Tattoos & Tequila. Vince Neil
das vage Gefühl, dass es in dieser Band niemanden interessiert, was ich denke. Das ist irgendwie schon komisch. Die Band bringt mir überhaupt keinen Respekt entgegen, und alles läuft total Scheiße. Eine ganz alte Geschichte.
Ich weiß, ich weiß. Ich war der letzte, der in die Band einstieg. Und ich bin nur der Sänger. Ich bin der Entertainer. Ich bin der Typ, der vorn steht, aber nicht der, der die Songs mitbringt. Aber das ist mir egal. Mir ist es wurscht, dass jemand anders die Songs schreibt. Mein Job ist es, sie zu interpretieren, sie zu verkaufen, alles aus ihnen rauszuholen. Diese Songs eben so unvergesslich zu machen, dass sie 80 Millionen Mal über die Ladentische gehen. Wer kann schon sagen, wie oft Mötley-Songs illegal heruntergeladen, irgendwo im Internet angeboten oder sonst wie verbreitet wurden? Glaubst du, dass Mötley irgendein Nachteil entstanden ist, weil ich keine Songs beigesteuert habe? Anders herum gefragt: Hatten wir vielleicht auch Vorteile, weil meine Stimme die Songs gut verkaufen kann? Wir haben doch alle gesehen, was passiert ist, als sie mich durch John Corabi ersetzt haben. Danach haben sie dieses getürkte Meeting ins Leben gerufen, um mich wieder zurückzulocken. Ich wusste doch, dass dieses Scheiß-Meeting ein abgekartetes Spiel war. Wofür halten die mich, denken die, ich sei blöd?
Andererseits, ich kenne meine Rolle in der Band. Ich musste nie Songs für Mötley Crüe schreiben, weil die Songs, die von den andern kommen, ziemlich klasse sind. Damit will ich nicht sagen, dass ich nicht auch einige ziemlich gute Vorschläge eingebracht hätte. Es war zum Beispiel meine Idee, „Smokin’ In The Boys Room“ zu covern. Jeder weiß, dass dieser Song uns zur damaligen Zeit echt den Arsch gerettet hat. Aber ich bin jetzt nicht der Typ, der sagt: „Mein Name steht nicht hinter dem Song, den singe ich nicht.“ Echt nicht. So bin ich nicht drauf. Im Gegenteil. Mein Name steht hinter vielen der Hits, die wir hatten. Das ist auch schön. Aber das ist nicht das Wichtigste. Das Wichtigste ist, dass sich diese Songs verkaufen. Und für mich ist es jetzt gerade das Wichtigste, aus meinem Leben den ganzen Scheiß zu eliminieren, der mich nervt, und dann ein Geschäftsmodell für meine verschiedenen Business-Bereiche zu finden, damit alles reibungslos läuft. Denn das will ich. Genau wie immer: Ich will, dass es einfach ist. Wie bei Saints Of Los Angeles. Der Produzent kannte meine Stimme so gut, dass er die erste Gesangsspur zur Orientierung selbst eingesungen hat, und als ich dann dazu kam, wusste ich genau, was von mir erwartet wurde und wie es sich anhören sollte, verstehst du. Als ich dann schließlich ans Mikrofon gegangen bin, lief alles total locker. Ich habe einen Song pro Tag fertiggestellt und hätte auch noch mehr geschafft, weil wir für jeden Titel gerade mal zwei Stunden gebraucht haben. Ganz ehrlich, es hat länger gedauert, vom Hotel zum Studio zu fahren und wieder zurück, als an der Platte zu arbeiten. So war das bei Saints. Das Album wurde übrigens letztes Jahr für einen Grammy nominiert. Wo ist also das Problem?
Früher war es immer soooo … verdammt … schwer, eine Platte rauszubringen. Es war ein Kampf, als würde man dauernd mit dem Kopf gegen die Wand laufen. Ich fand es grässlich. Wir hockten acht Monate in einem Studio, haben mit aller Gewalt eine Platte fertig gemacht und uns dauernd gestritten. Manchmal wurde es richtig übel. Wie ein Hahnenkampf auf Rockstar-Niveau, rund um die Uhr. Nikki schrieb mir vor, wie ich einen bestimmten Song singen sollte, und kam dauernd auf neue Ideen: „Versuch es mal so. Nein, doch lieber so.“ Er wollte unbedingt zeigen, dass er Macht über mich hatte. Bis heute habe ich das Gefühl, dass er bei der Agentur immer noch die Strippen zieht. Und dann kommt der Produzent zu mir und sagt wieder was ganz anderes, wie ich denn nun singen soll. Und irgendwann raste ich dann aus: „Verdammte Scheiße, was soll das? Fickt euch doch alle, ich singe das hier so, wie ich will! Wir sind nämlich nicht dorthin gekommen, wo wir heute stehen, weil jeder an meiner Stimme rumgekrittelt hat. Vergesst nicht, ihr seid zu mir gekommen und habt gesagt, dass ich für euch singen soll.“
Ich bin froh, dass diese Zeiten vorbei sind. Heute geht es allein ums Business. Ich habe einen Vertrag, und wir gehen ganz und gar geschäftlich miteinander um. Wir müssen miteinander nur Musik machen, sonst nichts. Das ist wie eine Scheidung in gegenseitigem Einvernehmen mit anschließend geteiltem Sorgerecht. Wir tun es der Musik zuliebe. Weil das, was wir zusammen aus dem Nichts erschaffen haben, sehr wertvoll und bahnbrechend war. Heute ist diese Musik immer noch sehr lebendig, wie ein erwachsen gewordenes Kind.
Eins der Probleme liegt wahrscheinlich darin, dass Nikki mich nicht mag. Er hat die Band immer als sein Baby betrachtet. Und ich glaube, er kann nicht damit umgehen, dass die Songs mehr mit mir in Verbindung gebracht werden als mit ihm, weil ich der Sänger bin. Ich kann solo auf Tournee gehen und Songs aus dem Mötley-Katalog singen. Tue ich auch, und das Publikum ist begeistert. Es ist doch allgemein bekannt: Man kann alle Leute in der Band auswechseln und trotzdem den typischen Sound beibehalten; wenn man gute Musiker findet, dann können sie alles Mögliche spielen und jeden imitieren. Nur den Sänger nicht – der Frontmann ist nicht austauschbar. Er ist das Gesicht und die Stimme der Band. Das haben sie lernen müssen, nachdem wir uns getrennt hatten. Ich glaube, dass Nikki und Tommy dieser Umstand ziemlich zu schaffen macht. Nikki möchte halt als das musikalische Genie bekannt sein, das er nun mal ist. Und keine Frage, er ist wirklich phantastisch. Und Tommy wollte schon immer einfach berühmt sein. So sieht’s aus – keiner mag mich, außer Mick, dieses gnomenhafte Musikgenie, aber der hatte andererseits immer genug mit seinem eigenen Scheiß zu tun. Er war immer so ein bisschen wie der älteste Bruder, der im Haus wohnte, während wir, die drei jüngeren, im Baumhaus im Garten kampierten und uns dauernd gegenseitig an die Kehle gingen.
Und diese Dynamik gibt es immer noch, wenn wir jetzt für irgendwelche Aktionen zusammenkommen. Mal ehrlich, wer braucht diesen Scheiß? Heute suche ich mir meine eigenen Bandmitglieder aus, und auch meine eigenen Partner, was das Geschäftliche angeht, in allen möglichen Bereichen. Normalerweise ist es dann so, dass ich die Entscheidungen fälle, nach Rücksprache mit ein oder höchstens zwei anderen Beteiligten. Beim Feelgoods habe ich einen Partner. Bei meiner Bar in West Palm Beach habe ich einen Partner. Und mit zwei weiteren Leuten will ich in den nächsten zwei Jahren diese Unternehmen weiter ausbauen, bis wir im ganzen Land vertreten sind, mit 25 bis 40 Läden. Die genaue Zahl steht noch nicht fest. Was ich damit sagen will: Bei geschäftlichen Angelegenheiten gibt es keine verborgenen Motive. Bei Mötley Crüe hingegen hat jeder welche. Und das nervt. Man muss einfach irgendwie damit leben lernen. Denn im Rockbusiness gibt es sehr viel Unehrlichkeit. Das ist wie in dem Film Der Sturm. Wenn man nicht aufpasst, landet man schnell auf dem Meeresgrund.
Man sollte doch glauben, dass es bei Mötley nach all den Jahren weniger Probleme gäbe. Dass sich die Dinge nun, da wir alle erwachsen und älter geworden sind, geändert hätten. Dass damals vielleicht nur deswegen alles mit einem lauten Krach aus dem Ruder lief, weil wir alle noch so jung waren. Leider ist es heute schlimmer als früher. Wir werden nämlich alle älter und halten noch sturer an unseren Meinungen fest. Meine Frau meint ja, wir müssten eigentlich allmählich weiser und reifer werden. Aber es ist einfach immer wieder dieselbe Scheiße, die da läuft. Wie zum Beispiel neulich wegen der Kanada-Tour, von der mir niemand was erzählt hat, bis die Tickets im Vorverkauf zu haben waren. Ich erhielt plötzlich SMS-Nachrichten und Mails, in denen sich die Leute freuten: „Oh toll, ihr kommt nach Kanada!“, und ich fragte mich: Wovon redet ihr eigentlich, verdammt noch mal?
So was macht mich natürlich total sauer. Natürlich gehe ich auf diese Kanada-Tour, aber ich bin genervt ohne Ende. Ich habe mir die Termine gerade erst in meinen Kalender eingetragen. Willst du mal einen Blick in mein Leben werfen? Guck mal hier, wie das auf meinem iPhone aussieht. Von heute bis zum 19. nehme ich die neue Platte auf und arbeite mit dir an diesem Buch. Dann ist Weihnachten. Die erste Januar-Woche habe ich frei. Dann bin ich bis mindestens März jeden Tag ausgebucht. Erst stehen Proben mit Mötley an, dann muss ich wegen einer Tequila-Werbeaktion auf die Kayman-Inseln und dann nach Palm Beach, weil das Dr. Feelgoods dort sein zweijähriges Bestehen feiert. Anschließend fängt diese Mötley-Kiste an und läuft bis zum 5. Februar. Danach gehe ich zum Super Bowl. Am nächsten Tag habe ich Geburtstag, dann spiele ich mit der Vince Neil Band in St. Louis und Kansas City, bevor wir nach Mexiko und Südamerika weiterreisen, wo wir eine riesige Fan-Gemeinde haben. Für die Leute dort spielt es überhaupt keine Rolle, ob sie die Sprache können; sie alle kennen die Songs auswendig. Ich habe schon lange vor Mötley in Südamerika gespielt; Mötley waren letztes Jahr zum ersten Mal dort. Ich war schon zweimal in Argentinien, Brasilien, Chile, diesen ganzen Ländern. Es ist dort echt alles sehr cool. Und wenn wir damit durch sind, weißt du, dann geht