Die Belagerung von Krishnapur. James Gordon Farrell

Die Belagerung von Krishnapur - James Gordon Farrell


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Pferd zu bändigen, und kletterte aufs Boot, während er atemlos sagte: »Tut mir schrecklich leid, die Verspätung!«

      Mrs. Dunstaple begrüßte ihn etwas unterkühlt. Offensichtlich hatte Louise ihr nichts von ihrer Absicht gesagt, Leutnant Stapleton einzuladen, und Mrs. Dunstaple war nicht sehr begeistert, ihn zu sehen. Aus dem Augenwinkel beobachtete Fleury, wie sie ihrer Tochter grollte und heimlich in seine Richtung nickte. Plötzlich erinnerte er sich daran, was der Doktor über Louise und ihre Anwärter gesagt hatte. Das war es also! Mrs. Dunstaple fürchtete, dass einer der geeigneten jungen Männer durch die Anwesenheit des anderen entmutigt werden könnte. Es schmerzte Fleury, Louise flüchtig in seine Richtung blicken, dann ihren Kopf zurückwerfen und wegschauen zu sehen, wie um zu sagen: »Was kümmert es mich, ob er entmutigt ist oder nicht?« Obgleich entmutigt, starrte Fleury auf den Fluss und gab vor, den Anblick zu bewundern. Leutnant Stapleton, der offenbar erwartet hatte, der einzige Vertreter der männlichen Jugend auf diesem Ausflug zu sein, wirkte seinerseits ziemlich verblüfft; als die beiden jungen Männer einander vorgestellt wurden, murmelte er nur lustlos und schielte mit missgünstigem Neid auf Fleurys zerknautschte, aber gut geschnittene Kleidung.

      Kaum hatten sie das schlammige Ufer auf der anderen Seite erreicht, erhob sich ein Tumult; die Ladies entdeckten, dass die Saumränder ihrer Kleider einiges an Bilgewasser aufgesogen hatten. Unter viel Jammern und Klagen zogen sie sich mit einem Dienstmädchen zum Auswringen auf eine Lichtung in angemessener Entfernung zurück. Als sie endlich wiederkamen, zog die Gesellschaft los, einen Haufen grinsender Diener im Gefolge. Der botanische Garten stellte wenig Blumen, aber viele gewaltige Bäume und Sträucher zur Schau. Ihr Weg führte an dem Riesenbanyan vorbei, und beim Anblick seiner zahlreichen Stämme, die sich über das Geäst zu einer Reihe spektakulärer gotischer Bögen verbanden, war Fleury von Ehrfurcht erfüllt. Er hatte noch nie einen Banyanbaum gesehen.

      »Das ist wie eine verfallene Kirche, geschaffen von der Natur!«, rief er aufgeregt; aber die Dunstaples ließen jede Reaktion auf diese Erkenntnis vermissen, und während alle damit beschäftigt waren, einen günstigen Platz für ihr Picknick zu finden, glaubte er Louise und Leutnant Stapleton ein verstohlenes Lächeln austauschen zu sehen.

      Von Zeit zu Zeit, derweilen sie zwischen den Bäumen weitergingen, kamen sie an grüne Lichtungen, wo junge Offiziere schon mit ihren Ladies picknickten; doch als sie schließlich eine unbesetzte Lichtung fanden, erklärte Mrs. Dunstaple, dort sei es zu sonnig. Auf der nächsten Lichtung war eine weitere Gesellschaft junger Offiziere, die mit Geschöpfen, welche der Doktor eindeutig für lustige junge Witwen hielt, Moselle Cup tranken. Fleury sah, wie sehnsüchtig die Blicke des Doktors an ihnen hingen, als er sich mit seiner eigenen Gesellschaft zum Weitergehen anschickte … aber die jungen Offiziere riefen ihn herbei, fragten lachend, ob er sie nicht erkenne? Und es stellte sich heraus, dass sie nicht nur flüchtige Bekannte, sondern beste Freunde waren, denn diese jungen Männer waren normalerweise in Captainganj stationiert; sie waren an der Waffenschule von Barrackpur gewesen, zur Ausbildung an den neuartigen Enfield Gewehren, derentwegen die Sepoys so entrüstet waren, und hatten die Gelegenheit genutzt, in Kalkutta ein bisschen Zivilisation zu genießen, sodass sie natürlich entzückt waren, ausgerechnet Dr. und Mrs. Dunstaple zu treffen, und natürlich Miss Louise, und was war eigentlich mit diesem jungen Lumpenhund Leutnant Harry Dunstaple, der hoch und heilig versprochen hatte, er würde ihnen schreiben, und keinen Federstrich zu Papier brachte? Sie würden sich den Bengel vorknöpfen, wenn sie in ein paar Tagen nach Krishnapur zurückkehrten … und nichts käme ihnen mehr gelegen, als dass die Schar der Dunstaples sich zu ihnen gesellte.

      Ihre Ladies, stellte sich heraus, waren mitnichten lustige junge Witwen, sondern Mädchen von der achtbarsten Sorte, Schwestern des einen oder anderen Offiziers; so fand alles mit höchstem Anstand statt.

      Die Offiziere hatten schon mehrere stürmische Angriffe auf ihren Picknickkorb verübt, einen umfunktionierten Wäschekorb, der nichts anderes zu enthalten schien als Moselle Cup in den unterschiedlichsten Flaschen und Gefäßen. Die Dunstaples brachten etliche Körbe mit, von denen mehr als einer das stolze Abzeichen von Wilsons »Hall of all Nations« (bestellter Lieferant des Rt Honourable Viscount Canning) trug, denn der Doktor glaubte offenbar an die ordentlich gemachten Dinge. Die jungen Männer konnten sich kaum zurückhalten, als die Träger der Dunstaples vor ihren Augen einen echten Yorker Schinken, zart und rosig wie Klein Fannys Wangen, Austern, eingelegtes Gemüse, Lammpasteten, Cheddar-Käse, Ochsenzungen, kalte Hühnchen, Schokolade, kandierte und kristallisierte Früchte und Biskuits aller Art aus dem besten frischen Kap-Getreide auspackten: Abernethy’s Kekse, Tops & Bottoms, Pfeffernüsse und was man sich an köstlichem Gebäck nur vorstellen konnte.

      Mit den Händen an seine Rockschöße klopfend, beobachtete der Doktor die Träger bei der Arbeit, ganz so, als hätte er das Interesse der jungen Männer nicht bemerkt, und wartete bis zum letzten Moment, ehe er mit scheinbarer Zurückhaltung erklärte: »Ich bin sicher, ihr jungen Leute werdet wohl kaum Lust auf Essen haben, aber wenn ihr möchtet …«, woraufhin ein gewaltiges Hurra ausbrach, das Mrs. Dunstaple veranlasste, sich umzublicken, ob sie nicht zu viel Aufmerksamkeit erregten, doch von den Waldwiesen ringsum hallten ähnlich fröhliche Geräusche wider; nur ein paar zerlumpt aussehende Eingeborene, die aufgetaucht waren, saßen am Rand der Lichtung auf ihren Fersen und starrten die weißen Sahibs an.

      Im Gegenzug bestanden die jungen Offiziere darauf, dass alle ihren Moselle tranken, von dem sie reichlichen Vorrat hatten; in der Tat genug, um sich und ihre Ladies mehrfach in Bewusstlosigkeit zu versetzen. Bald herrschte allgemeine Heiterkeit.

      Was Louise anbelangt, so sah sie ziemlich ätherisch aus im gesprenkelten Licht von Sonne und Schatten, doch es machte Fleury traurig, sie von Völlerei und Gelächter umgeben zu sehen; sie hielt einen am unteren Ende in eine Serviette gewickelten Entenschenkel hoch, aber nicht, um selbst daran zu knabbern, sondern um ihn in übertriebener und komischer Manier von den mit wüsten Schnauzbarthaaren bedeckten Lippen und gelblichen Zähnen eines der Offiziere abfressen zu lassen, seines Namens Leutnant Cutter, der, wie es schien, einer ihrer besonderen Vorjahreslieblinge in Krishnapur gewesen war. Und nicht genug damit, dass alle sich vor Lachen über sein Benehmen nicht mehr halten konnten, wurde Leutnant Cutter komischer denn je, warf den Kopf zurück und heulte zwischen seinen Bissen wie ein Wolf.

      Unterdessen wandte sich der Doktor an Captain Hudson, um etwas zu fragen, was ihm seit einigen Tagen nicht aus dem Sinn ging, nämlich: Was eigentlich dran sei an dem Gerede über Schwierigkeiten mit den Sepoys, die es im Januar in Barrackpur gegeben habe? Ob er und die anderen Offiziere zu dieser Zeit dort gewesen seien?

      »Nein, als wir hinkamen, hatte sich das alles schon gelegt. Aber was Größeres war das sowieso nicht … ein oder zwei Feuer in den Linien der Eingeborenentruppen und ein paar Gerüchte über Verunreinigung durch die neuen Patronen. General Hearsey ist sehr geschickt mit der Sache umgegangen, obwohl manche meinten, er hätte strenger durchgreifen sollen.«

      Hier rief Mrs. Dunstaple gereizt dazwischen, sie wolle eine Erklärung, denn niemand würde ihr je solche Dinge wie Verunreinigung oder Patronen erklären; wen interessiere es schon, wenn sie so dumm bliebe wie ein Dienstmädchen, und sie lächelte, um anzudeuten, dass sie es eher kokett als böse meinte. Also begann Hudson freundlich zu erklären. »Wie Sie wissen, laden wir ein Gewehr, indem wir ein Maß Schießpulver durch den Lauf in die Ladekammer schütten und obendrauf eine Kugel hineinstopfen. Nun, das abgemessene Pulver wird in kleinen Papierhülsen geliefert, die wir Patronen nennen … um an das Pulver zu kommen, muss das Ende der Hülse abgerissen werden, und beim Truppendrill bringen wir den Männern bei, dies mit den Zähnen zu tun.«

      »Und dadurch fühlen sich die Eingeborenen verunreinigt … ach du lieber Himmel!«

      »Nein, nicht dadurch, Mrs. Dunstaple, sondern durch das Fett an den Patronen … das ist natürlich nur an den Kugelpatronen … das heißt, an solchen mit einer Kugel drin. Man entleert das Pulver in den Lauf, und dann, statt das Papier wegzuwerfen, schiebt man den Rest der Patrone nach. Aber weil sie so knapp ins Rohr passt, muss sie eingefettet sein, sonst bleibt die Kugel stecken. Bei den neuen Enfield Gewehren, die Nuten im Lauf haben, würden Kugelpatronen mit Sicherheit steckenbleiben, wenn sie nicht eingefettet wären.«

      »Du meine Güte, dann war es also das Fett!«

      »Sicher


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