Giganten. Ernst Hofacker
gelegen, finden die Lennons im Mai 1973 eine neue Bleibe. Das Haus wird zum Zentrum des Lennono-Universums, privat, künstlerisch, geschäftlich. John hat wieder ein Zuhause. Im Sommer beginnt er mit den Aufnahmen zur nächsten Platte, Mind Games (1973). Enttäuscht hat er zur Kenntnis genommen, dass zu viele seiner neuen, politisch vermeintlich so engagierten Freunde doch eher der Spaßfraktion angehören. Überdies dämmert ihm, dass letztlich auch dem größten Revoluzzer das seelische Hemd näher ist als die sozialpolitische Hose. Die große Politik lässt er also links liegen und richtet den Blick wieder verstärkt auf den eigenen Seelenfrieden. Den hohen Standard von Imagine und Plastic Ono Band aber kann das Album nicht halten – die wirklich packenden Momente sind zu wenige, zu willkürlich scheinen die Themen gesetzt. Immerhin, der Titeltrack bringt es zum mittleren Hit.
John hat nun alles erreicht. Er ist Lennon Superstar, linkes Gewissen der Rockaristokratie und genialischer Solokünstler. Sogar die Sache mit Yoko haben die Fans, so scheint es, gefressen. Dabei brodelt es heftig unter der harmonischen Oberfläche. Seit fünf Jahren ist das Paar mehr oder weniger ununterbrochen, Tag für Tag, Nacht für Nacht und Stunde um Stunde, zusammen. Nicht, dass sie einander überdrüssig wären, aber ihre überaus intensive Beziehung raubt ihnen zusehends die Luft. Im August ist Yoko klar, dass sie handeln muss, will sie nicht riskieren, dass John irgendwann ausbricht. Zumal sie sieht, dass dem Gatten die Reize der jungen Assistentin May Pang nicht verborgen geblieben sind. Zwar behauptet John später, dass Yoko ihn im September 1973 schlicht »rausgeschmissen« hat, ganz so derb aber will sie nach eigenem Bekunden die vorübergehende Trennung nicht inszeniert haben, die als Johns »Lost Weekend« in die Annalen eingeht.
Wie dem auch sei, im Herbst findet sich John plötzlich in Los Angeles wieder. May ist mit Yokos Segen zu seiner Gespielin aufgestiegen, und mit den Kumpels Harry Nilsson, Ringo Starr und Keith Moon teilt er ein Strandhaus in Malibu. Seit seinem 23. Lebensjahr ist er Ehemann gewesen, jetzt, mit 33, unversehens wieder Junggeselle. Und der lässt es krachen. Zur Freude der Boulevardpresse, die keine Gelegenheit auslässt, die Eskapaden des ehemaligen Beatle auszuschlachten. Zweifelhafter Höhepunkt: Eines Abends fliegt Mister Lennon aus einer Bar in Los Angeles – sturzbesoffen und mit einer Damenbinde auf dem Haupt. Parallelen zu Hamburger Tagen sind augenfällig, plötzlich ist John wieder der ruppige, launische Zyniker, der sich seinerzeit auf offener Star-Club-Bühne auch gern mal eine Toilettenbrille um den Hals gehängt hat.
Musik macht er auch noch. Genau dieselbe wie damals im Star-Club, den Rock’n’Roll, der ihn in den Fünfzigerjahren elektrifiziert hat und den er immer noch so sehr liebt. Gemeinsam mit Phil Spector verlegt John die regelmäßigen Saufgelage gelegentlich ins Studio, wo er Standards wie You Can’t Catch Me und Sweet Little Sixteen von Chuck Berry, Larry Williams’ Bony Moronie und Be My Baby von den Ronettes aufnimmt. Dumm nur, dass Spector inzwischen den einen oder anderen Trip zu viel eingeworfen hat, gern mit dem Revolver rumfuchtelt und dabei auch schon mal in die Studiodecke feuert – sch(l)ussendlich macht sich der Produzent im Dezember mitsamt den Bändern aus dem Staub. Lennons Rock’n’Roll-Sause ist damit vorerst geplatzt.
An anderer Front entspannt sich die Lage: In Malibu empfängt John Paul McCartney und Gattin Linda, sogar gemeinsame Sessions sind überliefert. Trotzdem, Miss Pang und ihr Junggeselle haben das kalifornische Lotterleben im Frühling 1974 satt. Sie kehren zurück nach New York und nehmen ein Apartment an der East 52nd St. Umgehend beginnt John, ein neues Album einzuspielen. Walls & Bridges heißt es und erscheint am 26. September. Einmal mehr aber hat Lennon nur durchwachsene Qualität zu bieten. Geniestreichen wie Whatever Gets You Thru The Night oder # 9 Dream steht Überflüssiges wie das Instrumental Beef Jerkey, Mittelmaß wie Surprise, Surprise und Blödsinn wie Ya-Ya entgegen, dazu das Selbstmitleid von Nobody Loves You (When You’re Down And Out). Ein ähnliches Bild wie auf Mind Games – beide Platte wirken zerrissen, stellenweise schlaff und hingeschludert.
Elton John, Pianist auf Whatever Gets You Thru The Night, hat mit John gewettet, dass der Track ein Nr.-1-Hit werden wird. So geschieht es. Am 16. November 1974 löst der Song You Ain’t Seen Nothing Yet von Bachman Turner Overdrive an der Spitze der Billboard Charts ab, Johns erste Nr. 1 als Solokünstler. Seine Wettschuld, einen gemeinsamen Auftritt, löst er am 28. November im Madison Square Garden ein. Es wird seine letzte öffentliche Performance sein. Und Yoko ist Zeugin. Ihr Eindruck: »Ich saß da mit zugeschnürtem Hals, weil er so einsam aussah da draußen.« Nach der Show treffen sie sich kurz, und John beschreibt das später so: »Als ich von der Bühne kam, stand sie da, und wir sahen uns an. Es war wie damals in der Indica Gallery.«
Bis zur endgültigen Versöhnung dauert es noch einige Wochen. Nachdem John mit David Bowie gearbeitet hat – sie schreiben zusammen Fame – kehrt er zurück ins Dakota Building. Etwa zur selben Zeit, im Januar 1975, ergeht in London ein Gerichtsurteil, das die Beatles als eingetragene Firma endgültig auflöst.
Die verschollenen Rock’n’Roll-Tapes hat Phil Spector inzwischen zurückgeschickt und John noch ein paar weitere Oldies eingespielt. Rock’n’Roll, das im Februar 1975 erscheint, wird in der damaligen Szene jedoch mit Enttäuschung registriert. Heute aber, mit dem Abstand der Jahre, zählt das Album zu den Höhepunkten in Lennons Schaffen. Mit sicherer Hand hat der alte Kiezrocker hier ein paar Goodies aus den Fünfzigern durch die Zeitmaschine gejagt, ohne ihnen den rauen, ursprünglichen Charme zu nehmen. Die Arrangements von Klassikern wie Stand By Me, Be-Bop-A-Lula oder Peggy Sue sind originell, wirken frisch und atmen doch den Geist der klassischen Jukebox-Ära. Perfektes Handwerk, das Mr. Winston O’Boogie als immer noch kraftstrotzenden und leidenschaftlichen Rock’n’Roller ausweist.
Johns Odyssee zu sich selbst ist mit der Rückkehr zu Yoko nach 16 Monaten beendet. Er ist nun geläutert, bereit für die Wirklichkeit und ein Leben ohne die Insignien und Maskeraden des Rockstars. Zur Krönung dieses Jahres, in dem sich so viele Kreise für ihn schließen, wird der 9. Oktober. Pünktlich zum 35. Geburtstag schenkt ihm Yoko seinen Sohn Sean. Noch während sie schwanger ist, hat John einen folgenschweren Entschluss gefasst: Er will seinen Job als Musiker an den Nagel hängen, sobald der Kleine auf der Welt ist. Keine neuen Alben, keine Konzerte, keine neuen Songs. Im Februar 1976 läuft sein Plattenvertrag aus. Er wird ihn nicht verlängern. Lieber kümmert er sich um den Haushalt und den kleinen Jungen, wäscht Windeln, oder besser: lässt sie waschen, und lernt, wie ausgiebig kolportiert wird, Brot zu backen. Sein alter Freund Klaus Voormann, ebenfalls 1975 Vater geworden, besucht kurze Zeit später mit seiner Familie die Lennons im Dakota Building. Was er vorfindet, ist ein perfektes Familienidyll, nur eben mit vertauschten Rollen: Yoko mehrt das Vermögen und John, in Business-Dingen eine Niete, kümmert sich um die »home front«. Wie Voormann in seiner Biografie berichtet, plaudern die Rocklegenden an jenem Tag über wunde Babyhintern, Ringelblumensalbe und die Geheimnisse des Reiskochens.
Am 27. Juni 1976 geschieht dann endlich, worauf die Familie so lange gewartet hat: John erhält eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis und die begehrte Green Card. Endlich kann er unbeschwert reisen. Die Lennons machen ausgiebig Gebrauch von der neuen Freiheit und besuchen unter anderem Hongkong, Südafrika, Singapur und Japan, wo sie den Sommer 1977 verbringen. Das Leben als Privatier scheint John Spaß zu machen, indes: Der Künstler, der Musiker, der Poet in ihm, sie alle schlummern nur. Eines Tages würden sie erwachen. Und Yoko ahnt das – auch wenn das Paar am 27. Mai 1979 den nicht totzukriegenden Gerüchten um ein Comeback mit einer ungewöhnlichen Aktion begegnet: In der New York Times und Zeitungen in Rom und Tokio schaltet es eine ganzseitige Anzeige, mit der es sich an jene wendet, »die uns nach dem Was, Wann und Warum fragen«. Der wortreiche »Liebesbrief von John und Yoko« sagt: Uns geht’s gut, und die Familie ist uns das Wichtigste.
Dass den 39-jährigen Lennon im Sommer des folgenden Jahres plötzlich doch wieder der Hafer sticht, liegt an der New-Wave-Truppe B-52’s. Auf den Bermudas hat John in einem Club deren Song Rock Lobster gehört. Sofort fühlt er sich an Yokos Musik erinnert und beginnt wieder zu schreiben. Yoko in New York tut desgleichen, und Anfang September hat das Paar 25 neue Songs fertig. Der nächste Schritt führt in die New Yorker Hit Factory Studios.
Die Single (Just Like) Starting Over erscheint am 23. Oktober, das Album Double Fantasy drei Wochen später. Sofort wetzt die Kritik die Messer. Enttäuscht moniert man die süßlich-gelackte Produktion, die ewig gleiche Leier vom Liebesglück zwischen John und Yoko, die offenbar völlige Ignoranz moderner Strömungen wie New