Zinnobertod. Reinhard Lehmann

Zinnobertod - Reinhard Lehmann


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verbergen. Erst recht nicht bei einer solch öffentlich bekannten Person.«

      »Ich verstehe. Danke, Rolf. Sag mir lieber, was das alles mit der biologischen Arbeitsstofftoleranz auf sich hat. Die findet explizit im Text Erwähnung. Ist mir zu fachspezifisch.«

      »Hmm, glaub ich. Ist schwer für den Laien nachzuvollziehen. Pass auf! Anfangs merke dir dafür die Abkürzung, Benno. Ergo, BAT nennt sich das. Die liegt um die zweihundert Mikrogramm pro Liter im Blut, etwa vierhundert im Harn.«

      »Ja okay. Was bedeutet das?«

      »Das ist kein bloßes Zahlenwerk. Der springende Punkt: Darin versteckt sich der unvermeidliche Todesstoß. Das ist eine Dosis, die ohne ärztliche Behandlung die Gesundheit schädigt.«

      »Rolf, bitte mach’s dem Laien verständlich. Ich habe einen Versuch, das dem Bürgermeisterteam zu erklären.«

      »Verstehe! Bist du empfänglich für eine klitzekleine Lektion?«

      »Ja! Du beschämst mich.«

      »Ach hör auf. Keine Gefühlsduselei. Merke dir: Bei einer Vergiftung speichern die Organe wie Leber, Milz oder das Gehirn Quecksilber. Die Nieren scheiden es langsam wieder aus. Eine Schädigung zeigt sich durch Müdigkeit, Kopf- und Gliederschmerzen. Die Klärung der Frage, wie das Gift in den Blutkreislauf gelangte, gibt dir Auskunft über die Todesquelle. Die basiert in erster Linie auf langanhaltend verabreichten, hohen Konzentrationen. Zum Beispiel durch Einatmen von Dämpfen oder Beimischung in den Nahrungskreislauf. Richte die Suche darauf aus!«

      »Okay, danke für die Lehrstunde.«

      »Angenommen! Dafür bin ich da! Das ist pure, angewandte Wissenschaft.«

      »Och, brauchst du Lobgesang?«

      »Mensch Rolf, dich drückt kein Chef im Hintergrund. Du bewertest Materialien und erfährst Aufmerksamkeit. Ich laufe gegen Wände.«

      »Hmm, unter Umständen. Du weißt, im Team waren wir unschlagbar. Ich bin voll aufgeregt. Was hältst du davon, das zu wiederholen?«

      »Klingt vernünftig!«

      »Wie denn sonst. Ich bin dein Freund. Hinzu kommt die Tatsache, im Dienstgrad höhergestellt zu sein. Hast gewaltig was nachzuholen.«

      »He, he, du fieser Knackarsch. Lass uns das beim Bier austauschen.«

      »Wann, wo? Benno, einen Wunsch hege ich. Bringe mir den Kopf des Toten. Die Gerichtsmediziner umarmen dich dafür. Ich sage, da ist mehr drin.«

      »Scheiße, du triffst den wunden Punkt. Wieso der fehlt, hmm, lässt sich nicht beantworten. Gefühlsmäßig schließe ich einen Sturz aus. Den Kopf hat jemand gewaltsam entfernt.«

      »Denkbar. Hier verging sich ein Perverser. Der Normalo ist zu solcherart Schandtat nicht imstande.«

      »Hoi, ist da ein Auftragskiller unterwegs?«

      »Keine Sorge. Es ist ein vager Hinweis, der sagt, bei den Ermittlungen allergrößte Vorsicht walten zu lassen. Zuerst weben wir ein Spinnennetz.« Er lachte. »Rolf, ich habe dich gefunden.«

      »Ja, am Telefon.«

      »Das ist ein Anfang. Du wirst hier im Harz gebraucht. Ich brauche meinen Freund. Ein Auftrag. Für uns beide. Der Ermittlungsführer bin ich. Was sagst du?«

      Er sah logischerweise nicht, dass sich der Gesichtsausdruck von Rolf verfinsterte.

      »Komm her. Ich erzähle dir alles. Da steht eine Riesensache im Raum.«

      »Das schaffst du ohne mein Zutun, Benno!«, schallte es aus dem Hörer. »Du gehörst zu der Sorte Mensch, die man einen Heißsporn nennt«, verfiel er in ein lauthalses Lachen, das sich blechern anhörte.

      »Ja, nimm mich seelenruhig hops, Rolf. Ich rieche deinen bissigen Spott am Telefon. Bitte minimiere das Risiko für die Heldenpose. Du bist ein Forensiker, der wissenschaftlich fundierte Beweislagen schafft.«

      »Benno, echte Hilfe erhältst du erst, wenn ich umfangreicheres Material für die Analytik an die Hand bekomme.«

      »Übertreibe nicht, Rolf. Auf Tötung oder Mord zu plädieren, dafür ist es zu früh. Zusätzlich gibt es da unter Umständen ein anderes Problem.«

      »Sprich, das wäre?«

      »Du glaubst es kaum. Ein ausgedünntes Amt. Im Gegensatz nicht zuletzt mein Ehrgefühl, den Vorgang erfolgreich abzuschließen. Bitte versteh das nicht falsch. Der einzige Joker vor Ort bin ich.«

      »Oha, sehe ich da Speichel am Kinn runterfließen? Heftiges Eigenlob, was du da verbreitest! Na, ich wünsche Glück. Schau´n wir, ob das reicht, Personalmanko wettzumachen.«

      »Rolf, der Kommentar folgt erst an der Theke beim Bier.«

      »Kein Problem. Bis dahin tu mir einen Gefallen. Ich erfahre zuerst, wie das Gift in das Opfer gelangte. Du bearbeitest ab sofort einen Mordfall. Das setzt komplett andere Prioritäten. Wirst du die SOKO leiten?«

      »Dieser Blick in die Zukunft ist abwegig. So weit voraus schaue ich nicht.«

      »Komm, lass dir nicht jedes Wort aus dem Mund ziehen. Da spinnt sich was im Hintergrund zusammen. Ich würde dich sonst falsch einschätzen, Benno.«

      »Dein Riecher erlaubt mir nicht, Hals über Kopf Sachen neu zu erfinden. Die Wahrheit, mein Freund. Es gibt eine heiße Spur.«

      »Ich wusste es. Benno, denk dran, Alleinarbeiter sind im Hause auf Dauer verpönt. Es war ein sinnvoller Gedankenaustausch. Tschüss, mein Lieber«, verlor sich im pulsierenden Geräusch des Freizeichens.

      Aufgelegt. Die Gelegenheit, urplötzlich aufkommende, gefühlsbetonte Anwandlungen zu unterdrücken. »Außer zu Evelyn, die auf mich wartet«, schoss ein Signal durch seinen Kopf.

      Zwei Monate zuvor. Ein unheilschwangerer Sommertag im Harzvorland. Für Erich Feist der Tag des Harmagedon, der ihm das Ende der Welt in seiner derzeitigen Form brachte. Die entscheidende Schlacht zwischen Gott und Satan, bei der Christus alle ruchlosen Menschen vernichtet, trug sich unerkannt zu.

      »Ich fass es nicht, dass du hier wieder aufschlägst«, passte nicht ernstlich zur Begrüßung durch die alte Dame.

      »Oh, du raffst das nicht. Das ist echt peinlich. Egal, es ist der beste Moment, den wir bisher miteinander verbrachten, um zu reden.«

      »Wenn du wieder fortgehst, kümmert sich die Gemeinschaft um dein Wohlergehen. Im Augenblick bist du hier. Nimm Platz. Schließen wir vorübergehend Frieden, der alten Zeiten wegen.«

      Erna Feist kramte eine wuchtige Tasse aus der seitlich stehenden Vitrine heraus.

      »Daraus hast du gern getrunken.«

      »Stimmt, eine Meisterarbeit. Dafür bewundere ich dich.«

      Die Wertschätzung erzeugte bei ihr ein gurgelndes Lachen. »Du kennst meine Gedanken. Wer wagt, der gewinnt. Ich habe auf das richtige Pferd gesetzt. Die Lasur für die Keramikarbeiten, den Figuren aus Holz, auf Papier entstammt einem uralten Rezept. Urgroßmutter hat das hervorgekramt, um den Vorfahren zu huldigen. Vergessen?«

      »Nein, ich preise die scharlachrote Farbe mit den graublauen Wölkchen an der Innenwandung. Hmm, obendrein der anregende Pfefferminztee. Mein Gott, ist das ein Genuss!«

      »Ja, für dich extra ohne Zucker. Wie die Plätzchen da drüben mit den Haselnüssen, zuckerfrei, dafür mit Naturhonig, Zimt, Anis. Ein Geheimrezept, geeignet, um jegliche Übeltäter von ihren Anhängern fernzuhalten.« Mit einem Augenzwinkern fügte sie hinzu: »Vernichtend, wenn notwendig. Du verstehst, für mich sind sie Köder und Delikatesse zugleich. Sie rücken meine Schäfchen näher zusammen, entfachen dabei in mir eine geistige Kraft, die sie an uns bindet. Keiner kommt davon los, denn sie hilft uns, ins Paradies zu gelangen.«

      Erich


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