Hinter der Maske - Die Autobiografie. Paul Stanley
war mal ein Fortschritt.
Ich sehnte mich immer noch nach familiärer Unterstützung und Zuspruch und erzählte meinem Dad, dass ich zu einem Psychiater ging. Er stand der Sache ablehnend gegenüber. „Du willst nur anders sein“, murrte er mich an.
Dann wurde er sauer. „Du denkst wohl, du bist der Einzige mit Problemen, was?“, schrie er plötzlich. Nein, ich wusste mittlerweile, dass ich das nicht war. Meine Schwester hatte Probleme. Und ich vermutete auch, dass mein Dad in der Tinte saß, obwohl ich keine Ahnung hatte, worüber er an jenem ominösen Abend, als er sich Absolution bei mir holen wollte, gesprochen hatte. Aber ich würde mich meinen Problemen nicht ergeben. Ich würde mir Mühe geben, sie zu bewältigen. Ich würde kämpfen.
Ich traf mich nun jeden Mittwoch nach der Schule mit Dr. Hilsen. Vorher holte ich mir noch ein Truthahn-Sandwich mit russischem Dressing aus dem Feinkostladen und setzte mich damit auf eine Bank im Central Park. Nach jeder Sitzung bei Dr. Hilsen freute ich mich schon auf die nächste Woche. Die Unterhaltungen mit ihm waren wie ein Rettungsfloß, an das ich mich klammern konnte. Endlich unternahm ich etwas – nahm mein Schicksal in die eigenen Hände. Ich war bereit, mich der Herausforderung zu stellen.
Ich mit 16, flankiert von Mom und Dad in unserer Wohnung in der 75th Road.
Anfang 1968, kurz nach meinem 16. Geburtstag, wurde in der English Power Hour mit Scott Muni ein neuer Hit aus England namens „Fire Brigade“ von The Move gespielt. Er handelte von einem Girl, das so heiß war, dass man die Feuerwehr rufen musste. Nun, ich war ein eingefleischter Anglophiler und The Move waren eine meiner Lieblingsgruppen. Zu dieser Zeit orientierte sich mein Songwriting sehr eng an dem, was ich im Radio hörte. Als ich nun „Fire Brigade“ hörte, verliebte ich mich in die Konzeption des Songs. Also setzte ich mich hin und begann einen Song um dieselbe Idee herum zu entwickeln. Ich hatte das Stück noch nicht oft genug gehört, um ihm auch musikalisch zu Leibe zu rücken, aber ich hatte mich in ein Thema verrannt, das mich wirklich ansprach – und so entstand dann der folgende Refrain:
Get the firehouse
’Cause she sets my soul afire
Ich nannte den Song „Firehouse“. Das war ein echter Fortschritt für mich. Mit jedem neuen Song wurde meine Zielstrebigkeit stärker. Ich hatte zwar vielleicht kein Sozialleben, aber ich hatte Musik und einen Traum.
So viele Menschen sind unglücklich. Sie brauchen jemanden, der sie unterhält. Vielleicht könnte ich das ja machen?
Eines Tages in der Highschool nahm mich ein Lehrer beiseite. „Warum kommst du nicht in den Unterricht? Warum passt du dich nicht an?“, fragte er mich.
„Weil ich ein Rockstar werde“, verkündete ich kühn.
Der Kerl sah mich an, und sein Gesichtsausdruck gab mir einen klaren Einblick in seine Gedankenwelt: Du armer Narr. Dann rang er sich zu einem schwachen Lächeln durch und sagte: „Viele Leute wollen Rockstars werden.“
„Yeah“, antwortete ich, „aber ich werde einer sein.“
Abgesehen von meiner Band, den Post War Baby Boom, hatte ich nicht viel in meinem Leben – nur meine Gitarre, meine Stereoanlage und – in zunehmendem Ausmaß – Konzerte. Ich beneidete die Kids, die in ihren Freundeskreisen verkehrten und sich am Wochenende trafen, denn ich hatte nichts dergleichen. Ich kriegte auch nicht heraus, wie man solche Dinge bewerkstelligte. Also ging ich zumeist allein auf die Konzerte. Es war etwas, das mich erfüllte.
1968 sah ich Jimi Hendrix live in einer kleinen Location am Hunter College auf der Upper East Side in Manhattan. Ich sah The Who, die Yardbirds und Traffic. Außerdem noch Otis Redding und Solomon Burke. Dann noch einmal Hendrix. Buchstäblich jedes Wochenende traten viele Bands nacheinander im Fillmore East oder dem Village Theater auf, was es mir ermöglichte, drei Bands für drei oder vier Dollar zu bestaunen. Ich badete förmlich in Musik an diesen Wochenenden.
Die britischen Bands umgab eine verruchte Eleganz: Sie hatten tolle Frisuren, trugen Samt und Seide und waren nicht nur in Bezug auf ihre musikalische Ausrichtung, sondern auch in puncto Auftreten und Präsentation sehr stimmig. Sie bestanden aus individuellen Persönlichkeiten, aber vertraten auch eine gemeinsame Identität als Band. Die Mitglieder der einzelnen Gruppen waren auf eine Art stylish, in der sie sich gegenseitig gut ergänzten. Sie verkörperten außerdem eine Sexualität, die den amerikanischen Gruppen dieser Zeit fehlte.
Ich sah mir auch viele amerikanische Bands an – Jefferson Airplane, Grateful Dead, Moby Grape und Quicksilver Messenger Service, um nur ein paar zu nennen. Die meisten Leute in diesen Bands sahen aus wie Penner, die gerade erst aus dem Bett gerollt waren – alleine aus dem Bett gerollt waren. Ein fetter Typ mit Zöpfen war nichts, was mich positiv angesprochen hätte. Wenn ich eine Band mit einem bärtigen Kerl nur sah, dachte ich mir: Was hat Sigmund Freud in einer Rockband verloren? Ich glaube, dass die ursprüngliche Idee für die Lightshows, die diese Bands auf der Bühne einsetzten, daher stammte, dass man die Aufmerksamkeit auf die wabernden und pulsierenden Farben auf der Leinwand hinter der Bühne und weg von den ungepflegten Chaoten lenken wollte, die aussahen, als hätten sie gerade noch auf der Straße ein paar Kröten geschnorrt. Die meisten amerikanischen Bands sahen aus wie die wöchentliche Zusammenkunft eines Kommunen-Rats. Es sprach mich einfach nicht an. Wenn man sich ihrer Optik in Kombination mit ihrem Sound aussetzte, war es alles andere als eine Überraschung, dass Leute auf ihren Konzerten LSD einwarfen.
Ich wusste jedoch, dass LSD nichts für mich war. Auf Konzerten sah ich Leute, die dieses Zeugs genommen hatten, durchdrehen. Ich bekam auch mit, dass ein Junge aus meiner Nachbarschaft deswegen eingeliefert werden musste. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich ein Vorzeigeanwärter für einen Flug über das Kuckucksnest war, und da wollte ich die Kontrolle lieber nicht aus der Hand geben. Ich hatte bereits genügend Probleme und hatte außerdem gesehen, was die Drogen bei meiner Schwester angerichtet hatten. Ich war felsenfest davon überzeugt, dass ein derartiger Kontrollverlust mich auf einen sehr, sehr schlechten Weg bringen würde.
Die britischen Bands wurden zu einer Art Schablone für die Richtung, in die ich mich hinbewegen wollte. Und diese Blaupause wurde im folgenden Jahr immer umfangreicher, als ich Bands wie Humble Pie, Slade und Grand Funk Railroad sah, die eine nahezu kirchliche Stimmung verbreiteten und eine Art religiöse Verbindung zu ihrem Publikum aufbauten. Ein Frontmann wie etwa Steve Marriott von Humble Pie war der Anführer einer Kongregation, die die Frohe Botschaft des Rock ’n’ Roll verkündete.
Ja, ich glaube!
Obwohl ich die Musik durch meine Venen pulsieren fühlen konnte, musste ich natürlich auch an Geld kommen, um mir Konzertkarten, Gitarrensaiten und importierte englische Musikmagazine wie den Melody Maker, New Musical Express und Sounds, die an bestimmten Zeitungsständen im Greenwich Village erhältlich waren, leisten zu können. Aber Jobs waren rar gesät. Deshalb schlug ich sofort zu, als mir ein Cousin meiner Mutter eine Stelle in seiner Sinclair-Tankstelle, nicht weit vom Palisades Parkway, anbot.
Gleich darauf kaufte ich ihm einen klapprigen Rambler ab, damit ich nach der Schule zu meinem Job fahren konnte. Ich musste dann von Harlem, wo sich die Music & Art befand, über die George-Washington-Bridge bis nach Orangeburg, New York, fahren, wo die Tankstelle lag, und meine Schicht runterreißen, um im Anschluss nach Hause nach Queens zu fahren.
Es war eine harte Arbeit, zum einen wegen der Distanzen, die ich hinter mich bringen musste, zum anderen, weil ich absolut keine Ahnung von Autos hatte. Ich war der ungeschickteste Mensch der Welt. An einem meiner ersten Arbeitstage hielt eine Karre bei uns und der Fahrer befahl mir, den Ölstand zu checken. Also öffnete ich die Motorhaube und zog den Messstab heraus – das konnte ich immerhin. Ich wusste außerdem sogar, wie man davon ablas.
„Sie sind schon etwas knapp.“
„Okay“, sagte er, „dann füll mir etwas nach.“
„Klar“, antwortete ich und machte mich an die Arbeit.
Nach