Sweet Dreams Are Made Of This. Dave Stewart
und ich war bloß ein Junge. Mein Kopf explodierte förmlich aufgrund des Wunsches, zu einem umherschweifenden Folk-Vagabunden-Duo zu gehören, und ich wusste, dass ich etwas unternehmen musste, damit ich dies für den Rest meines Lebens tun könnte.
Auftritt: Dick Bradshaw. Er war ein Lehrer an meiner Schule und seine Finger waren braun vom Nikotin und seine Haare länger als die aller Schüler. Er war ein toller Jazz- und Blues-Pianist und wir wurden enge Freunde. Er unterhielt sich mit mir wie mit einem Erwachsenen.
Eines Tages erzählte er mir, dass er Songs schrieb, was etwas war, worüber ich bis dahin nicht einmal nachgedacht hatte. Und so fragte ich ihn: „Könnte ich auch einen Song schreiben?“ Er versicherte mir, dass ich das könnte und spielte mir ein paar von seinen am Piano vor.
Dies führte zu meiner allerersten Aufnahme – der ersten von mittlerweile etlichen Tausend –, und zwar mit unserem Duo Stewart & Harrison. Wir begaben uns in ein kleines Tonstudio, das wir nur für ein paar Stunden gemietet hatten. Als Schalldämpfung waren Eierkartons an die Wände getackert und das Studio gehörte einemTyp namens Ken McKenzie, der auf mich wie ein Zauberer an den Reglern wirkte. Uns standen nur zwei Spuren zur Verfügung, weshalb wir keine Overdubs aufnehmen konnten, live spielen und alles auf einmal einfangen mussten.
Wir sangen zwei Songs, die Dick geschrieben hatte: „Girl“ und „Green, She Said“. Außerdem nahmen wir noch einen traditionellen Song, das besagte „A Blacksmith Courted Me“, sowie meine allererste Eigenkomposition mit dem Titel „Deep December“ auf. Bei meiner Nummer hatte mir ein malender Bohème namens Eric Scott alias Eric the Artist, mit dem ich mich angefreundet hatte, als Co-Songwriter assistiert.
Da wir in Folk-Clubs auftraten, beschlossen wir, unsere EP in Vinyl pressen zu lassen, um sie bei unseren Gigs zu verkaufen. Es war ein großer Moment für mich, als die Boxen mit den EPs aus dem Presswerk bei uns eintrafen. Es war nur schwer zu glauben, dass wir tatsächlich eine Schallplatte gemacht hatten. Ein Traum war wahr geworden. Uns ging es wie vielen Indie-Bands heutzutage, aber damals war das absolut bahnbrechend. Niemand, den ich bis dahin kennengelernt hatte, hatte ein echtes Album aufgenommen. Ich ging immer noch zur Schule, als das Paket mit unseren Schallplatten eintraf. Sie sahen genauso aus wie die, die man im Plattenladen kaufen konnte. Unsere Scheibe erschien auf Ken McKenzies eigenem kleinen Label, Multirecord. Auf dem Label in der Mitte der Platte standen in schwarzen Buchstaben auf knallgelbem Hintergrund neben MULTIRECORD auch noch die Songtitel
1. GIRL (Dick Bradshaw)
2. GREEN, SHE SAID (Dick Bradshaw)
sowie unsere Namen
STEWART & HARRISON
Produced by Ken McKenzie.
Und als wir die Platte abspielten, war das ein unglaublicher Augenblick: Wie sich diese Wörter vor uns auf dem Plattenteller drehten und schließlich unsere Stimmen erklangen! War denn das alles überhaupt möglich?
* * *
Ich war noch immer keine 16 Jahre alt, als ich mit Eric the Artist zusammenzog. Er mochte es, Musik um sich zu haben, während er malte, und bat mich sogar, bei einer seiner Ausstellungen zu spielen. Für diesen Anlass dekorierte er sogar meine Gitarre.
Ich weiß nicht, wieso mir mein Dad erlaubte, aus dem Haus unserer Familie auszuziehen, um von nun an bei einem langhaarigen verrückten Künstler zu leben. Die Kunstszene von Sunderland war nicht besonders groß. Eigentlich war Eric sogar der einzige echte Künstler, der von seinen Bildern auch leben konnte. Ich konnte das gar nicht richtig einordnen.
Es war mein erster Kontakt mit dem, was man sich unter einem Künstlerleben vorstellt. Er lebte in eher ärmlichen Verhältnissen, war aber ein ausgezeichneter Maler. Ich erhielt einen Einblick in eine Parallelwelt, von der ich gewusst hatte, dass sie existierte, die ich aber noch nicht mit eigenen Augen gesehen hatte. Ich schlief auf dem Fußboden inmitten von Leinwänden und Farbdosen – meine Gitarre, meine winzige, karierte Decke und ich. Eric wiederum schlief im Nebenraum mit seiner Freundin Ann. Sie hatten ein Bett, allerdings war es auch Erics Wohnung und ich war noch jung, weshalb es mir eigentlich egal war.
Das Leben als Künstler war schon eine tolle Sache, doch hatten wir nur wenig zu essen. Wir ernährten uns von Lebkuchen und starkem schwarzen Kaffee. Das war alles, was wir aßen, es sei denn Eric verscherbelte ein Bild. Dann gingen wir ins Pub und gaben die Kohle für Bier und Fritten aus.
Hausaufgaben stellten kein Problem dar, da ich beschlossen hatte, nie wieder zur Schule zu gehen. Ich war ja jetzt ein Künstler. Cool, oder? Mein Dad wollte mich dazu überreden, mich am Monkwearmouth College einzuschreiben. Da war ich eine Woche lang oder so. Ich hatte nur die Musik im Kopf.
Eric und ich blieben stets eng befreundet. Immer, wenn ich umzog, übersiedelte er gleich mit. Leider starb er vor ein paar Jahren. Ich sang auf seiner Trauerfeier, die in dem kleinen südfranzösischen Dorf Les Adrets stattfand. Dort hatten wir uns viele Nächte lang unterhalten, gemeinsam gelacht und bis in die frühen Morgenstunden billigen Rotwein gekippt. Oft war auch sein Sohn Beau dabei gewesen, der auf seinem Schoß einschlief.
Heute besitze ich 27 seiner Gemälde und Zeichnungen. Ich wünschte, er würde immer noch leben, um mir zu sagen, wo ich sie aufhängen soll. Ich habe immer versucht, ihm Aufträge zu verschaffen. So malte er etwa ein unglaubliches Porträt von George Harrison, das ihm George auch abkaufte. Und auch Mick Jagger kaufte ihm ein Bild ab, das ihn in seiner Filmrolle als Ned Kelly zeigte. Als ich einen Vertrag bei Rocket Records unterzeichnete, wies ich Eric an, ein paar seiner Gemälde ins Büro mitzubringen – und Elton John kaufte ihm gleich vier ab, ohne sie überhaupt angesehen zu haben!
Diese glücklichen Tage auf Erics Fußboden waren schon sehr aufregende Zeiten und stellten den genauen Zeitpunkt dar, an dem ich die normale Welt für immer hinter mir ließ. Das war total okay für mich, da ich mich ohnehin nie als Teil der normalen Welt gefühlt hatte.
Während meiner gesamten Kindheit hatte ich nie das Gefühl gehabt, dazuzugehören. Mir taten meine Eltern echt leid, weil ich mich so exzentrisch benahm. Ich wusste damals wirklich nicht, warum ich so war, da ich noch nicht begriffen hatte, dass ich ein Künstler war. Ich wusste nur, dass ich nirgendwohin passte, und fühlte mich total fremd. Deshalb unternahm ich gerne Dinge, um meine Eltern vor den Kopf zu stoßen. Wenn ich jetzt daran zurückdenke, waren sie für mich so etwas wie lebende Kunstprojekte von mir.
Eines Tages kam mein Vater nachhause und fand mich, wie ich in einem kleinen Fischteich lag. Ich atmete durch einen Schnorchel und schwenkte die Harpunenkanone meines Bruders. Es war nur ein winziger Teich, sodass ich gerade mal Platz darin fand. Mein Dad schenkte mir ein paar kurze Augenblicke lang seine Aufmerksamkeit, schüttelte dann seinen Kopf und ließ mich zurück, um Wasser für den Tee aufzusetzen.
Ein anderes Mal stellte ich mich vor unserem Haus auf ein Paar selbstgemachter Holzski, die mein Vater geschreinert hatte, setzte mir eine selbstgebastelte Skibrille auf und tat so, als wäre ich eine lebende Statue. Leute gingen an mir vorbei, rangen nach Luft und sagten: „Der ist wohl durchgeknallt! Was tut er da bloß?“
Als Mum noch bei uns lebte, stand sie eines Tages am Spülbecken in der Küche und kümmerte sich um den Abwasch, als ich vor ihr am Fenster vorbeistolperte und dabei meine Kehle, aus der Blut zu strömen schien, umklammert hielt. Es war selbstverständlich nur Ketchup, aber trotzdem hätte sie fast eine Herzattacke erlitten.
Manche Leute würden sagen, dass all diese Aktionen bloß ein Schrei nach Aufmerksamkeit waren. Und das waren sie natürlich auch. Meine Eltern durchliefen eine Trennungsphase. Ich wusste das damals zwar noch nicht, aber ich muss wohl gespürt haben, dass da etwas im Argen lag und sich alles ändern würde. Aber als ich später bei Eric auf dem Fußboden schlief, begann ich, mich wie ein Erwachsener zu fühlen – und die Probleme meiner Eltern waren nicht die meinigen.
Nachdem wir unsere Schallplatten mit der Post bekommen hatten, konnte ich an nichts Anderes mehr denken als daran, wie es sich anfühlen würde, einen unserer Songs im Radio zu hören. Ich machte mich über Radiosender schlau und fand heraus, dass sich Radio Durham gerade einmal 15 Kilometer von uns entfernt befand. Also rief ich dort an. Eine Frau nahm den Anruf entgegen und ich stellte mich vor: „Hi. Ich heiße Dave Stewart