Giganten. Ernst Hofacker
Johnandyoko überall gleichzeitig zu sein. Das schillernde Paar beherrscht die Schlagzeilen weltweit und ist sich offenbar für nichts zu schade. Ach ja, den MBE-Orden, den die Queen den Pilzköpfen wegen außergewöhnlicher Verdienste um die Exportwirtschaft verliehen hatte, gibt Lennon auch zurück. Aus Protest natürlich. Neben dem britischen Engagement im Biafra-Konflikt und Uncle Sams Krieg in Vietnam passt ihm auch der Umstand nicht, dass Cold Turkey in den Charts nichts zu melden hat.
Reichlich anmaßend, ambitioniert und politisch für einen simplen Popstar. Aber als solcher versteht sich dieser John Lennon sowieso nicht mehr. Und auch ein Beatle will er nicht länger sein, spätestens seit er Ono heißt. Verständlich. Klaus Voormann, Freund und Vertrauter seit frühen Hamburger Tagen, fasst die damalige Stimmung im Beatles-Lager unsentimental zusammen: »Dieses ganze Beatles-Ding empfand John zum Ende als Mühlstein um den Hals. Und nicht nur er, auch George und Paul, sogar Ringo. Die Jungs konnten einfach nicht mehr sie selbst sein.«
Lennon zieht die Notbremse als erster. Die anderen hat er im Herbst 1969 wissen lassen, dass seine Zeit als Beatle abgelaufen ist. Bevor er damit öffentlich rausrückt, will er allerdings noch warten, bis Allen Klein den neuen Vertrag mit EMI ausgehandelt hat. Bekanntlich ist es dann Paul McCartney, der das Ende der Band am 10. April 1970 der Presse mitteilt. Da aber sitzt John mit seiner Yoko schon längst draußen in der Grafschaft Berkshire. Westlich von London in Sunningdale, wo beide ein Jahr zuvor das Anwesen Tittenhurst Park erworben haben, beschäftigt er sich damit, den Beatle in sich zu exorzieren.
Den kalten Heroinentzug hat er im Sommer 1970 bereits hinter sich, nun ist er dabei, mit Hilfe der Urschrei-Therapie von Professor Walter Janov die Traumata seiner Kindheit aufzuarbeiten. Als das musikalische Ergebnis dieses Jahres, Johns erstes echtes Soloalbum John Lennon/Plastic Ono Band, im November erscheint, muss die Popgemeinde erst einmal schlucken. Das hier hat rein gar nichts zu tun mit den Jungs aus Liverpool. Lennons neue Songs, Sachen wie God, Mother, Isolation oder Working Class Hero, kommen spröde daher. Karg instrumentiert, ein bisschen Gitarre, rumpelnde Drums, brachiale Piano-Akkorde. Keine leichte Kost, wirklich nicht. Und thematisch so radikal wie kein Album zuvor. Rücksichtslos zerrt John hier aus den düstersten Winkeln seiner Seele hervor, was ihm zu schaffen macht. Gefühle wie Angst, Zerrissenheit, Entfremdung und Enttäuschung. Schon die Songtitel lassen kaum Fragen offen. Der vater- und weitgehend mutterlos aufgewachsene Junge aus der Arbeiterklasse, der es zu Weltruhm gebracht hat und nun daran fast zerbrochen ist, legt die Karten auf den Tisch. Und schert sich einen Dreck darum, ob irgendwer von ihm ein neues All You Need Is Love erwartet. Help war nur die Ouvertüre gewesen, jetzt geht’s ans Eingemachte, »Mama don’t go-uaaah! Däääh-ddy come home«. Nie zuvor war ein Popmusiker so nackt vor sein Publikum getreten. Zu nackt für die meisten – Plastic Ono Band verkauft sich bescheiden, nicht nur nach den Maßstäben eines Beatle.
Aber die bis zur Selbstaufgabe aufrichtige Platte hält ein paar unwiderstehliche Melodien bereit und, wichtiger noch, sie hilft John, seinen Weg aus den Sechzigern zu finden. Um dem Mythos Beatles den endgültigen Garaus zu machen, gibt er dem US-Magazin Rolling Stone ein ausführliches Interview. Und redet Klartext. Thema Beatles: »Das Ganze war ein Traum. Ich glaube nicht mehr an den Traum.« Oder Yoko: »Yoko ist mindestens so wichtig für mich wie Paul und Dylan zusammen.« Noch Fragen?
Im Frühling 1971 wird durchgeatmet auf Tittenhurst. Plastic Ono Band hat einen künstlerischen Pflock eingeschlagen, der die drei experimentellen Alben davor – neben Two Virgins noch Life With The Lions: Unfinished Music No. 2 und Wedding Album (beide 1969) – vergessen macht. Und John hat eine wichtige Lektion gelernt: Will er ein Hitalbum haben, dann muss er die Sache mit dem nötigen Zuckerguss versehen. Oder wie er selbst sagt: »Bring deine politische Botschaft mit etwas Honig rüber.« Für sein nächstes Album holt er also neben bewährten Kräften wie Alan White (später Yes), Klaus Voormann und George Harrison Cracks wie Nicky Hopkins, Jim Keltner und Jim Gordon. Überdies nimmt Produzent Phil Spector die in Ascot eingespielten Tracks mit nach New York, wo er sie nach dem Vorbild des Beatles-Abgesangs Let It Be (1970) mit Bläsern und Streichern anreichert. Imagine, veröffentlicht am 9. September 1971, ist dann tatsächlich radiofreundlich und, wie sich bald schon zeigen soll, absolut hitträchtig.
Die Themen von Imagine sind natürlich dieselben wie die des Vorjahres. Das gallige How Do You Sleep ätzt in Richtung Paul, mit dem John über heftigstem Streit ums liebe Geld und nicht zuletzt wegen des unschönen Gezerres ums Beatles-Management bis auf weiteres gebrochen hat. Hinter dem fröhlichen Barrelhouse-Pop von Crippled Inside verbergen sich ein paar unerbittliche Bemerkungen zum Thema Selbstbetrug – to whom it may concern. Jealous Guy ist das in eine süßliche Ballade gebettete Bildnis der Eifersucht, anrührend und doch schonungslos. I Don’t Wanna Be A Soldier Mama I Don’t Wanna Die erklärt sich in seiner düsteren Monotonie von selbst. Brillante Krönung des Ganzen aber ist der Titeltrack. Eine Pianoballade mit simpel gesetzten Harmonien und sparsamster Begleitung, nur hier und da mit verhaltenen Streichern gezuckert. Yoko selbst bestätigt später, wie zentral John das Anliegen dieses Songs ist: »Imagine war etwas, was er der Welt unbedingt sagen wollte.« Vielleicht gerade wegen seiner unschuldigen Naivität und der kindlichen Einfachheit der Grundidee wird Imagine, als Single ausgekoppelt am 16. Oktober 1971, praktisch über Nacht zur Friedenshymne einer ganzen Generation.
Auch wenn Imagine nach dem starken Tobak von Plastic Ono Band wie Lennon light anmutet, John ist zufrieden. Er hat bewiesen, dass er nicht nur seinen künstlerischen Weg gefunden hat, er hat auch gezeigt, dass er damit am Markt erfolgreich bestehen kann. Streicheleinheiten für das geschundene, längst aber nicht uneitle Ego.
Nun, da sich John solo bewiesen hat, kehrt er zurück zum politischen Aktivismus, dem er sich gemeinsam mit Yoko verschrieben hat. Und das funktioniert nach bewährter Manier – der Künstler ist die Botschaft, das Medium die Nachricht, und John und Yoko alles auf einmal. Die Beschaulichkeit des abgelegenen Tittenhurst ist nun passé, am 3. September 1971 geht das Paar nach New York. England wird John nicht wiedersehen und Amerika bald von den beiden hören.
In New York massiert sich zu Beginn der Siebzigerjahre die junge politische Szene des Landes. Der Vietnam-Krieg, längst zum Fiasko für die US-Regierung geworden, eint so unterschiedliche Gruppierungen wie die Black Panthers mit Angela Davis, die kindsköpfigen Yippies um Abbie Hoffman oder auch die anarchistische White Panther Party von MC5-Manager John Sinclair. Dieses radikale Anti-Establishment, dem auch Leute wie Allen Ginsberg, Bobby Seale und Jerry Rubin angehören, nimmt die berühmten Aktivisten aus Swinging London mit offenen Armen auf. Und die lassen sich nicht lange bitten, treten nun bei allen möglichen Veranstaltungen auf und nutzen ihre Popularität, um Solidarität mit den neuen Waffenbrüdern im Geiste zu demonstrieren. TV-Shows, Benefizkonzerte oder Demos für einsitzende Gesinnungsgenossen, John und Yoko sind dabei. Der Ex-Beatle und die bei Beatles-Fanatikern verhasste Yoko sind nun geachtete und einflussreiche Galionsfiguren der Gegenkultur, die in jenen Jahren noch vom naiven Glauben an den Erfolg der eigenen Mission beseelt ist.
Johns Kunst allerdings tut all das nicht gut. Im Frühjahr 1972 gehen die Lennons ins Studio und nehmen mit Elephant’s Memory, einem Musikerhaufen, den sie in Greenwich Village aufgetan haben, ein neues Album auf. Yoko hat bei acht der zehn Studiosongs mitkomponiert. Und John, der auf den Alben davor sein Innerstes nach außen gekehrt hatte, hat nun den Protestsänger in sich entdeckt. Songs wie Woman Is The Nigger Of The World, Sunday, Bloody Sunday, Angela oder John Sinclair sind weniger Pop als vertonte Agitation. Und die ist nun mal naturgemäß platt, auch wenn sie von einem Beatle ausgebrütet wird. Hinzu kommt, dass das musikalische Spektrum auf Some Time In New York vom archaischen Folkblues über eigenwillige Reggae-Anleihen und polternden Rock bis hin zur spectoresken Wall Of Sound reicht – homogen ist das nicht, und besonders sorgfältig verarbeitet auch nicht. Da macht die als Bonus-Disc beigegebene Live-Platte mit Aufnahmen aus dem Londoner Lyceum und einem Gastauftritt bei Frank Zappas Mothers Of Invention den Kohl nicht fett. Das Album enttäuscht.
Auch privat steht Ärger ins Haus. Die US-Behörden fordern John im März 1972 auf, das Land zu verlassen. Begründet wird dies mit Lennons Verurteilung wegen Marihuana-Besitzes in England 1968, tatsächlich aber steckt dahinter, dass der US-Geheimdienst John und Yoko subversive Aktivitäten unterstellt. Man will die beiden loswerden. Es ist der Beginn einer zermürbenden vierjährigen Auseinandersetzung mit den Behörden. Der Startschuss zu einer weiteren, nicht weniger