Hinter der Maske - Die Autobiografie. Paul Stanley
Bestrebungen verriet oder versuchte, in den musikalischen Zweig zu wechseln, war mir bewusst, dass Schüler, die die Music & Arts besuchten, zu enormem musikalischen Einfluss gelangen konnten. Und das bezog sich nicht nur auf den Broadway und die Orchestermusik. Eine Band namens Left Banke, die einen großen Hit mit „Walk Away Renee“ hatten, waren frische Absolventen. Ebenso die brillante Singer-Songwriterin Laura Nyro. Janis Ian, die gerade einen Hit mit „Society’s Child“ gehabt hatte, war immer noch Schülerin, als ich auftauchte.
Eines Tages kam Matt Raels älterer Bruder Jon vorbei, um mich zu besuchen. Er hatte bereits in einigen Bands gespielt und wir blickten alle zu ihm auf. Seine erste Band war von der Surf-Musik der Ventures beeinflusst gewesen, doch mittlerweile war er Bandleader in einer Gruppe namens Post War Baby Boom, die sich mehr nach der Art von Folk, Blues und Jug anhörte, wie sie aus San Francisco kam. Sie hatten eine Sängerin, die manchmal die erste Stimme übernahm, ein bisschen wie bei Grace Slicks erster Band The Great Society. Außerdem gaben Post War Baby Boom sogar Konzerte.
Absolut aus dem Nichts heraus fragte mich Jon, ob ich mich der Band anschließen wollte. Sie suchten einen Rhythmusgitarristen. Mein Verstand begann zu rasen: Warum hatten sie nicht Matt gefragt, der zu diesem Zeitpunkt ein besserer Gitarrist als ich war? Etwa, weil ich bereits in der Highschool war, während Matt noch ein Jahr in der Junior-High zu absolvieren hatte? Würde Matt am Ende angepisst sein?
Wahnsinn, eine echte Band! Das ist riesig!
Ich zögerte keine weitere Sekunde und sagte zu. Ich erinnere mich, dass wir im selben Keller probten, in dem Matt und ich bereits miteinander gejammt hatten. Wir arbeiteten sogleich an einer beschwingten Version von Gershwins „Summertime“. Ich arrangierte auch eine Version von „Born in Chicago“ von der Paul Butterfield Blues Band und sang dabei sogar die Leadstimme.
Alle anderen in der Band waren zumindest zwei Jahre älter als ich, was in diesem Alter eine Menge ist. Was mir damals gar nicht in den Sinn kam, war, dass sie alle am Ende des Schuljahres ihren Highschool-Abschluss machen würden. Wir hatten ein paar Auftritte mit „unserer“ neuen Besetzung. Dann schlug ich vor, dass wir uns um einen Plattenvertrag kümmern und ein paar Bandfotos schießen sollten. Ich wusste auch, an wen ich mich wegen der Fotos wenden musste. Im Sommer 1967 hatte ich zwei unglückliche Wochen in einem Ferienlager in den Catskills Mountains verbracht. Zumindest hätte es ein Ferienlager sein sollen, aber es stellte sich als Verarsche heraus. Ein Typ hatte ein paar Eltern davon überzeugt, ihm Geld zu zahlen, damit sie ihre Kinder zu ihm schicken konnten, wo sie zelteten und ihm dabei halfen, eine alte Scheune niederzureißen. Er nannte die Sache ein „Work-Camp“. Es sollte Kindern aus der Stadt die Möglichkeit geben, einmal ehrlicher Landarbeit nachzugehen. Letztlich war es sogar ganz witzig und ich hatte mich mit einem der Betreuer, die ebenso wie die Kinder übertölpelt worden waren, angefreundet. Sein Name war Maury Englander und er arbeitete mittlerweile bei einem berühmten Fotografen in Manhattan.
Maury hatte Zugang zum Studio des Fotografen, wann immer es gerade nicht benutzt wurde. Das war einer der Vorteile seines Jobs. Maury war selbst dabei, Fotograf zu werden, und sollte tatsächlich weniger als ein Jahr später für Magazine wie Newsweek arbeiten. Also rief ich ihn an und wir arrangierten einen Termin an einem Wochenende, damit Maury ein paar Promo-Fotos von uns schießen konnte. Er war auch politisch ziemlich vernetzt, was uns Anfang 1968 ein paar Gigs bei Partys von Anti-Kriegs-Organisationen einbrachte, wo er uns auch fotografieren sollte. Es war ja die Zeit, als die Proteste gegen den Vietnamkrieg gerade Fahrt aufnahmen.
An Auftritte in Clubs kamen wir nur schwer ran, da man dort eigentlich fast ausschließlich Coverbands engagierte, die Hits aus den Top-40 spielten. Wir hingegen spielten hauptsächlich unser eigenes Material. Die paar Covers, die wir im Programm hatten, waren nicht wirklich Songs aus den Charts. Ich verschaffte uns ein Vorspielen in einem Schuppen namens Night Owl, da ich gelesen hatte, dass The Lovin’ Spoonful dort aufgetreten waren – und ihr Gute-Laune-Sound war gar nicht einmal so weit von dem entfernt, was auch Post War Baby Boom zu spielen versuchten. Allerdings schlich sich der Typ, der dort das Sagen hatte, hinaus, während wir noch vorspielten, und so bekamen wir den Gig nicht.
Obwohl wir nur langsam vom Fleck kamen, wollte ich den Erfolg und arbeitete unermüdlich an diesem Projekt. Schließlich gelang es mir, jemandem, der bei CBS Records arbeitete, ein paar unserer Fotos zuzustecken. Ich erhielt sogar einen Anruf von einem Angestellten des Labels. Er sagte: „Wenn ihr so gut spielt, wie ihr ausseht, dann müsst ihr ja hervorragend sein!“ Er bezog sich dabei auf eines der Fotos, das Maury Englander im Studio von uns geschossen hatte.
Noch bevor uns der Typ jemals persönlich getroffen oder spielen gehört hatte, ließ er uns ein Demo für CBS aufnehmen. Ich schrieb einen Song, den wir einspielen konnten, namens „Never Loving, Never Living“, aber ich ließ mir bis einen Tag vor der Session Zeit, um ihn der Band vorzuspielen, weil ich zu schüchtern war. Aber dann entschloss sich unsere Sängerin, am Abend vor unserem Studio-Termin ein Bad im Springbrunnen des Washington Square Park zu nehmen. Sie verkühlte sich und verlor ihre Stimme. Als wir im Studio aufkreuzten, um zum ersten Mal aufzunehmen, konnte sie nicht singen.
Um die Sache noch abzurunden, rief der Typ von CBS an und verlangte, dass wir die Band in The Living Abortions umbenannten. Das Demo kam nie zustande.
In der Music & Art ergab sich inzwischen die Möglichkeit, reichlich Mädchen in T-Shirts und ohne BH zu sehen, was ein weiterer Vorteil der fehlenden Kleiderordnung war. Außerdem war es eine gute Motivation, jeden Tag zur Schule zu kommen. Doch schon bald musste ich mir eingestehen, dass ich mit mir selbst und allen anderen unzufrieden war. Meine Haare und meine Klamotten ließen mich hipper erscheinen, als ich in Wirklichkeit war. In Wahrheit fühlte ich mich von den echt coolen Kids eingeschüchtert. Langsam musste ich mir eingestehen, dass sich nicht wirklich etwas änderte, wenn ich mein Ohr mit Haaren bedeckte. Letztlich ging es wie immer im Leben nicht darum, was andere Menschen von einem wahrnahmen, sondern darum, was man selbst wusste und fühlte.
Eines Tages sprach mich eines der coolen Mädchen in der Schule an. Victoria hatte Kurven, eine blonde Mähne und entwaffnend blaue Augen. Es war weithin bekannt, dass sie sowohl in als auch abseits der Schule mit der coolsten Clique abhing. Ich trug eine Lederjacke mit Fransen, was damals ziemlich hip war, aber auch ein Style, den noch nicht viele Leute – nicht einmal an der Music & Art – für sich entdeckt hatten.
„Hey, Franse!“, sagte sie zu mir.
Ich ging zu ihr rüber, um mit ihr zu quatschen, und brachte irgendwie den Mut auf, sie um ein Date zu bitten. Es war wie eine außerkörperliche Erfahrung – irgendjemand sprach, und das war ich, aber ich fühlte mich komplett losgelöst, da es ein gewaltiger Sprung ins Ungewisse für mich war. Sie sagte zu und ich entfernte mich wieder – in einem Zustand zwischen totaler Glückseligkeit und Schockstarre.
Wir besuchten schließlich ein Konzert im Fillmore East. Sie kannte haufenweise Leute im Publikum. So saßen wir dann bei ihren Freunden. Ich war sofort eingeschüchtert, weil sie so cool waren und ich bloß ein verkrampfter Junge aus Queens. Sie ließen einen Joint kreisen. Ich zog jedes Mal daran, wenn er an mir vorbeikam, und so wurde ich ziemlich stoned. Schon bald quasselte ich nonstop, bis mich Victoria schließlich fragte: „Was zum Geier faselst du da?“
Das ließ mich für den Rest des Konzerts verstummen.
Nach der Show gingen wir zurück ins Apartment ihrer Eltern. Ich war immer noch ziemlich daneben und auch recht verunsichert, da Victoria eine Delle in meiner glänzenden Rüstung ausgemacht und meine Coolness in Frage gestellt hatte. Ich unterhielt mich dann mit ihrem Vater und hörte auch nicht zu plappern auf, als Victoria sich schon davongeschlichen und in ihr Schlafzimmer begeben hatte. Ich wand mich schließlich aus der Wohnung und fühlte mich wie ein kompletter Vollesel.
Von da an kicherte sie jedes Mal, wenn wir einander über den Weg liefen. Ich denke nicht, dass sie fies sein wollte, aber andererseits lachte sie auch nicht mit mir.
Ein anderes Girl, mit dem ich kurz ging, lebte auf Staten Island. Sie war zur einen Hälfte Italienerin und zur anderen Hälfte Norwegerin und lebte in einem italoamerikanischen Wohnumfeld. Sie war voll auf Speed. Da ich eher ein stämmiger Junge war und sie selten Appetit hatte, bekam ich oft ihre Pausenbrote, die ihre Mutter liebevoll zubereitet hatte.