheiterte am Widerstand der Besitzenden, und der hochherzige König büßte mit dem Tode. Was er gewollt, gelang dem energischeren König Kleomenes (seit 235 v. Chr.), der die Ephoren ermordete, Ephorat und Gerusie abschaffte, alle Schulden aufhob, das Land neu verteilte und die Zahl der wehrfähigen Bürger durch Aufnahme von Periöken auf 4000 brachte; aber nach der unglücklichen Schlacht bei Sellasia (221 v. Chr.) hob der Sieger Antigonos von Makedonien alle Neuerungen des Kleomenes wieder auf – und Spartas Anteil an der Geschichte ist zu Ende.
§ 14. Das Königtum.
Vielleicht die auffallendste Erscheinung der spartanischen Verfassung ist das Doppelkönigtum. Wir finden in Sparta zwei Königshäuser, die Agiaden und die Eurypontiden, welche als ihre mythischen Stammväter den Eurysthenes und Prokles nannten. Da ein solches Doppelkönigtum dem Wesen des Kriegerstaates offenbar widerspricht, so hat man neuerdings vermutet, dasselbe sei das Ergebnis des Vergleichs zweier Fürstengeschlechter, welche an der Spitze von zwei verschiedenen (dorischen oder einer dorischen und einer achäischen?) Gemeinden gestanden seien. Nach Aristoteles läge die Absicht zugrunde, durch die aus dieser „Diarchie“ entspringende Rivalität der beiden Häuser Übergriffe des Königtums zu verhindern. Tatsächlich waren die beiden Königsgeschlechter, deren Trennung geflissentlich aufrecht erhalten wurde, und welche deshalb voneinander gesonderte Woh[pg 33]nungen, gottesdienstliche Funktionen und Grabstätten hatten, fast immer im Streite miteinander. Zur Erbfolge war in erster Linie der nach der Thronbesteigung des Vaters zuerst geborene Sohn berechtigt; war kein Sohn da, so ging die Regierung auf den nächsten männlichen Agnaten über, der auch im Fall der Minderjährigkeit des Thronfolgers als dessen Vormund (πρόδικος) die Regentschaft zu führen hatte.
Die spartanischen Könige mit dem offiziellen Titel Archagetai (ἀρχαγέται) waren ursprünglich ebenso wie die Könige des Homerischen Zeitalters (vgl. § 21) oberste Kriegsherren, Richter und Priester, wurden aber mit der Zeit in ihren Rechten mehr und mehr beschränkt und verloren ihre leitende Stellung im Staate an die zu immer größerer Macht gelangenden Ephoren.
Als Oberpriester brachten sie für den Staat die regelmäßigen Opfer im Frieden wie bei den Feldzügen dar und vermittelten durch je zwei von ihnen erwählte Pythioi den Verkehr mit dem delphischen Orakel. Von der richterlichen Gewalt, die fast ganz auf die Ephoren und die Gerusie überging, verblieb ihnen die Entscheidung familienrechtlicher Streitigkeiten, besonders betreffs der Verheiratung verwaister Erbtöchter; auch stand ihnen die Bestätigung der Adoptionen zu, eine wichtige Funktion in der festgeschlossenen Adelsgemeinde. Als oberste Kriegsherren hatten sie ursprünglich das Recht der Kriegserklärung, das später die (in ihren Entschließungen ganz von den Ephoren geleitete) Volksversammlung erhielt. Seit 506 durfte immer nur ein König ins Feld ziehen; hier hatte er unumschränkte Gewalt über Leben und Tod und freie Entscheidung über die militärischen Operationen, aber auch die Verantwortlichkeit für dieselben; wegen mißglückter Unternehmungen konnte er nachher zur Rechenschaft und Strafe gezogen werden; auch gingen zu seiner Kontrolle regelmäßig 2 Ephoren