Sweet Dreams Are Made Of This. Dave Stewart
Pam, das 15 Jahre alt war und zunächst noch Eddies Freundin gewesen war, plötzlich zu meiner Freundin – inmitten eines sehr halluzinogenen Augenblicks. Eddie war auch gerade mit uns auf dem Trip und es gab überhaupt keine Animositäten zwischen uns, als sich Pam zu mir legte. Damals war einfach alles ganz anders.
Bald schon waren Pam und ich unzertrennlich, und obwohl sie gerade erst 16 wurde, zog sie bei mir ein. Wir lebten von nun an wie ein Ehepaar. Und tatsächlich sollte sie wenig später meine erste Ehefrau werden.
Irgendwann im Verlauf dieser psychedelischen Phase der freien Liebe traf ich Steve Sproxton und Kai Olsson, die gemeinsam als Duo auftraten. Ich nehme an, dass sie von unserer Wohnung gehört hatten und neugierig geworden waren. Ich hatte sie auftreten gesehen und sie waren großartig, weshalb ich zu Brian sagte: „Warum tun wir uns nicht mit diesen Jungs zusammen? Mit all unseren Harmonien und Gitarren wären wir wie eine englische Version von Crosby, Stills, Nash & Young!“ Obwohl Graham Nash ja eigentlich Brite war, sahen wir sie als amerikanische Band, die einen kalifornischen Sound spielte.
Wir versuchten es – und es funktionierte. Nachdem wir wie verrückt geprobt hatten, fiel uns zuerst kein passender Name ein, weshalb wir einfach die Anfangsbuchstaben unserer Vornamen aneinanderreihten. Und so spielten Brian, Steve, Kai und Dave einige Konzerte als BSKD, ein schrecklicher Name, aber es war uns egal, schließlich experimentierten wir.
Für kurze Zeit zogen Kai und Steve zu Eddie und mir. Das war total irre, weil wir nur ein Schlafzimmer mit vier Betten darin hatten. Wir hatten alle Freundinnen, was – gelinde gesagt – heikel war. Aber irgendwie haute das schon hin.
Dann schlug Brian vor, dass wir alle in ein großes Haus ziehen sollten, in dem wir jeder ein eigenes Zimmer hätten und uns die Miete teilen würden. Schließlich fanden wir eine riesige alte viktorianische Villa, von der aus das Stadtzentrum zu Fuß erreichbar war. Pam und ich bezogen ein Zimmer, von dem aus man die Straße überblicken konnte.
Wir verschickten ein Demo-Tape nach London, das schließlich in den Händen von Lionel Conway landete, der Island Music für dessen Gründer Chris Blackwell leitete. Es herrschte reges Interesse und wir wurden nach London zu einem Meeting eingeladen. Aber zuvor ließ uns Kai Olssons Bruder Nigel, der damals für Elton John Schlagzeug spielte, noch wissen, dass er vorbeikommen würde, um uns in unserem Haus beim Spielen zuzuhören. Außerdem würde ihn Mickey Grabham, der phantastische Gitarrist der Band Cochise, begleiten, weshalb wir ein wenig aufgeregt waren.
Zu dieser Zeit waren wir ziemlich regelmäßig high und rauchten überall im Haus Haschisch. Nigel brachte Mickey um sechs Uhr abends vorbei und hatte außerdem noch eine Tüte mit dem stärksten Kraut aus Jamaika dabei. Das waren wir nicht gewohnt. Wir pferchten uns alle gemeinsam in Kais winziges Schlafzimmer, in dem schon bald eine undurchdringliche Nebelbank aufzog, die von dem unglaublich heftigen Gras herrührte. Als wir schließlich für unsere Gäste spielen wollten, ging das einfach nicht mehr! Wir bemühten uns ungefähr eine Stunde lang, unsere Gitarren zu stimmen, aber nicht einmal das bekamen wir hin. Wir konnten nicht einmal sagen, ob sie auch nur annähernd gestimmt waren, so stoned waren wir.
Es war so entsetzlich peinlich.
Zum Glück waren sie ebenso high und weggetreten wie wir selbst – und als sie nach London zurückkehrten erzählten sie allen, dass wir großartig seien.
1971 war ich 18 Jahre alt, als Lionel Conway unsere Demos Elton Johns Plattenfirma Rocket Records vorspielte – und die Leute dort liebten uns! Sie waren der Meinung, dass wir gute Songs und starke Harmonien hätten und gut spielen könnten. Und das stimmte auch: Wenn wir nicht gerade zu stoned waren, spielten wir tatsächlich gut. Und so erhielten wir einen Vertrag.
Plötzlich waren wir auf Elton Johns Label und hatten einen Publishing-Deal für unsere Songs in der Tasche, obwohl niemand von uns genau wusste, was es damit auf sich hatte – bis auf Brian, an dem nun die ganze Verantwortung für drei Kids hängenblieb, die mit Geld, Gitarren und Weed bewaffnet durch die Gegend liefen. Für mich war das wie der Himmel auf Erden – und dazu gehörte auch der Umzug nach London.
Wir hatten nun einen Plattenvertrag bei Rocket Records und Chris Blackwells Island Music war unser Musikverlag. Ich traf alle möglichen Songwriter und Musiker in seinen Büroräumen, die sich über einer angesagten Boutique namens 2001 in der Oxford Street befanden: Cat Stevens, Nick Drake, John Martyn, Mott the Hoople, Traffic, Stevie Winwood und Bob Marley. Einmal unterhielt ich mich mit Bob. Das war nicht uninteressant, weil er meinen nordenglischen Akzent besser zu verstehen schien, als das die Londoner taten.
Bei Island Music gab es echt gutes Zeug zu rauchen. Ich erinnere mich noch an einen Zahltag, als wir alle im Büro saßen und uns mit demselben jamaikanischen Weed benebelten, das Nigel dabeigehabt hatte und an das wir uns nun gewöhnten. Ian Hunter von Mott the Hoople bekam den letzten Rest des Joints weitergereicht und nahm einen langen Zug. Er hustete, keuchte und sagte: „Verdammte Hölle, das ist ein verfluchter lung dancer!“ Damit meinte er, dass ihm der Rauch seine Lunge versengte. Wir lachten hysterisch, bis jemand meinte: „Longdancer. Das ist kein schlechter Name!“
Wir hatten bereits seit Monaten nach dem richtigen Namen gesucht. Nun hatten wir einen – Longdancer. Und das alles nur dank des fetten Shropshire-Akzents von Sir Ian Hunter.
* * *
In jenen Tagen bezeichneten die Leute aus dem Norden London als „The Smoke“. Befreundete Musiker, Ladenbesitzer und Künstler fragten etwa ständig: „Fährt ihr wieder runter nach ‚The Smoke‘?“ Und nun zogen wir endgültig dorthin. Wir waren junge, aufgeregte Kids, die mit dem Kopf voraus ins Musikbusiness eintauchten. Die Sechzigerjahre waren vorüber und uns stand ein Jahr voller schlechter Neuigkeiten bevor. Janis Joplin starb an einer Überdosis, Jim Morrison an Heroin und Alkohol, und Jimi Hendrix erstickte an seinem eigenen Erbrochenen.
Am 10. April, dem Tag, an dem wir in London eintrafen, verkündete Paul McCartney, dass er die Beatles verlassen hätte und die Band Geschichte wäre. Genau das war es, was wir mitbekamen, als wir London mitsamt unserer Gitarren, Schlafsäcke, lilafarbenen Stiefel und Träume enterten.
Als Nächstes drehten wir einfach alle durch. Es war so, als wären wir in Peter Pans Nimmerland eingetroffen. J. M. Barrie hat wohl tatsächlich den Rock’n’Roll vorhergesagt, da das Peter-Pan-Syndrom unter Rockstars ein sehr häufiges Phänomen zu sein scheint. Das Musikbusiness war auch so etwas wie Pinocchios Vergnügungsinsel, ein verfluchter Themenpark, den Hunter S. Thompson als „grausamen und seichten Geldtrog, einen langen Kunststoff-Flur, wo Diebe und Zuhälter freies Spiel haben und gute Männer wie die Hunde krepieren“ beschrieb. Er fügte noch hinzu: „Das Ganze hat aber noch eine Schattenseite.“
Nichts davon sorgte uns auch nur ein bisschen. Wir waren in London und wurden dafür bezahlt, in richtige Aufnahmestudios zu gehen und Musik zu machen. Wir konnten die Kings Road in Chelsea hinunterspazieren oder auf den Kensington Market gehen und uns Samthosen von himmlischen, wunderschönen Mädchen kaufen, die außer ihren Schlapphüten und Patschuli nicht viel an ihrem Körper zu tragen schienen.In der ersten Woche wohnte ich bei meiner Mum und schlief auf ihrem Fußboden. Mittlerweile lebte sie in Hampstead und teilte sich ein Haus mit einem verheirateten Ehepaar und dessen drei Kindern. Die Mutter hatte meine Mum getroffen und ihrem Mann erzählt, dass sie eine aufregende Frau namens Sadie kennengelernt habe, die sich in London fortbildete. Der Vater – er hieß Julian und war Zen-Buddhist – versuchte Sadie, die sich zum Tee angekündigt hatte, zu beeindrucken, indem er den Rosslyn Hill mit einem Schild rauf- und runtermarschierte, auf dem er die Leute vor den abschmelzenden Polarkappen warnte: „Wir sind alle in großer Gefahr! Für weitere Informationen, wählt diese Nummer!“ Dann verkündete er mit lauter, klarer Stimme eine Telefonnummer.
Meine Mum ging an ihm vorbei, blieb dann stehen, drehte sich zu ihm um und sagte: „Entschuldigen Sie, das muss ein Fehler sein. Das ist nämlich meine Nummer!“
Julian antwortete: „Sadie, ich konnte es kaum erwarten, dich kennenzulernen!“
Jahre später ließen sich Julian und seine Frau scheiden