Tattoos & Tequila. Vince Neil

Tattoos & Tequila - Vince Neil


Скачать книгу
von Compton, in dem wir wohnten, wurde später zu Carson gerechnet. Damals war das ein Neubaugebiet wie viele andere. Für Mittelklassefamilien wie uns war es erschwinglich, und auch viele Arbeiter wohnten dort, weil die Ölraffinerien in der Nähe lagen. Früher bin ich oft mit dem Fahrrad zu den Raffinerien gefahren. Als wir dort hinzogen, war dort noch sehr viel offenes Gelände. Es wurde allerdings schon viel gebaut, und es hatte ein bisschen die Atmosphäre einer neuen Siedlung im Grenzland. Für uns Kinder war es großartig, man konnte dort einfach alles spielen – Krieg, Soldat, Spionagegeschichten, Überlebenstraining – oder einfach Geländefahrten mit dem Fahrrad machen. Wir hatten sehr viel Spaß.

      Als Kind war ich total baseballverrückt und spielte in einer Kindermannschaft in Carson. Ich war ziemlich gut. Damals stand ich total auf die Dodgers. Als ich mein erstes Trikot bekam, hätte ich es am liebsten den ganzen Tag getragen. Ich wollte es überhaupt nicht mehr ausziehen. Weißt du noch, wie man sich in dem Alter fühlt? Das Hemd fühlte sich so toll an, und es roch auch so gut. Es hatte diesen typischen Geruch von neuem Stoff. Den Geruch der Verheißung, könnte man vielleicht sagen. Den Geruch von Kleinejungenträumen.

      Clois Odell „Odie“ Wharton

      Vince Neils Vater

      Die Familie meines Vaters war teilweise indianischer Abstammung; sie stammte aus Oklahoma. Er selbst wurde schon als Kind Vollwaise. Die Familie, bei der er aufwuchs, lebte in Oklahoma gleich an der Grenze; auf der anderen Seite des Red River lag Texas. Dort pachtete er später ein Stück Land und betrieb eine kleine Farm. Meine Mutter stammte aus Tupelo, Mississippi. Ich selbst kam in Paris, Texas, zur Welt. Auf meiner Geburtsurkunde steht sogar nur Lamar County, weil wir so weit draußen auf dem Land wohnten. Der Arzt musste zur Entbindung zu uns rausfahren. Meine Mutter sagte, er sei ziemlich betrunken gewesen.

      Wir lebten in einer kleinen Hütte. Es gab nicht einmal ein Schlafzimmer; alles spielte sich in einem einzigen Raum ab. Wenn es viel regnete, nagelten wir Teerpappe auf; die Bohlen des Hauses waren nicht sehr gut aneinandergefügt, und bei schlechtem Wetter pfiff der Wind durch die Ritzen. Wir mussten Töpfe und Schüsseln unter die Stellen schieben, an denen das Wasser durchs Dach tropfte. Und so etwas wie Wasserleitungen oder Strom hatten wir natürlich auch nicht. Wir hörten Radio über einen kleinen, batteriebetriebenen Empfänger.

      Als ich fünf war, zogen wir dort weg. Damals hatten wir einen alten Truck. Den beluden wir mit unseren Siebensachen und fuhren von Texas nach Kalifornien. Meine Schwester und ich lagen hinten auf der Ladefläche auf ein paar Matratzen. So verbrachten wir die ganze Fahrt. Das war 1941, kurz nach der Wirtschaftskrise. Damals zogen viele Leute aus Oklahoma, Texas oder Arkansas nach Kalifornien. Die Schwester meines Vaters war in Los Angeles untergekommen, und meine Eltern beschlossen, ihr zu folgen. Bei ihr wohnten wir, bevor mein Vater Arbeit als Anstreicher an der University Of Southern California bekam; er trug stets weiße Arbeitskleidung und hatte Farbspritzer im Haar. Später sortierte er Obst auf einem Fruchthof. Meine Mutter arbeitete eine Weile in einer Schuhfabrik.

      An dem Abend, als ich Shirley kennen lernte, war sie mit ihrer Freundin Tootsie unterwegs, die einen brandneuen Ford T-Bird hatte, ein süßes kleines Auto. Sie fuhren damit zum Autokino. Der Kumpel, mit dem ich dort war, kannte die beiden, und so kamen wir ins Gespräch. Ein bisschen später veranstaltete unser Autoclub ein Picknick in Griffith Park, und Shirley auch war dort. Ich saß an einem der Tische und hatte ein Bier in der einen und eine Zigarette in der anderen Hand. Als Shirley vorüberkam, trat ich die Zigarette schnell aus, und dann schnappte ich sie mir und gab ihr einen dicken Knutscher. Da hatte mich das Bier wohl mutig gemacht. Wir gingen eine Zeitlang mit einander aus, doch dann verließ ich 1956, in der elften Klasse, die Schule und meldete mich zur Armee. Ich wurde in Deutschland stationiert, und außerdem hatte ich Glück, dass ich ausgerechnet die ruhige Zeit zwischen dem Korea- und dem Vietnamkrieg erwischte. Während ich im Ausland war, schickte Shirley mir Briefe und Fotos. Im Januar 1958 wurde ich nach Fort Hood in Texas versetzt. Elvis war auch dort, er machte damals seine Grundausbildung.

      Nach meiner Entlassung aus der Armee im August 1958 kam ich wieder nach Hause. Shirley und ich trafen uns wieder, und im November heirateten wir. Heute sind wir immer noch zusammen, seit 52 Jahren.

      Zunächst arbeitete ich für eine Firma, die sich auf Fiberglasbeschichtungen spezialisiert hatte, und als Vince sechs Wochen alt war, musste ich eine Weile auf Montage. Man schickte mich mit einer Kolonne nach Moab in Utah. Wir spritzten damals große Stahltanks mit Fiberglas aus – ich glaube, der dazugehörige Prozess nannte sich Uranreduzierung. Ursprünglich waren wir davon ausgegangen, dass wir nur ein paar Wochen dort sein würden, aber wir hatten unsere Arbeit wohl so gut gemacht, dass wir noch ein paar weitere Tanks zum Auskleiden bekamen. Also rief ich Shirley an und sagte ihr, dass ich wohl länger bleiben würde als angenommen.

      Vince hatte mit sechs Wochen die erste kinderärztliche Untersuchung, und danach nahm Shirley sofort den nächsten Bus und fuhr zu mir nach Moab. Dort quartierten wir uns in einem Motel ein. Vince war noch ein winziges Baby, und wir bastelten ihm in unserem Zimmer ein Bett aus unserem Koffer. Wir legten die Decken dort hinein und machten es ihm richtig gemütlich.

      Ich arbeitete damals enorm viel. Wir wollten alle möglichst bald wieder nach Hause, also versuchten wir, den Job möglichst schnell zu erledigen und schufteten oft 14 oder 16 Stunden am Tag. Wenn ich abends ins Motel kam, konnte man die Uhr danach stellen, dass Vince sofort zu brüllen begann. Den ganzen Tag über war er ruhig, bis ich zur Tür reinkam. Ich sagte zu Shirley: „Meine Güte, kannst du ihn nicht beruhigen? Ich muss unbedingt schlafen, ich habe so lange gearbeitet.“ Und im Scherz fügte ich hinzu: „Wenn das Geschrei nicht aufhört, dann klappe ich den Kofferdeckel zu!“

      Als Vince 15 war, kaufte ich ihm einen alten Chevrolet-Pickup, Baujahr 53. Er war grundiert und hatte große, schwarze Räder mit Split-Six-Felgen; der Abgaskrümmer lief in zwei Auspuffen unter den Trittbrettern aus. Vince hatte noch keinen Führerschein, aber wir hatten den Truck irgendwo entdeckt, und selbst mir gefiel er sehr. Er kostete mich nur 700 Dollar. Damals dachte ich, bis wir den fertig aufgemotzt haben, hat Vince bestimmt auch seinen Lappen. Ich baute sogar ein Schiebedach ein, und meine Frau nähte kleine Gardinen für das Rückfenster.

      Vince hatte damals einen Freund, der behauptete, schon einen Führerschein zu besitzen, und ich glaubte ihm das. Die beiden fuhren gern mit dem Truck herum. Wie sich dann nachher herausstellte, stimmte das gar nicht, die beiden hätten gar nicht am Steuer sitzen dürfen. Vince rammte schließlich irgendetwas und zerbeulte den hinteren Kotflügel des Wagens.

      Ich behielt den Truck noch eine Weile und verkaufte ihn später für 100 Dollar an einen Nachbarn. Der holte ihn ab, und seitdem habe ich den Wagen nicht mehr gesehen. Es war wirklich ein hübscher kleiner Truck. Vince hatte hinten für sein Surfbrett eine spezielle Halterung montiert – ich erinnere mich noch an einen Typen, der ihm dieses Ding mal wegnehmen wollte. Vince war noch jung, in seinem ersten Jahr auf der Highschool vielleicht. Er hatte lange Haare und stand auf Musik. Der andere Kerl war ein durchtrainierter Sportler und ein bisschen älter. Er machte sich über Vince lustig – weil er lange Haare hatte oder vielleicht auch nur, weil er erst in der neunten Klasse war; vermutlich war er damals ein leichtes Opfer. Der Typ nervte Vince jedenfalls mal wieder, und mein Junge hatte wohl endgültig die Nase voll. Er holte aus und schlug dem Kerl mitten ins Gesicht. Und weil der eine Zahnspange trug, richtete dieser Schwinger ziemlich großen Schaden an.

      Ich musste schließlich vor Gericht – seine Eltern verklagten uns auf 500 Dollar Schmerzensgeld oder so was. Das musste ich dann zahlen. Der Junge mochte Vince ja wirklich mit Worten provoziert haben, aber Vince hätte ihn deshalb nicht schlagen dürfen. Das ist aber das einzige Mal, dass wir mit Vince in seinen jungen Jahren Ärger hatten.

      Eins werde ich nie vergessen. Irgendwann, als Mötley Crüe allmählich bekannter wurden, schickte Vince eine Limo, um uns zu einem Konzert abzuholen. Eine große schwarze Stretch-Limousine. Ich war völlig überwältigt und sagte zu Vince: „Du weißt, dass ich in meinem ganzen Leben noch nie in so einem Ding gesessen habe?“

      Er sah mich an und lächelte stolz: „Tja, Dad, dann gewöhn dich mal dran.“

      Das war ein herrlicher Moment. Nie hätte ich gedacht, in meinen wildesten Träumen nicht, dass Vince einmal so weit kommen würde. Es gibt so viele talentierte Menschen,


Скачать книгу