Zinnobertod. Reinhard Lehmann

Zinnobertod - Reinhard Lehmann


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habe eine Überraschung parat. Eistee, aus Kräutern hergestellt, selbstgemachtes Gebäck. Mögen Sie?«

      Sie hob den Blick. Wie zufällig trafen sich die beiden Augenpaare. Lorenz zuckte elektrisiert zusammen. Der Blitz hinterließ einen Funken, einen Bann, den Zwang, ihr wieder nahe zu sein. Ein Gefühl, das üblicherweise nicht zwischen ihm und einem Kontakt zustande kam.

      »Bitte, verschwenden wir keine Zeit«, sagte sie. Ihre Hand wies auf einen Rohrsessel. »Habe ich in eigener Handarbeit hergestellt. Sind alles Haselnussruten.«

      Lorenz drehte vor Begeisterung den Kopf hin und her. Überall bemerkte er Holzgestelle mit Keramiktassen, Vasen, Teller, Schüsseln. Der leuchtende Rotton mit wolkenartig eingelagerten graublauen Einfärbungen faszinierte ihn.

      »Das ist Spitzenklasse, Evelyn Feist. Ein satter Ton, der zum Hinsehen animiert. Habe ich bisher in keinem Geschäft, geschweige denn Baumarkt gesehen.«

      »Freut mich, Ihre Begeisterungsfähigkeit. Ich vermarkte meine Waren direkt auf Wochenmärkten im Harzkreis. Kaum überregional. Der Fokus ist auf das Plateau des Hexentanzplatzes ausgerichtet. Die Produkte verkaufen sich recht ordentlich. Ich lege Wert auf Design und Qualität. Schauen Sie sich in der Werkstatt um. Ich bin gespannt auf Ihre Meinung.«

      Lorenz ließ die Worte vorbeigleiten.

      »Probieren Sie das da«, meinte sie. In der Hand hielt sie eine zylindrische Keramikdose mit Deckel.

      »Kekse, ein Verkaufsschlager im Harz. Das Rezept der Hausherrin.«

      »Pardon, mich reizt vielmehr die Form des Behälters. Die Lasur ähnelt der auf den anderen Gefäßen. Irre ich da?«

      »Ihr Gefühl trügt nicht. Das sind absolute Highlights. Bitte, ich schlage vor, die Höflichkeit zur Seite zu legen. Eine Stunde Gespräch, vier Gläser Eistee, selbstgebackene Kekse schaffen Lust auf mehr.«

      »Trifft auf mich ebenso zu! Ihnen hier zu begegnen, war eine vernünftige Entscheidung. Sie verfügen über eine meisterhafte Begabung. Tja, vor allem das freigiebige Entgegenkommen mit einem geballten Paket an Informationen war erste Klasse«, sagte er. Wilhelm Feist bemerkte das Feixen in seinem Gesicht. Beschämt drehte er sich zur Seite. Lorenz gab keinen Kommentar ab. Es war ihm zu blöd.

      »Ich werde am späten Nachmittag im Polizeipräsidium erwartet. Besten Dank!«, erklärte er stattdessen.

      »Verstehe, das heißt, Sie checken sicher gleich im Hotel ein?«, wollte Evelyn Feist nun wissen.

      »Ja, unter Umständen, weshalb fragen Sie? Ist für mich die Gelegenheit, um noch eine Mütze voll Schlaf zu bekommen. Zu wandern beabsichtige ich nicht.«

      »Schade, mir liegt grade ein Vorschlag auf der Zunge. Ich würde Sie liebend gern begleiten.«

      »Einverstanden!«, sprudelte es aus ihm heraus. »Nicht heute. Morgen, übermorgen. Wohin möchten Sie mich denn führen?«

      »Zur Walpurgishalle, nahe dem Hexentanzplatz. Das ist ein geschichtsträchtiger Ort. Ein blockhausartiger Museumsbau im altgermanischen Stil. Götterdämmerung, Teufel und Hexen zeigen sich dort mit neuem Blick für Übersinnliches. Die beste Gelegenheit, um Verständnis zu schaffen. Ich sehe Ihnen an, wie sich Ihre Gedanken gegen all das hier in meinem Heim auflehnen. Interesse?«

      »Angenommen! Zustimmung erteilt! Wann treffe ich Sie?«, unterdrückte er das aufkommende, interne Siegesgeheul im Hinterkopf.

      »Morgen, neun Uhr vor dem Hotel, okay?«, schwebten ihre Worte anhaltend in der Luft. Und dem Augenschein nach erzielten sie Wirkung. Sein Gesicht färbte sich puterrot.

      »Das ist faktisch unmöglich«, versuchte er sich auf die Gegebenheit einzustellen. »Auf Wiedersehen, Evelyn Feist«, sagte er aus tiefer Inbrunst heraus. Sein Blick konzentrierte sich auf ihren makellos kurzen Haarschnitt. Der passte blendend zu dem fein geschnittenen Gesicht. Ihre Art Lebenskunst, die sich gegen traditionelle Normen des Frauenbildes in der Sekte wandte. Sein Instinkt verriet, dass sie ihm Vertrauen entgegenbrachte. Mit dem Gedanken, dass sie im Augenblick die einzige Möglichkeit war, Insiderwissen zu erlangen, verabschiedete er sich.

      Stunden später erschien Lorenz in der Polizeidirektion Harz. Eine Entscheidung, die er bezüglich des Zeitpunktes eigenmächtig traf. Sie erwies sich goldrichtig. Zuerst der Bürgermeister, gefolgt von Evelyn Feist. Schlusslicht bildete der Ansprechpartner der hiesigen Dienststelle. Was sie alle gemeinsam hatten, war die Kenntnis über eine dürftige Datenlage. Ein Polizeioberrat riss ihn aus der Traumwelt. Die Gegenwart zeigte sich anders. Brutaler, wie sie im Gesicht geschrieben stand. Der Vorgesetzte ließ ihn spüren, dass Beförderung Macht bedeutete. Sein Titel an der Tür unterstützte diesen Eindruck. Lorenz registrierte es still. Es war ihm scheißegal. Beim Betreten des Raumes bohrte sich der Anblick einer dünnen Akte ins Auge. Sie lag auffällig auf dem sonst leergefegten Schreibtisch. Einem Scheißhaufen voll ungeklärter Fragen gleichkommend.

      »Und, Oberkommissar, was tragen Sie bei, den Deckel zu füllen?«, fiel die Begrüßung frostig aus. »Sie haben sich den Befehlen widersetzt. Das kostet Sie Ihren Kopf. Bei allem gebührenden Respekt zu Ihrer Person. Der vorauseilende Glanz passt nicht zu der Tatsache, beratungsresistent zu sein. Ich habe Sie vor dem Auftritt in der Öffentlichkeit an meinem Tisch erwartet. Sie zogen es vor, den Bürgermeister zu beschwatzen. Scheiße, verdammt! Die Ausreden sind nichts wert«, verlor er sich in einer Handbewegung. »Egal. Ich höre Ihnen zu. Setzen Sie sich«, folgte ohne Übergang. »Ihre Kollegen in Magdeburg haben sie der Form halber telefonisch avisiert. Äh ja, das Gutachten, schauen wir uns das an«, erklärte er mit einer Kopfbewegung zur Tischplatte.

      Der sprichwörtliche Stock im Rücken lockerte sich geringfügig. Der Sache zuliebe fahre ich einen Gang zurück.

      »Hier, Ihr Vorgang,« sagte er, den Kriminalisten vom LKA einen Moment anstarrend. Er saß Lorenz aufrecht in einem ohne jeden Reiz wirkenden Büro gegenüber. Beide Hände lagen gefaltet auf einem Stapel beschrifteter Ordner. Die Kontaktlinsen auf den graugrünen Augen ließen seinen Blick kaum deuten.

      »Entschuldigung! Ich hege keine Absicht, Stress zu bereiten. Es hätte ein paar Telefonate gebraucht. Stattdessen rechtfertige ich mich hier. Na ja, leider waren Sie nicht erreichbar. Die Order meines Chefs lautet: Handeln Sie! Das ist mit dem Präsidenten des LKA abgestimmt. Soweit zum Anschiss. Fragen?«

      »Sie sind mit der Materie vertraut, Kriminaloberkommissar?«, änderte urplötzlich alles.

      »Nein, nicht tiefgründig genug. Ich sitze hier, um von Erkenntnisfortschritten in der Fallbearbeitung durch ihre Dienststelle zu profitieren.«

      »Herr Lorenz, das klingt nach Kritik. Hmm, die Details lesen Sie besser selbständig. Der Kollege vom Revierkriminaldienst, der den Fall bearbeitet, befindet sich im Krankenstand.«

      »Okay. Ich helfe gern. Mit ein Krümchen Glück bin ich in drei bis vier Tagen wieder im LKA.«

      »Vorbehaltlich, Sie schaffen es, zwei ungeklärte Fälle aufzuklären.«

      »Was spricht dagegen? Der eigentliche Stachel bei meinen Ermittlungen ist die DNA. Darüber lässt sich ohnehin vielschichtig debattieren. Ich werde keine Ruhe geben. Das Bauchgefühl sagt mir, wir jagen einen einzigen Täter.«

      »Gefühl hin oder her, Ihr Tatverdächtiger lacht sich eins ins Fäustchen.«

      »Von mir aus. Ich leite hier eine komplett andere Ermittlung. Das Tatmotiv scheint sich weit mit Ereignissen in der Vergangenheit zu verknüpfen.«

      »Hmm, das verwundert mich. Lassen Sie hören. Bin gespannt. Kaum springt ein Rock über den Weg, da halluzinieren Sie. Ihre leichtgläubige Vorgehensweise korrespondiert nicht mit der wirklichen Lage vor Ort. Mein Rat: Zügeln Sie ihr imposantes Seelenleben. An dieser Stelle bereitet mir das Angst.«

      »Weil? Ich verstehe nicht.«

      »Lorenz, verschaukeln Sie mich nicht.«


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