Sweet Dreams Are Made Of This. Dave Stewart

Sweet Dreams Are Made Of This - Dave Stewart


Скачать книгу
und um Laternenmasten herum gedribbelt. Begleitet wurde dies vom imaginären Getöse 60.000 tollwütiger Fans. Das war ein großer Spaß. Es fühlte sich gut an. Die Luft war frisch und sauber und wir kickten, bis wir absolut fix und fertig waren. Es fiel mir jedenfalls nie schwer, einzuschlafen, denn ich war oft so erschöpft, dass ich noch halb angezogen einnickte. Wenn ich mich zu Bett begab, stellte ich meine Fußballschuhe am Bettende auf, damit ich sie noch ansehen konnte, während ich wegschlummerte.

      Wenn wir ein richtiges Match auf einem richtigen Spielfeld bestritten hatten, trug ich meine Fußballschuhe an ihren langen Schnürsenkeln um den Hals nachhause, wo ich den Morast abkratzte und sie mit schwarzer Schuhpolitur zum Glänzen brachte. Ich saß dann in der Küche und polierte sie wie besessen. Rückblickend waren das vielleicht die ersten Male, dass ich high war.

      Fußball geht in England immer Hand in Hand mit Musik. Anders als etwa in Amerika singt das Publikum während des gesamten Spiels. Die Gesänge und Anfeuerungsrufe sind dabei ebenso witzig wie höchst anstößig. Manchmal singen die Zuschauer Rocksongs wie „We Are The Champions“ oder „Start Me Up“. Während des WM-Finales von 1966, als England die Bundesrepublik Deutschland bezwingen konnte, sangen die englischen Anhänger den Song „Sunny Afternoon“ von den Kinks, der sich damals gerade an der Spitze der Charts befand. Und heute ist es ein großes Vergnügen zuzuhören, wie heisere Stimmen „Sweet Dreams (Are Made Of This)“ singen.

      Mein erster Held war nicht etwa Superman oder 007 oder Steve McQueen, sondern der gertenschlanke nordirische Fußballer George Best, der ebenso berühmt war wie die Pop-Ikonen der Sixties und auch genauso oft fotografiert wurde wie McCartney, Jagger oder Twiggy. George zechte, legte wunderschöne Frauen flach und besaß einen Nachtclub namens Slack Alice – doch wenn er auf dem Spielfeld stand, agierte er brillant und unerschrocken.

      Bevor ich in die Pubertät kam, fing ich auch an, mich für andere Dinge als Fußball zu interessieren. Doch schien Sunderland und Umgebung nicht gerade viel in Bezug auf Kultur bieten zu können. Damals musste man sich schon auf die Suche danach begeben. Es gab kaum Theateraufführungen, Kunstausstellungen oder musikalische Angebote. Das Sunderland Empire, eigentlich eine Bastion des Varietés, von Theaterinszenierungen und pantomimischen Aufführungen, wo auch Jongleure, Sängerinnen, Bauchredner und altbackene Komiker auftraten, bot schon seit geraumer Zeit auch Rock’n’Roll-Shows mit Sängern wie Dickie Pride und Vince Eager – oder den besten von allen: Marty Wilde und Billy Fury – eine Bühne.

      Als ich mich schließlich mit Popmusik zu beschäftigen begonnen hatte, traten die Beatles im Sunderland Empire auf. Das war am 9. Februar 1963. Sie standen ganz unten auf dem Plakat einer gemeinsamen Tour mit Helen Shapiro. Ich wusste von dem Konzert, weil mein Bruder John dort war und mir im Anschluss daran mitteilte, dass er praktisch taub sei, weil die Mädchen John, Paul, George und Ringo so laut angekreischt hatten.

      Obwohl sie in meinem späteren Leben eine übergeordnete Rolle einnehmen sollten – sowohl beruflich als auch privat – hatte ich damals noch kein Interesse an Mädchen, auch wenn ich merkwürdig erregt war, als ich zum ersten Mal Emma Peel in ihrem hautengen Lederkostüm in der Fernsehserie Mit Schirm, Charme und Melone sah. Um ehrlich zu sein, habe ich seit damals eine Vorliebe für solche Outfits.

      Das Sunderland Empire wurde zunehmend zu einem Ort, der eine magische Ausstrahlung auf mich ausübte. Mein Bruder John hatte es kaum erwarten können, mir von den Beatles zu berichten. Es war vielleicht überhaupt das erste Mal in meinem jungen Leben, dass er mir irgendetwas erzählen wollte. Das war aber verständlich, immerhin waren mein Bruder und seine Kumpels vier Jahre älter als ich. Sie unterhielten sich über Mädchen, rauchten und trugen lange Hosen. John hielt mich für eine Nervensäge und versuchte unablässig, mich loszuwerden, indem er mich am Torpfosten des Rugbyfeldes unserer Schule festband oder auf einen fahrenden Bus aufsprang und mich weinend auf dem Bürgersteig zurückließ. Das Extremste, was er je tat, war, mich für fünf Stunden in einen Hasenkäfig, der in unserem Garten stand, zu sperren – mitsamt dem Hasen. Meine Eltern hatten davon keine Ahnung und wandten sich an die Polizei.

      John und ich fingen an, uns mehr und mehr zu streiten. Es wurde ziemlich schlimm und einmal versteckte ich mich hinter der Küchentür mit einem großen Tranchiermesser und wartete darauf, dass er von der Schule nachhause kam. Als er schließlich in die Küche schlenderte, sprang ich hervor, hielt ihm das Messer an die Kehle, drehte ihn herum und drückte ihn gegen die Wand. Ich sagte: „Wenn du noch einmal fies zu mir bist, dann werde ich dich umlegen.“ Danach wurde alles ein wenig besser. Er war eigentlich ein echt netter Junge, aber Brüder, die vier Jahre auseinanderliegen, sind in diesem Alter mitunter einfach eine Katastrophe.

      Da John nun anfing, an der Welt der Musik und der Mädchen teilzuhaben, ergab es Sinn, dass ich mir nun auch zum ersten Mal wirklich Gedanken bezüglich Mädchen machte. Als ich zehn oder elf Jahre alt war, fuhr ich mit der Schule nach London, wo wir eine Woche lang in einem Bed & Breakfast in Paddington übernachteten. Dort teilten sich ungefähr acht Kinder ein Zimmer. Im Laufe dieser Exkursion unternahmen wir einen Bootsausflug auf der Themse. Die Sonne ging hinter der Londoner Kulisse unter und ich weiß noch, dass ich ein Mädchen betrachtete: ihre sanft wehenden Haare und die Sonne auf ihrem Gesicht, wenn sie lächelte. Mir dämmerte es: „Hmmm, yeah. Mädchen sind anders.“

      Kurze Zeit später war ich am Strand in Seaburn und sah die blonde Schönheit mit einer Freundin zusammen auf dem Waltzer, einem schrecklichen Karussell, das mich nachvollziehen ließ, wie sich jene Katze, die sich im Elektrobohrer meines Dads verfangen hatte, gefühlt haben mochte. Nachdem ich sie wiedererkannt hatte, begann mein Herz sofort heftig zu schlagen. Mit trockenem Mund und zittrigen Knien sprang ich schnell zu ihr und ihrer Freundin auf die Sitzbank, gerade als der Haltebügel heruntergelassen wurde und sich das Ding zu bewegen begann.

      Plötzlich sprang ein tätowierter Kerl, der mit seinen gegelten Haaren und seinen engen Jeans wie ein junger Elvis aussah, auf den Waltzer, um Geld für die Fahrt zu kassieren – zumindest tat er das bei mir, die Mädchen fuhren offenbar kostenlos. Er zwinkerte ihnen zu und lächelte sie an. Dann drehte er mit seinem starken Arm unsere Sitzbank in die entgegengesetzte Richtung herum. Zuerst dachte ich, das sei okay, weil so Körper A eine Kraft F auf Körper B ausübt und dann wiederum Körper B eine ebenso starke und entgegengesetzte Kraft F auf Körper A, was theoretisch dazu geführt hätte, dass wir ganz bewegungslos dagesessen hätten. Was wir vielleicht zwei Sekunden lang – eine halbe Ewigkeit – auch taten, während gleichzeitig „I Can’t Stop Loving You“ von Ray Charles aus den Lautsprechern erklang. Ich war zum ersten Mal verliebt.

      Dann begann das dritte Newtonsche Gesetz seinen Tribut zu zollen und wir zischten mit beunruhigender Geschwindigkeit davon – und zwar anscheinend in alle Richtungen gleichzeitig. Ich weiß noch, wie ich angesichts dieses schönen Moments lächeln musste und mir vorstellte, sie wäre meine Freundin. Dann biss ich die Zähne zusammen und begriff, dass mein Gehirn mir Streiche spielte und mein Magen meiner Rachenhöhle einen Besuch abzustatten schien. Ohne Vorwarnung schoss mir eine Mischung aus Zuckerwatte, kandiertem Apfel und rosa Schleim aus dem Mund und schwebte wie in der Schwerelosigkeit auf den Oberkörper meiner einzig wahren Liebe zu. Ich klammerte mich am Bügel fest, während sie einen stillen Schrei ausstieß und ihre Freundin mir einen Blick zuwarf, der nahelegte, dass ich ihre Pläne, mit dem tätowierten Elvis-Schausteller zu flirten, komplett über den Haufen geworfen hatte. Als wir irgendwann zum Stillstand kamen, wankte ich von dannen und blickte nicht mehr zurück. Dies war definitiv ein Omen für viele meiner zukünftigen Beziehungen.

      Jedoch gab es tatsächlich ein junges Mädchen, das total entzückt von mir war. Sie lebte mit ihren Eltern nebenan. Ich war mir ihrer Gefühle nicht bewusst, bis sie eines Tages ein Straußenei vor unsere Haustür legte. 50 Jahre später habe ich immer noch keine Ahnung, woher sie es hatte oder was es damit auf sich hatte. Ich verstaute das Ei in meinem Bettgestell und versuchte, es auf diese Weise auszubrüten. Als meine Mutter schließlich das Laken wechselte, war sie nicht weniger überrascht, als ich es gewesen war. Dies war nur einer von vielen sonderbaren Annäherungsversuchen, die das Mädchen von nebenan unternahm, um meine Aufmerksamkeit und mein Herz für sich zu gewinnen.

      Der bizarrste ereignete sich einen Monat später, als sie mich zu sich nachhause einlud. Sie führte mich durch den Laden ihrer Eltern hindurch in den Garten hinaus, der


Скачать книгу