Die Belagerung von Krishnapur. James Gordon Farrell

Die Belagerung von Krishnapur - James Gordon Farrell


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gehöre sie den Leuten, die ihnen das Haus überlassen hätten. Aber nun, es helfe nichts, sich jetzt zu grämen.

      »Es tut mir schrecklich leid«, murmelte Fleury wider Willen. Er war sich der Schönheit Louises, die nähergetreten war, um dieses bedauerliche Schauspiel zu beobachten, schmerzlich bewusst.

      »Wirklich, Dobbin!«, sagte Miriam verärgert. »Du bist so ein Tollpatsch. Kannst du nicht aufpassen, was du tust?« Fleury errötete und blitzte seine Schwester an; er hatte ihr schon hundertmal gesagt, ihn nicht »Dobbin« zu nennen. Und dies war der denkbar schlechteste Moment, es zu vergessen, vor der hübschen, leicht verächtlich dastehenden Louise. Aber vielleicht war es Louise entgangen.

      Das leicht missliche Gefühl, das sich mit Fleurys Tollpatschigkeit verband, verlor sich jedoch schnell in der Nachricht, Mr. Hopkins, der Collector von Krishnapur, und seine Frau Gemahlin hätten sich soeben angekündigt, um den Dunstaples ihre Aufwartung zu machen und Mrs. Hopkins zu erlauben, sich vor ihrer Abreise nach England von ihren lieben Freunden zu verabschieden. Gewissermaßen auf dem Fuße folgend erschien Mrs. Hopkins in Person, und beide, Fleury und Miriam, waren betroffen, wie gequält und vergrämt sie aussah. Sie schluchzte bereits, als sie vortrat, um Louise und Mrs. Dunstaple zu umarmen.

      »Carrie, Liebste, du darfst dich nicht aufregen. Wenn du so weitermachst, muss ich dich hinausbringen.« Der Collector war seiner Frau auf so leisen Sohlen in das Gesellschaftszimmer gefolgt, dass Fleury bei diesen Worten, die ohne Vorwarnung an seiner Seite gesprochen wurden, zusammenfuhr. Als er sich umwandte, stand neben ihm ein Mann, der aussah wie eine massive Katze; ein Hauch Verbenaduft entströmte seinen eindrucksvollen Koteletten.

      Mrs. Hopkins löste sich schwach von Mrs. Dunstaple, immer noch weinend, aber bemüht, ihre Augen zu trocknen. Ohne Rücksicht auf die Versuche des Doktors, seine Gäste einander vorzustellen, sagte sie zu Miriam: »Es tut mir leid, Sie müssen mir verzeihen … Ich bin so mit den Nerven herunter, wissen Sie, mein jüngstes Kind, ein Junge, starb erst vor sechs Monaten während der großen Hitze … und seitdem regt jede Kleinigkeit mich auf. Er war noch ein Baby, wissen Sie … und als wir ihn begruben, kam uns nichts anderes in den Sinn, als ihm eine Daguerrotypie von seinem Vater und mir in die winzigen Ärmchen zu legen. Einer der einheimischen Gentlemen hatte sie gemacht, eigentlich, um sie nach Hause, nach England zu schicken, aber dann befanden wir es für besser, sie dem Baby mit ein paar Rosen in den Sarg zu geben … Wissen Sie, Sie mögen mich für töricht halten, aber es macht mich genauso traurig, das Land mit seinem Grab zu verlassen, wie alle meine liebsten Freunde zu verlassen …«

      Fleury hatte das Gefühl, dass Mrs. Hopkins wohl noch eine Weile auf diese Weise fortgefahren wäre, hätte der Collector nicht recht scharf gesagt: »Caroline, du darfst nicht daran denken, sonst geht es dir wieder schlecht. Ich glaube sicher, Mrs. Lang würde lieber etwas Fröhliches hören.«

      »Im Gegenteil, Mrs. Hopkins hat mein tiefstes Mitgefühl … umso mehr, als ich selber erst kürzlich jemanden verloren habe, der mir sehr teuer war.«

      Die Augenbrauen des Collectors zogen sich zusammen; er blickte mürrisch und missmutig drein, sagte aber weiter nichts.

      Obwohl Fleury sich im Allgemeinen gern mit traurigen Dingen wie dem Herbst, dem Tod, Zerfall und unglücklichen Liebesgeschichten befasste, war er doch bestürzt über die morbide Wendung, die das Gespräch genommen hatte. Abgesehen davon, dass es genau das war, was er Miriam hatte ersparen wollen, indem er sie nach Indien brachte. Aber Mrs. Hopkins hatte sich wieder gefasst, und auch Mrs. Dunstaple hatte ihre Augen getrocknet, denn sie ließ sich leicht von den Tränen anderer anstecken, und allein der Gedanke an die Rötung ihrer Augen hatte sie davon abgehalten, sie ebenso reichlich zu vergießen wie ihre Freundin. Was Louise betrifft, so hatte sie sich zwar tränenreich umarmen lassen, aber sie war beherrschter als ihre Mutter, und ihre Augen waren nicht feucht geworden.

      Wie dem auch sei, es blieb keine Zeit zum Weinen. Es gab jede Menge Neuigkeiten auszutauschen, denn die Dunstaples hatten Krishnapur im Oktober verlassen, und seither war viel passiert. Außerdem wollten sie so vieles wissen … Wie es dem Padre ging? Und dem Magistrate? Und ob Dr. McNab noch niemanden ins Jenseits befördert hatte? Umgekehrt musste Mrs. Dunstaple alles berichten, was in Kalkutta passiert war. Sie hätte gern die verschiedenen Freier, die Louise umworben hatten, im Einzelnen aufgeführt, aber sie tat es ungern in Fleurys Anwesenheit, damit er nicht den Mut verlor. Überdies neigte Louise zu schlechter Laune, wenn offen über ihre Anwärter geredet wurde. Doch während sich Fleury und Miriam mit dem Collector unterhielten, hatte Mrs. Dunstaple gerade Zeit genug, Mrs. Hopkins anzuvertrauen, dass es einen Anwärter gab, einen gewissen Leutnant Stapleton, Neffe eines Generals, der tatsächlich sehr vielversprechend schien.

      Der Collector war nicht in guter Stimmung. Er fand Verabschiedungen bestenfalls grauenhaft, und er sorgte sich um seine Frau, die übermüdet war von der beschwerlichen langen Reise in einer dak gharry* von Krishnapur bis zur Endstation der Eisenbahn; aber er machte sich auch Sorgen darum, was während seiner Abwesenheit in Krishnapur geschehen mochte, denn seine Vorahnung einer nahenden Katastrophe verstärkte sich von Tag zu Tag. Hinzu kam, dass er sich von Miriam, die ihm offenbar einen Mangel an Gefühlen hatte vorwerfen wollen, missbraucht fühlte. »Sie kann nicht wissen, wie ich unter dem Tod des Babys gelitten habe! Und wie hätte ich wissen sollen, dass sie auf der Krim einen Ehemann verloren hat?« (Der Doktor hatte es ihm zugeflüstert.) … »Wie sieht es einer Frau doch ähnlich, sich so unredlich einen Vorteil zu verschaffen, den toten Ehemann herbeizuzerren, um einen ins Unrecht zu setzen!« Der Collector fuhr sich gegen den Strich über seine Koteletten und setzte erneut eine Wolke Zitronenverbena frei. »Wie war noch dieser Satz von Tennyson? ›… das sanfte und milchige Weibsgezücht …!‹«

      Aber der Collector bewunderte schöne Frauen und konnte ihnen nicht lange böse sein. Wenn sie schön waren, entdeckte er rasch andere Tugenden in ihnen, die er nicht bemerkt hätte, wenn sie hässlich gewesen wären. Bald begann er, Miriam vernünftig und reif zu finden, was nur bedeutete, dass er ihre grauen Augen und ihr Lächeln mochte. »Sie hat ihren eigenen Kopf«, beschloss er. »Warum können nicht alle Frauen Witwen sein?«

      Fleury und Miriam saßen den älteren Dunstaples in der Kutsche gegenüber, neben der kleinen Fanny. Ihr Raum war begrenzt, da die aufgeblähten Krinolinen der Ladies aneinanderstießen und einem Gentleman sehr wenig Platz ließen, mit Anstand seine Beine auszustrecken. Sogar Fannys schlanke Beine verloren sich in Bergen schneeweißer, stufiger Petticoats*. »Wie wohltuend, nach diesen endlosen fünf Monaten auf See wieder an Land zu sein! Wie man die Bäume, die Felder, das grüne Gras vermisst! Aber natürlich haben Sie, Miss Dunstaple, diese Wasserprobe schon selber durchgemacht, und ich rede daher, als wäre ich der Einzige, der je von England herübergekommen ist.«

      Fleury hatte dies als den Anfang einer angenehmen Unterhaltung betrachtet, aber irgendwie kamen seine Worte nicht gut an. Louises Lippen bewegten sich kaum zu einer Antwort, und ihre Mutter sah geradezu entrüstet aus. Hatte er einen Fauxpas begangen? Es konnte doch sicher nicht sein, dass Louise »im Land geboren« und daher nie in England gewesen war, was, wie er gehört hatte, von der indischen Gesellschaft sehr verachtet wurde. Aber ach, ebendas schien der Fall zu sein.

      Die Kutsche hatte ihr Tempo verlangsamt, um einen dicht bevölkerten Basar zu durchqueren. Fleury starrte hinaus in ein Meer brauner Gesichter, schamerfüllt ob seines Patzers. Ein paar Zoll entfernt saßen zwei Männer, die Beine überkreuz, in einem Schrank, einer mit schmutzigem Wasser den Schädel des anderen rasierend. Ein Käfig voll winziger zitternder Vögel mit schwarzen Federn und roten Schnäbeln kroch vorbei. Für Fleury war Indien eine Mischung aus Exotik und äußerster Langeweile, die er, ein Verehrer Chateaubriands, unwiderstehlich fand. Jetzt gab es Geschrei. Sie hatten das ghat* erreicht.

      Das Boot, das der Doktor angeheuert hatte, erwies sich in der Tat als eine sehr zweifelhafte Aussicht; ein Haufen undichter, fauliger Hölzer, grob länglich und bemannt mit dravidischen Halsabschneidern. Aber egal, es war nicht weit über den Hoogly; jenseits des Wassers waren die hoch aufragenden Bäume des Botanischen Gartens zu sehen.

      »Seht nur, da ist Nigel!«, schrie Louise genau in dem Moment, als sie einstiegen, und klatschte freudig in die Hände. Man sah eine scharlachrote Uniform bald hier, bald dort durch den weißen Musselin der Menge schimmern, und nun


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