Hinter der Maske - Die Autobiografie. Paul Stanley

Hinter der Maske - Die Autobiografie - Paul  Stanley


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Haus.

      „Ich darf nicht reinkommen?“, fragte ich das Mädchen.

      „Nein. Meine Mom dachte, du wärst Italiener. Aber jetzt weiß sie, dass du Jude bist.“

      Das war meine kleine Einführung in die wunderbare Welt des Antisemitismus.

      Nach einer Weile ließ mich meine Unsicherheit, gepaart mit meiner Unfähigkeit, dem Unterricht akustisch zu folgen, in alte Verhaltensmuster zurückfallen. Ich fühlte mich verloren, war frustriert und isolierte mich von den anderen. Schließlich begann ich, so oft wie nur möglich, die Schule zu schwänzen. Ich wusste, wie viele Fehlstunden ich ansammeln durfte und wie oft ich zu spät zum Unterricht erscheinen konnte – und ging diesbezüglich tatsächlich an die Grenzen des Machbaren. Das waren jedenfalls die schulischen Statistiken, die ich am meisten im Auge behielt.

      Ich wurde zu einem Geist, denn ich war kaum in der Schule – und wenn ich einmal dort war, war ich praktisch unsichtbar. Ich saß weit hinten in der Klasse und brachte kaum einmal den Mund auf, um mit jemandem zu sprechen. Wieder einmal hatte ich mich in ein selbst auferlegtes soziales Exil begeben, das aus meiner Zurückgezogenheit und ängstlichen Unsicherheit im Umgang mit anderen Menschen resultierte. Schon wieder ließ ich mich hängen. Mein Leben schien prekär und desolat zu sein. Ich wachte auch wieder schreiend aus den mir so vertrauten Albträumen auf und war mir sicher, sterben zu müssen.

      Alleine auf einem treibenden Floß, weit von jeder Küste, umgeben von Finsternis …

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      Ein Auftritt von „The Baby Boom“ im Tompkins Square Park im East Village. Ich bin der 15-jährige Junge links, Jon Rael der Typ mit der Brille. maury englander

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      Auf Platz 552 von 587 Schülern. Wenn man sich schon nicht unter den Besten platzieren kann, dann kann man sich immer noch als Minderleister einen Namen machen. Ein Wunder, dass sie mir überhaupt einen Abschluss zuerkannten.

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      Eines Abends, als meine Mom gerade zum ersten Mal wieder nach Deutschland gereist war, kam mein Dad spät nach Hause. Er stank nach Alkohol und begann auf mich einzureden: „Wir tun alle mal Dinge, die wir nicht tun sollten.“

      O Gott!

      „Aber das ist doch okay, oder?“

      Ich bin dein Sohn. Suchst du bei mir nach Vergebung? Bei mir? Du willst deine Schuld für etwas, das du gerade getan hast, bei mir abladen?

      Ich wusste damals bereits, dass ich mich nicht an meine Eltern wenden konnte, wenn ich Hilfe oder Aufmunterung brauchte. Jedoch hatte ich nicht erwartet, dass einer von ihnen seinen eigenen Seelenmüll bei mir deponieren würde.

      Plötzlich erinnerte ich mich an einen Vorfall, der sich ein paar Jahre zuvor zugetragen hatte. Mein Dad hatte an jenem Abend den Telefonhörer abgehoben und war sichtlich verstört von dem, was ihm da mitgeteilt wurde. Er sprach mit leiser Stimme mit meiner Mom. Dann riefen sie die Polizei. Als die Cops auftauchten, forderten sie meinen Dad auf, ihnen genau zu erklären, was er am Telefon gehört hatte. Er erzählte ihnen, dass der Mann am anderen Ende der Leitung gedroht hätte, ihm Gewalt anzutun, wenn er nicht aufhören würde, sich mit einer bestimmten Frau zu treffen. „Er hat gesagt, dass er ihm die Eier abschneidet“, tönte meine Mom. Wir alle nahmen an, dass es sich um eine Verwechslung handeln musste. Aber nun begann ich mich zu wundern.

      Mein Zuhause fühlte sich danach noch gefährlicher als sonst schon an. Es sollten noch Jahrzehnte vergehen, bis ich herausfand, was da tatsächlich vor sich gegangen war, aber ich fühlte, dass unser Haus zu einer potenziell tödlichen Umgebung geworden war, die langsam in den Fluten versank.

      Ich ertrinke.

      Es war schlimm genug, mir mich in einem Wagen, der kein Lenkrad hatte, oder auf einem treibenden Floß, fernab jeder Küste und in vollkommener Finsternis, vorzustellen, doch nun fühlte es sich an, als würde das Floß unter Wasser gezogen.

      Was auch immer mit meiner Schwester los war, wurde durch meine Eltern noch verschlimmert, und alles, was bei mir abging, wurde durch ihr Zutun noch verschärft. Mein Zuhause fühlte sich genau so unbehaglich an wie die Schule oder andere Umgebungen. Ich konnte der Furcht nicht entrinnen. Ich war erst 15 Jahre alt und verlor den Verstand. Ich hatte niemanden, mit dem ich hätte sprechen können. Niemanden. Ich war völlig auf mich gestellt und war wie versteinert.

      Was soll ich bloß tun?

      Ich konnte spüren, dass es sehr übel enden würde, wenn alles so weiterginge.

      Soll ich mich etwa umbringen? Werde ich verrückt wie meine Schwester?

      Julia hatte auf ihre tief sitzenden Probleme reagiert, indem sie sich für einen Weg der Selbstzerstörung und Selbstbetäubung entschieden hatte. Ganz offensichtlich führte dieser Weg ins Verderben. Wie ich den Dingen begegnete, lag ganz bei mir. Klar, ich war auf mich selbst gestellt, aber ich hatte die Wahl. Wenn ich nichts täte, wäre das auch eine Entscheidung – und ich wusste, dass die Konsequenzen nicht erstrebenswert waren.

      Ich weigere mich, ein Opfer zu sein.

      Ich wollte mich zusammenreißen. Ich wollte die Ärmel hochkrempeln und meinen Kram ordnen sowie die Welt zu meinen Gunsten verändern.

      Aber wie?

      Ich war gerade mit meinem Fahrrad unterwegs, als mich die Erkenntnis durchfuhr. Gerade, als ich mich in eine Kurve nahe unseres Wohnhauses legte, traf es mich wie ein Vorschlaghammer.

      Ich muss mir Hilfe suchen.

      Anders, so wurde mir nun klar, würde ich es nicht schaffen. Ansonsten würde ich falsche Entscheidungen treffen und nur noch weiter die Abwärtsspirale hinabtaumeln.

      Tu etwas.

      Dann hörte ich eines Abends einen Freund meiner Schwester über eine ambulante psychiatrische Abteilung im Mount Sinai Hospital in Manhattan sprechen. Hier hatte ich nun etwas Handfestes. Einen Ort, an den ich mich wenden konnte, mitsamt Namen und Adresse. Ich schlug das Krankenhaus im Telefonbuch nach und wartete, bis niemand mehr zu Hause war, um dann die psychiatrische Abteilung anzurufen und einen Termin für ein Gespräch zu vereinbaren.

      Am Tag des Termins fuhr ich mit zwei U-Bahn-Linien und einem Bus, um rechtzeitig dort zu sein. Ich ging ganz allein hinein und sagte: „Ich brauche Hilfe.“ Sie ließen mich ein Formular unterzeichnen, für das ich zum Glück keine elterliche Genehmigung benötigte. Es kostete mich auch nur drei Dollar.

      Jemand in einem weißen Kittel begleitete mich zum Arzt. Ich wusste rein gar nichts über Therapie, hoffte bloß, dass mir jemand erklären würde, wie man lebt. Ich war überrascht, als mir während meines ersten Gesprächs ausschließlich Fragen – keine Antworten – serviert wurden. Alles lief verkehrt herum ab. Ich wollte, dass der Doktor mir sagte, was zu tun wäre, aber stattdessen leitete er meine Fragen praktisch sofort an mich zurück. Es sollte noch eine Weile dauern, bis ich begriff, dass das die Grundlage einer Therapie ist. Mich würde niemand bei der Hand nehmen und durch mein Leben führen.

      Dieser Arzt, der mir völlig fremd war, zog bloß eine Braue hoch und blickte in eine andere Richtung, während ich ihm berichtete.

      Hält er mich etwa für irre?

      Nach dieser ersten Sitzung war ich mir nicht sicher, was ich davon halten sollte. Trotzdem beschloss ich, es noch einmal zu probieren. Koste es, was es wolle.

      Kremple deine Ärmel hoch.

      Das nächste Mal, als ich hinging, wollte ich allerdings mit einem anderen Arzt sprechen. Glücklicherweise kam man mir da entgegen. Der zweite Arzt hieß Jesse Hilsen. Ich fühlte mich nicht unsicher in seiner Nähe. Er sah mich nicht an, als ob ich nicht alle Tassen im Schrank hätte. Er machte mir schnell klar, dass ich nicht weniger „normal“ war als die anderen, auch wenn es mir so vorkäme. Viele andere Menschen


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