Zinnobertod. Reinhard Lehmann

Zinnobertod - Reinhard Lehmann


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halten uns an irgendwelche Vorschriften. Was meinen Sie, warum man mich an die Front geschickt hat. Bitte, wir schließen Frieden und vergessen die Kompetenzstreitigkeiten.«

      »Lorenz, ihr dreckiges Grinsen sorgt für Irritationen. Sie sind das berühmte Schlitzohr, das Feuer schürt. Ist mir klar. Einzig fehlt den Worten der überzeugende Beweis.« Statt Frust zu versprühen, lächelte er artig. Er erhob sich, um auf Lorenz zuzugehen. »Hier, meine Hand. Schlagen Sie ein.«

      Zögerlich folgte dessen Antwort: »Einverstanden! Deal!«

      »Prima! In Ihrer Haut zu stecken, verkneif ich mir lieber. Egal! Ihr Geschäft scheinen Sie ja zu beherrschen. Handeln Sie nach Gutdünken.«

      »Bin dabei. Es gibt einen relevanten Ansatzpunkt, um Licht in den Scheißhaufen der Gerüchteküche zu bringen.«

      »Und? Sie meinen, das ist ein Anfang?«

      »Ja! Es betrifft den Sohn des Vermissten. Er hat vor Jahren Selbstmord begangen. Das ist ein schwerer Verstoß gegen den Kodex der Sekte. Selbsttötung entspricht nicht der Moralauffassung der Gläubiger. Und Rache ist ein gebräuchliches Motiv für Tötung und Mord.«

      »Dem stimme ich zu und unterschreibe es blind. Sie prüfen jeden Schatten eines Verdachts. Und bitte, nicht übertreiben. Negative Überraschungen brauche ich nicht.«

      »Geduld und Diskretion beflügeln die Wahrheitssuche.«

      »Da ist was dran. Gefällt mir, Lorenz. Angenommen, ich unterschätze Ihre Ungeduld. Stürzt Sie die Ignoranz der Gefahr in ein tiefes Loch?«

      »Nein! Ich bin ja lange genug dabei. Heute gab es bemerkenswerte Begegnungen mit einmütigem Ende.«

      »Ja und? Das Ergebnis?«

      »Der Vermisste gab erste Hinweise zur Identität frei.«

      »Das erstaunt mich. Aber warum überrascht mich das nicht? Ist das einer Ihrer Tricks, Lorenz? Wer verbirgt sich dahinter?«

      »Herr Polizeioberrat. Nicht er, sondern was, ist die bessere Frage.«

      »Wortklauberei. Karten auf den Tisch. Wie lautet die Lösung?«

      »Wenn ich nicht einem Irrtum unterliege, gründet sie auf einem Konflikt.«

      »Blödsinn! Sie benutzen wieder einen dieser irrsinnigen Blitzableiter?«

      »Ja. Macht kontra Mord!«

      »Es reicht. Schaffen Sie eine klare Beweislage. Spekulationen hasse ich. Und formen Sie Ihr taffes Selbstbewusstsein.«

      »Das lob ich mir. Es gehört zu meiner Lebensart. Mit dem Auftritt im Rathaus entlädt sich die gigantische atmosphärische Energie komplexer Ermittlungen.« Sichtbar erleichtert fuhr er Luft schnappend in lockerer Tonart fort. »Bitte hören Sie. Ich beabsichtige, den unbekannten Tätern die Wichtigkeit des Erinnerns klarzumachen. Da ist diese rote Linie, die Hass in Gewalt umschlagen lässt. Diese Grenze wahrzunehmen, lautet: Bis dahin, okay. Überschreitung heißt, die Härte des Gesetzes zu erfahren.«

      »Mensch Lorenz, wechseln Sie zur Staatsanwaltschaft. Das Denkmuster gefällt mir. Es ist nicht neu, nein. Zugegeben, ein Vermächtnis im Kampf gegen die Kriminalität. Damit das beste Argument, das ich in letzter Zeit zur Kenntnis erhielt.«

      »Danke für die Lobeshymne! Schurken jagen gehört zu meiner Mission. Dem menschlichen Skelett in der Bode geben wir bald einen Namen. Die DNA wird’s hoffentlich richten. Und ein vielversprechender Anfangskontakt, der mich in die Nähe des Vermissten bringt.«

      »Abgemacht, Oberkommissar. Das ist Klartext, der mir zusagt. Ich überlasse Ihnen den Vorgang zur eigenständigen Bearbeitung. Verstärkung wär ja deplatziert. Treiben Sie die Sache voran. Ihrem Chef lasse ich aus erster Hand die Arbeitsfortschritte zukommen. Passt das?«, verlor sich im Nebel der Gedankenwelt von Lorenz.

      »Evelyn Feist, ich bin dir nahe«, schob sich grade in den Vordergrund. Zum allerbesten Zeitpunkt, wie es schien. Es passierte unverhofft, einer kurzentschlossen Eingebung folgend. Der Ewiggestrige stolperte in die bekannte Falle. Beziehungsgeflechte zum weiblichen Geschlecht vernebelten ihm oft genug das Hirn. Kaum einer der Gleichaltrigen im Amt schwor mehr auf das Festhalten an lockeren Bindungen, wie er es tat. Der Polizeioberrat würde diese Gedankengänge nicht gutheißen. Sie waren zu abstrakt, dem Instinkt und Glücksmomenten geschuldet.

      »Lorenz, Ihre übergroße Klappe haben wir heute mit einem Handschlag besiegelt. Beifall klatschen Sie lieber nicht. Sie stehen sonst auf weiter Flur im Abseits. Na ja. Wem erkläre ich das. Mein Wort hat Gültigkeit: Hier, ergreifen Sie die schützende Hand. Wenn Sie Beistand benötigen, da, das Telefon.« Er hob es in Augenhöhe an und sagte impulsiv: »Es ist für Sie rund um die Uhr empfangsbereit.«

      Lorenz nickte dankend. »Ich komme drauf zurück, garantiert«, antwortete er nüchtern in dem Bewusstsein, gleich das Büro zu verlassen. »Ich wurschtele mich durch«, behielt er für sich. Ebenfalls die Absicht, zuallererst Evelyn Feist zu befragen. Bei derartigen Gedanken klopfte der Puls. »Raus hier«, signalisierte eine Stimme in seinem Hirn. »Nimm die Akte und geh!«, verlor sich im weiteren Fortgang, wobei er abwesend darin blätterte.

      Weil das Smartphone nervend tönte, schnappte er es, den Frust hineinschreiend. »KOK Lorenz am Apparat. Mit wem spreche ich?«

      »Mensch Benno«, erwiderte da der Experte für digitale Forensik. »Das ist ja eine Ewigkeit her. Ausgezeichnet, dich an der Strippe zu haben. Bist mir im LKA entwischt.«

      »Hallo Rolf, dein Pech, das mit dem Telefon. Ich mach´s kurz. Vor mir liegt der Bericht zu dem Toten in der Bode. Bekannt?«

      »Hmm, ich schlussfolgere daraus, dass du im Moment in der Polizeidirektion im Harz sitzt.«

      »Das ist eine veränderliche Größe. Ja, Treffer. Mindestens eine Woche lang. Bin für den Zeitraum unterstützend bei der Fallbearbeitung im Harzvorland tätig. Personalengpässe, du weißt«, verschluckte er nachdrängende Wörter. »Komm, verderben wir uns nicht den Tag mit solchen Themen. Hör zu. Ich benötige dringend deine Hilfe. Am Telefon in Kurzform«, schob er hinterher.

      »Ja klar«, folgte blitzartig die Antwort.

      »Du kennst meine Einstellung.«

      Der Forensiker lachte in den Hörer. »Gib mir die Vorgangsnummer. Bleib den Moment am Apparat. Ich befrage den elektronischen Kumpel. Ah, da lässt sich was erahnen. Hier ist Fieses passiert«, hörte er den Freund ausrufen. »Ich stelle mir vor, dass dich die Analytik nebst Bewertung der gefundenen Spuren irritiert. Sag, haben die Kollegen bei den Ermittlungen Hinweise zum Umgang mit Quecksilber dokumentiert? Das wäre ein Schlüssel von hoher Relevanz. Der Tote hatte damit hundertprozentig zu schaffen. Aus meiner Sicht besteht der Verdacht, dass er der Wirkung des Schwermetalls ausgesetzt war.«

      »Rolf, ein chemisches Element? So ein Stoff wie im Thermometer?«

      »Korrekt. Ist ein heimtückisches Material. Es schädigt das Nervensystem.«

      »Bitte beschreib das näher.«

      »Wenn du das wünscht, gern. Ich empfehle, Details nachzulesen. Sieh im Internet nach. Das langt hinreichend, ohne in tiefgründige Fachsimpelei zu verfallen.«

      »Vortrefflich gesprochen. Setzt voraus, mein Lieber, die Identität des Toten zu kennen.«

      »Benno, das ist die eine Seite. Für eine umfassendere Antwort: Geh tief in dich. Überlege, was ein Mensch erlebt, der Stimmungsschwankungen ausgesetzt ist. Die setzen sich fort mit Erregungszuständen. Schlimmstenfalls treten Sprachstörungen und Muskelzuckungen ein. Sag mir, was der Betroffene unternimmt?«

      »Er sucht den Arzt auf, was sonst!«

      »Akkurat! Das bedeutet, derjenige vertraut sich im Regelfall einem Facharzt an. Hast du in den Protokollen zu diesem Erich Feist passende Hinweise gefunden?«

      »Nein. Aus anderer Richtung steht Hilfe an. Ich bin mit der Enkelin des Vermissten in Kontakt. Sie hat die Anzeige aufgegeben. Staune, ihr Opa war ein bekannter Führer der örtlichen Sekte. Später der


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