Giganten. Ernst Hofacker

Giganten - Ernst Hofacker


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sie hätten registriert, dass Double Fantasy konsequent Johns alter Maxime folgt, die er schon zu Beginn seiner Solojahre erklärt hat: »Für die Beatles war jeder Song, jede Platte, jeder Film wie ein Tagebuch. Nur war uns das nicht bewusst. Bei der Arbeit mit Yoko wurde mir das erst klar.« So auch jetzt. Immer schon hat John, mehr als jeder andere Songwriter, seine Alben als persönliche Bekenntnisse angelegt. Und hier, 20 Jahre nach den Anfängen in Hamburg, zehn Jahre nach den Beatles und fünf Jahre nach seinem Ausstieg, gibt er den Blick frei auf sein Leben als Vierzigjähriger. Er bekennt: Ich liebe, ich bin glücklich, ich bin mit mir im Reinen. Es ist der Dezember 1980. Was sollte jetzt noch schiefgehen?

      30 Jahre ist das nun her – und viele wissen wohl noch heute, wo sie waren und was sie gerade taten, als gemeldet wurde, was keiner glauben wollte. John Lennon starb in den Abendstunden des 8. Dezember 1980, nachdem er vor dem Portal des Dakota Building von einem psychisch kranken Fan namens Marc David Chapman mit mehreren Schüssen niedergestreckt worden war. Stunden zuvor, als er mit Yoko das Haus verließ, um in den Record Plant Studios zu arbeiten, hatte er ihm noch ein Autogramm gegeben. Dabei entstand ein Foto, das letzte des lebenden Lennon, das ihn zusammen mit seinem späteren Mörder zeigt. Als um 23.15 Uhr Ortszeit im New Yorker Roosevelt Hospital Dr. Lynne offiziell Lennons Tod bekannt gab, löste die Nachricht eine weltweite Schockwelle aus, spontan versammelten sich überall trauernde Fans, um Johns Lieder zu singen.

      Wenn sich je über einen Künstler sagen ließ, dass er in seinem Werk weiterlebt, dann über diesen hier. Vielleicht, weil John Lennon bei seinem Hochseilakt im Popzirkus auf ein Netz immer verzichtet hatte. Für ihn zählte nur das: Gimme Some Truth! Kein Grund, ihn, Yoko und all das, was die beiden taten, zu idealisieren. Sie liebten, sie stritten, sie meinten es ernst und waren dabei albern – oft genug zwei nervensägende Spinner. Aber sie waren echt.

      Lennons Songs stehen nicht nur für eine einzigartige Persönlichkeit, sie stehen auch für eine Ära, in der Popmusik sich anmaßte, etwas zu bedeuten. Geträumt hat eine ganze Generation von Frieden, Gerechtigkeit, Liebe und Rock’n’Roll. Gesungen hat davon ein Junge aus der englischen Arbeiterklasse. Ein Working Class Hero, die Füße auf dem Boden, den Kopf in den Wolken: »Ich war immer ein Rebell. Aber ich wollte auch geliebt und geachtet werden, nicht nur der großmäulige, verrückte Poet und Musiker sein. Aber ich kann nicht sein, was ich nicht bin.«

      Empfehlenswert:

      Imagine (1971)

      Zusammen mit dem ein Jahr zuvor veröffentlichten John Lennon/Plastic Ono Band bildet Imagine den Kern des Lennon’schen Soloschaffens. Nicht nur ist dies das erfolgreichste Soloalbum in der Karriere des Ex-Beatles, es bietet auch die wohl bekanntesten Klassiker aus seiner Feder. Imagine natürlich, die ewige Friedenshymne, das fröhlich mit Saloon-Piano dahin rumpelnde Crippled Inside, das bittere How Do You Sleep, mit dem der enttäuschte John seinen langjährigen Partner Paul McCartney anging, und nicht zuletzt das verstört-melancholische Jealous Guy. Ein zeitloses Meisterwerk.

      Working Class Hero – The Definitive Lennon

      Der ganze Lennon auf zwei CDs. Eine rundum gelungene Zusammenstellung der schönsten, bekanntesten, wichtigsten und erfolgreichsten Songs aus John Solo-Jahren. Neben den Schlüssel-Tracks der großen Alben Plastic Ono Band und Imagine finden sich hier Songs aus Double Fantasy und dem posthum veröffentlichten Milk & Honey ebenso wie die Hitsingles Whatever Gets You Thru The Night und Give Peace A Chance – 38 Tracks, die keine Wünsche offen lassen. Ausgespart bleibt natürlich die Musik, die Lennon mit den Beatles gemacht hat.

      John Lennon/Plastic Ono Band – Classic Albums (DVD)

      Im Rahmen der zu Recht hochgelobten Classic-Albums-Reihe haben sich die britischen Macher auch John Lennons so wichtiges Solowerk von 1970 vorgenommen. Der Film leuchtet detail- und tiefenscharf aus, wie Lennon den schwierigen Schritt vom gewesenen Beatle zum eigenständigen Solokünstler vollzog und seziert die Entstehungsgeschichte der zentralen Songs des Albums, darunter Mother, Working Class Hero, God und Power To The People. Zu sehen sind neben jeder Menge Originalaufnahmen von damals auch Zeitzeugen und Beteiligte wie Yoko Ono, Ringo Starr, Arthur Janov (Begründer der »Urschrei-Therapie«), Bassist Klaus Voormann, Rolling-Stone-Herausgeber Jann Wenner und andere. Hochgradig spannend und weit mehr als »nur« eine sehr gute Dokumentation, ist dies die akribische Rekonstruktion der wohl wichtigsten Phase im Leben des Künstlers John Lennon.

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      MR. TAMBOURINE MAN

      Das zweite Leben des Bob Dylan

       »How does it feel to be on your own, with no direction home, like a complete unknown, like a rolling stone?« Wir wissen nicht, ob sich Bob Dylan Mitte der Achtzigerjahre diese Frage aus seinem wohl berühmtesten Song selbst gestellt hat. Wenn, dann dürfte die Antwort deprimierend ausgefallen sein: einsam, hilflos, verkannt. Zwei Jahrzehnte nach seinen eindrucksvollsten Triumphen fühlte sich die größte aller Pop-Legenden künstlerisch tot. Sicher, immer noch brachte er regelmäßig neue Platten heraus, und immer noch war er auf Tournee. Aber er hatte den Kontakt zu sich selbst, zu seinen Songs, zu seiner inneren Flamme verloren. Und die, die ihn da draußen sehen wollten, schienen das zu spüren, sie wurden weniger, unaufhaltsam. Er wusste es, und er verzweifelte daran.

      Er war der Big Boss Man des Sixties-Pop gewesen, der »Picasso of song«, wie ihn Leonard Cohen einmal nannte. Im Alleingang hatte dieser Messias der Jugendkultur die Poplyrik auf literarisches Niveau gehievt und damit eine Revolution in der Unterhaltungsmusik ausgelöst. Die Textzeilen seiner bekanntesten Songs wie Like A Rolling Stone, Mr. Tambourine Man oder Blowin’ In The Wind nahmen der Baby-Boomer-Generation gleichsam das Denken ab. Was Dylan sang, war ideologisches Gesetz, auch wenn er genau das monierte – »don’t follow leaders, watch the parkin’ meters«. Gegen alle Widerstände riss er dazu die Grenzen zwischen Folk und Rock ein und inspirierte eine Generation von nachfolgenden Musikern. Sein Auftreten, seine Songs und seine Haltung machten ihn zur alles überstrahlenden Leitfigur und etablierten den neuen Typus des unabhängigen und emanzipierten Popkünstlers.

      All das hatte er in seinen Zwanzigern erreicht. Kaum auf dem Gipfel, schlug er freilich schon den ersten Haken. Zum Ende dieses turbulenten Jahrzehnts initiierte er mit seiner Hinwendung zum Country eine Rückbesinnung des Rock auf die musikalischen Wurzeln und entwickelte obendrein eine mürrische Kauzigkeit, die so gar nicht zur »Love & Peace«-Euphorie seiner Anhänger passen wollte. In seinen Dreißigern bereits wirkte Dylan wie ein Fossil, ein Frühvollendeter, dessen Aktivitäten, etwa die Hinwendung zum Christentum oder die chaotische Rolling-Thunder-Tournee, bei der er maskiert auftrat, vom nachgewachsenen Publikum als spleenige Launen eines mysteriösen alten Mannes belächelt wurden, der ohnehin nicht mehr viel zu sagen hatte.

      Er konnte es drehen und wenden, wie er wollte, für ewig würde er eine Art Moses der Popkultur bleiben, derjenige, der die steinernen Gesetzestafeln von den nebligen Höhen des Berges Sinai mitgebracht hatte. Dieses Werk, dieses Künstlerleben reklamierte das Publikum als Eigentum. Mit Alben wie Subterranean Homesick Blues, Highway 61 Revisited und Blonde On Blonde hatte Dylan der Jugendbewegung ihren Katechismus geschaffen. Den hatte sie in Besitz genommen und ihrem Schöpfer seinen wohlverdienten Platz als unangefochtener Gottvater auf dem Thron der Popkultur zugewiesen, zur Rechten Elvis, zur Linken die Beatles. Kult und Werk waren damit zur Ewigkeit und der Künstler zum Stillhalten verdammt. Eine Gegenwart oder gar Zukunft würde diesem Götzen der Vergangenheit verwehrt bleiben. Dylan blieb Dylan blieb Dylan. Lebendig begraben.

      Ein Status, der ihm die Luft zum Atmen nahm. Viel hätte nicht gefehlt und der Mann, den nicht wenige für den bedeutendsten amerikanischen Künstler des 20. Jahrhunderts halten, wäre mit gerade mal 46 Jahren in Rente gegangen: »Es war an der Zeit aufzuhören. Die Vorstellung, mich zur Ruhe zu setzen, beunruhigte mich nicht im mindesten. Ich hatte mich mit diesem Gedanken angefreundet und mich längst an ihn gewöhnt.« So schreibt Dylan in seinen Erinnerungen Chronicles Volume One (Hoffmann & Campe, 2004) über seine seit Beginn der Achtzigerjahre schwelende künstlerische Krise, die Ende 1987 ihren Höhepunkt erreicht hatte. Was war geschehen? Und was war es, das ihn nur kurze Zeit später zum glatten Gegenteil eines Rücktritts veranlasste,


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