Sweet Dreams Are Made Of This. Dave Stewart

Sweet Dreams Are Made Of This - Dave Stewart


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an. Könnt ihr euch vorstellen, wie damals die Charts aussahen?

      1. „I Got You Babe“ – Sonny and Cher

      2. „Help!“ – The Beatles

      3. „(I Can’t Get No) Satisfaction“ – The Rolling Stones

      4. „All I Really Want To Do“ – The Byrds

      5. „A Walk In The Black Forest“ – Horst Jankowski

      6. „Zorba’s Dance“ – Marcello Minerbi

      7. „Everybody’s Gone To The Moon“ – Jonathan King

      8. „Make It Easy On Yourself“ – Walker Brothers

      9. „Like A Rolling Stone“ – Bob Dylan

      10. „See My Friends“ – The Kinks

      Die Beatles, die Rolling Stones, die Kinks und Bob Dylan – das konnte jeden aus seinen Latschen fegen, besonders aber einen 13-jährigen Jungen, der gerade angefangen hatte, Gitarre zu spielen.

      Gleichzeitig fing ich an zu begreifen, dass mein Bruder ein richtig interessanter Typ war. Tatsächlich war er sogar irgendwie cool. Er hatte eine tolle Schallplattensammlung und da er bald in Liverpool zur Uni gehen würde, realisierte ich, dass sie demnächst mir zur Verfügung stehen würde – all diese wunderbaren Plattencover mit ihrem herrlichen Artwork und den Liner Notes, die zu lesen manchmal genauso viel Zeit in Anspruch nahm, wie das Album von Anfang bis Ende zu hören.

      Zur selben Zeit begann auch mein Cousin Ian eine wichtige Rolle in meinem Leben zu spielen. Er heizte mein Interesse an dieser neuen Sixties-Welt, die aus Popkultur, Musik und Mode bestand, noch weiter an. Ian war acht Jahre älter als ich und somit schon 21, als ich gerade mal 13 war. Ganz in der exzentrischen Tradition der Familie Stewart stehend, hatte Ian mit 15 begonnen, sich einen Memphis-Akzent zuzulegen, sodass er bald mehr nach Elvis klang als Elvis selbst. Das kam im Nordosten Englands nicht sonderlich gut an und die ortsansässigen Kids verspotteten und drangsalierten ihn. Mit 18 zog er schließlich von zu Hause aus und machte sich davon, um sich der amerikanischen Air Force anzuschließen. Als er aus den Streitkräften entlassen wurde, zog er nach – ratet mal! – Memphis. Ich habe mich immer gefragt, ob er nun, da sein Traum in Erfüllung gegangen war, irgendwann wieder mit seinem ursprünglichen Sunderland-Akzent sprechen würde. Aber nachdem ich ihn in Memphis getroffen habe, kann ich euch versichern, dass er stärker als jemals zuvor näselt.

      Ian schickte uns eine Kiste, eine wahrhaft magische Kiste. Sie enthielt zwei Cord-Jeans von Levi’s, so wie sie John und ich noch nie gesehen hatten. Außerdem schickte er uns ein paar Schallplatten mit Musik, wie ich sie zuvor noch nie gehört hatte: Memphis-Blues und Delta-Blues. Mein Bruder entdeckte daraufhin andere Musiker, die so ähnlich klangen, zum Beispiel Mississippi John Hurt. Eines Tages brachte er dann ein Album von Robert Johnson mit nachhause: King Of The Delta Blues Singers. Dies waren LPs, die mein Leben veränderten. Sogar heute noch, wenn ich nach einem langen Tag nachhause komme, mixe ich mir einen Drink und schnappe mir meine Gitarre, woraufhin meine Finger scheinbar automatisch beginnen, den Blues zu spielen. Da ich aber in einem hübschen Haus in Südkalifornien lebe und nicht in einer Hütte mit Teerpappedach im Mississippi-Delta, fühle ich mich dazu verpflichtet, die Songtexte abzuändern und etwa darüber zu singen, dass ich heute Morgen aufgewacht bin und meine beiden Autos verschwunden waren. Diese Musik unterschied sich außerdem sehr von der Popmusik, die wir aus dem britischen Radio gewohnt waren. Sogar die Stimmen der Sänger klangen eigentümlich, etwa die nasalen Töne eines Robert Johnson in Kombination mit dem weinerlichen Klang einer Slide-Gitarre.

      Dann schenkte mein Bruder mir zu Weihnachten ein Album des Gitarristen Stefan Grossman mit dem Titel How To Play Blues Guitar, dem ein Bottleneck-Fingeraufsatz beilag. Er sah aus wie der abgetrennte Hals einer Weinflasche. Außerdem lag eine Anleitung bei, wie man sich seinen eigenen Bottleneck basteln konnte, indem man eine Saite eng um den Hals einer Flasche zog und die beiden Enden daraufhin solange hin und her bewegte, bis sie heiß wurde. Dann konnte man den Hals unter kaltem Wasser abtrennen.

      Mein liebstes Album war zu dieser Zeit Stefan Grossmans Aunt ­Molly’s Murray Farm. Ich brachte mir die ganze A-Seite auf der Gitarre bei und mein Lieblingssong war „Delia“. Ich hätte mich liebend gerne in der Musik verloren, doch die reale Welt kam mir in die Quere, als ich 14 wurde und meine Mutter auszog. Ich hatte meine Eltern nie streiten gehört. Mir war völlig entgangen, was da vor sich ging. Schließlich hatte sie einen Nervenzusammenbruch und musste zur Behandlung in ein Krankenhaus.

      Während dieser ganzen Zeit war mir nicht klar, dass sich meine Eltern voneinander trennten. Nie setzten sie sich mit mir zusammen, um mir die Wahrheit zu erklären. Ich befand mich gerade in der Pubertät und war so verwirrt bezüglich der Welt im Allgemeinen, dass ich es einfach nicht kapierte. Heutzutage würden Eltern ihren Kindern erörtern, was Sache war, aber meine taten das damals eben nicht. Stattdessen wurde alles sehr ruhig. Mein Bruder war fort an der Universität, weshalb nur noch mein Vater und ich übrigblieben.

      Ich erinnere mich an ein Gefühl der völligen Leere, weil mein Dad ein sehr ruhiger Typ und meine Mum eben sehr geschäftig war. Sie hatte zu Hause Brot gebacken, unsere Mahlzeiten zubereitet, sich künstlerisch betätigt und sich Aktivitäten für uns Jungs ausgedacht. Eines Tages sagte sie: „Okay, heute veranstalten wir einen Kunstwettbewerb!“ Sie brachte daraufhin jeden in der Straße dazu, eine Zeichnung oder ein kleines Gemälde anzufertigen. Sie hängte sie alle bei uns daheim an die Wand, wo alle sie wie in einer Galerie bestaunen konnten. In dieser Hinsicht war sie wie ich. Sie mochte es, Happenings zu organisieren. Außerdem war sie witzig und es war aufregend, ein Teil ihrer Welt zu sein.

      Somit kann man sich vielleicht vorstellen, was für eine große Veränderung es darstellt, wenn eine solche Persönlichkeit plötzlich nicht mehr da ist. Nun herrschte bloß noch Stille und Traurigkeit – und der sprichwörtliche Blues, der mir aber Halt gab.

      Jahre später fragte ich meine Mutter, warum sie uns verlassen hatte, und sie meinte: „Ich war nicht stark genug, um zu bleiben.“ Sie wollte ihren Intellekt mehr einsetzen und musste daher unter Gleichgesinnte, die sich für all die Dinge interessierten, für die sie sich mittlerweile begeisterte – Literatur, Poesie und Philosophie. Sie dachte, dass sie durchgedreht wäre, wenn sie als Hausfrau in Sunderland geblieben wäre.

      Mein Dad war sehr nett, ein richtig guter Vater und all das. Alles, was er – so wie viele andere Veteranen – nach dem Krieg wollte, war, eine Familie zu gründen, fleißig zu arbeiten, Geld zu verdienen und ein nettes Häuschen mit gutem Essen auf dem Tisch zu besitzen. Dad war kein Mann vieler Worte und teilte mir nur kurz und knapp mit, was er gerade durchmachte: „Ich verstehe nicht, was da vor sich geht.“ Es war, als hätte man ihm den Boden unter den Füßen weggezogen – und nun war er völlig perplex.

      Vielleicht dachte er, dass sich die Wellen schon wieder glätten würden und sie zurückkehren würde. Aber dem war nicht so und sie kam nie wieder nachhause, weil sie sich erdrückt und eingeengt fühlte. Vielleicht wurde sie sich ja auch zunehmend der gesellschaftlichen Transformation und der seismischen kulturellen Verschiebungen bewusst, die in den Sechzigerjahren vor sich gingen. Mein Dad und Leute wie er waren in puncto Kleidung, Konformität und Klassenbewusstsein in den Fünfzigerjahren verankert. Mir wurde erst später klar, dass meine Mutter sich über diese Grenzen hinweggesetzt hatte. Das verdreifachte und vervierfachte sich exponentiell.

      Letzten Endes wurde sie eine Lehrerin für Schüler mit besonderen Ansprüchen und unterrichtete mit großer Leidenschaft autistische Kinder. Meine Mutter war ein Freigeist, ein Original und eine Inspiration für die Kinder, die sie als Lehrerin betreute.

      Als Mum uns verließ, stürzte sich mein Vater in seine Arbeit als Buchhalter. Er war immer noch ein liebevoller Vater, aber er hatte keine Ahnung, wie er auf mich achtgeben, mich disziplinieren oder einfach nur mit mir sprechen sollte. Und da mein Bruder John fort und an der Uni war, wurde ich zunehmend unabhängiger und unberechenbarer. Auf eine gewisse Art und Weise machte mich das sehr widerstandsfähig. Ich begriff, dass man im Leben die Dinge selbst in die Hand nehmen musste.

      Da ich nun mittlerweile Gitarre spielte, ließ ich meine Gefühle und Energie noch mehr in die Musik einfließen.


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