The Who - Maximum Rock I. Christoph Geisselhart

The Who - Maximum Rock I - Christoph Geisselhart


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verbarg sich zwar lediglich der Jugendraum der Congregational Church in Acton, aber Pete war trotzdem glücklich. Ein zweites Mal hatte sich die Musik für ihn als Schlüssel zur Rückkehr in die Gemeinschaft erwiesen. Unter den beschwingten Klängen der Squadronaires war er einst in den Schoß der Familie zurückgekehrt. Und jetzt erlebte er, wie es war, „so etwas wie Teil einer Gang zu sein.“

      Der Congo Club war jedoch nicht bloß ein Ort, wo Pete und John musizierten. Hinter den bürgerlichen Kulissen der Fünfziger brodelte bereits „eine Menge Gewalt und Sex“, wie Pete erzählt: „Während vorn der Geistliche nach dem Rechten schaute, wurden im Nebenraum auf den Pool-Tischen fünfzehnjährige Mädels umgelegt.“ Allerdings nicht von Pete. Der tauchte brav mit Anzug und Krawatte auf und hielt sich dezent im Hintergrund, um ja keinem weiblichen Wesen Anlass zu geben, sich über seinen Rüssel lustig zu machen: „Ich hatte es mit den Mädchen bis dahin nicht weit gebracht.“ In seiner Not schloss er sich sogar einem Friedensmarsch an, wie er 1990 gestand: „Wir waren alle sehr links, oder die anderen waren es – ich wusste damals nichts von Politik. Ich ging beim Aldermaston-Friedensmarsch 1958 nur mit, weil ich beobachtet hatte, wie die Jungs dauernd mit Mädchen in Schlafsäcken verschwanden.“

      Wenn es nach Pete ging, ließ sich das letzte Hindernis zum Glück eh nur mit Hilfe seiner Gitarre beseitigen. Musik musste ein Allheilmittel sein, himmlischer Segen für alle, die sich nach Erfüllung und Harmonie im Universum sehnten. Vor dieser Macht sollte selbst die wegen seiner Nase kichernde ­Mädchenschar ­kapitulieren. Er übte ohne Unterlass, während Kameraden wie John die Dinge pragmatisch angingen und sich mit einem Mädchen aus der Nachbarschaft ­verab­redeten.­

      In Johns Fall hieß dieses Mädchen Alison Wise. Sie war vierzehn, er fast sechzehn. Beide kamen aus Chiswick. Warum sollte man da nicht ein halbes Leben lang zusammen bleiben? Tatsächlich ging diese einfache Rechnung auf, denn John und Alison bildeten viele Jahre eine harmonische Einheit, was im kurzlebigen Rock’n’Roll-Geschäft alles andere als gewöhnlich ist.

      John betrachtete auch die musikalische Seite nüchterner. Für ihn war der Auftritt im Congo Club alles andere als eine musikalische Offenbarung gewesen. Mit ihm am Bass, Pete an der Rhythmusgitarre und den Mitschülern Mick Brown und Peter Wilson an Schlagzeug und Leadgitarre spielte die Band vor allem Stücke von Cliff Richard & The Shadows (vormals The Drifters), die sich ab 1958 als ­britische Popabziehbilder von King Elvis auf dem Vormarsch in die Hitparaden befanden. Der Shadows-Bassist Jet Harris war ebenso Johns Idols, wie Pete den Gitarristen der Shadows, Hank Marvin, verehrte. Neben den Instrumentalstücken dieser Vorbilder versuchten sich The Scorpions auch an den Hits US-amerikanischer Rocker wie Jerry Lee Lewis, Eddie Cochran oder Little Richard, wobei sie allerdings rasch an ihre Grenzen stießen.

      Eine andere Schulband namens The Detours beherrschte dieses Material weit besser. Sie wurde auch von einem wirklichen Schulrebellen geführt, dem ein Jahr älteren Draufgänger und Teddyboy Roger Daltrey, der Rock’n’Roll anscheinend wirklich lebte und mit regelmäßigen Auftritten sogar Geld verdiente. So urteilt selbst der spätere Gitarrenheld Townshend über seinen langjährigen Rivalen im Kampf um die Vorherrschaft bei The Who: „Rogers Band war mit Abstand die beste an der Schule. Er war der beste Gitarrist, ein sehr gründlicher, sicherer ­Spieler, sehr flüssig auf seine Weise. Er lernte alles, wie ein Papagei, und machte es dann sehr flüssig.“

      Pete begegnete dem unumstrittenen König des Schulhofs bereits 1957: „Er bedrohte mich mit einer Gürtelschnalle, nachdem er einen Freund von mir auf dem Schulhof besiegt hatte. Ich hatte ihn lauthals als dreckigen Kämpfer beschimpft, weil er den Jungen noch getreten hatte, als der schon auf dem Boden lag. Roger kam zu mir rüber und meinte: ‚Wer hat mich einen dreckigen Kämpfer­ genannt?‘ – ,Ich nicht.‘ Aber er sagte: ‚Doch, das hast du‘, nahm seinen Gürtel und fuchtelte damit vor meinem Gesicht herum. Ich hätte das als Wink des Schicksals nehmen sollen.“ Auch Roger erinnert sich an eine Rauferei auf dem Schulhof, wobei aber plötzlich eine erstaunliche Gemeinsamkeit zu Tage trat. Pete nämlich­ schrie in seiner Not: „Pass auf meine Finger auf, ich spiele Gitarre!“ Woraufhin Roger verblüfft abließ: „Ich auch.“

      Pete, der dünne, komplexbeladene Junge, für alle an der Acton Grammar School „eine Nase auf einer Bohnenstange“ (Daltrey), erwarb sich durch seinen Jähzorn, seinen Ehrgeiz und seine zunehmende Spielfertigkeit auf der Gitarre allmählich Respekt. „Ich erinnere mich gut an Townshend, obwohl ich ein Jahr über ihm war“, sagt Daltrey. „Ich wusste, dass er schwere Zeiten hatte, aber daran waren nicht wir schuld. Wir waren Flegel, aber keine Schlägertypen.“

      Dieser Einschätzung stimmte der Schuldirektor im Wesentlichen zu; aber Rogers vorzeitige Entlassung aus dem staatlichen Bildungswesen löste im Lehrkörper der Acton Grammar School gleichwohl eine gewisse Erleichterung aus.

      Bei seinen ehemaligen Mitschülern freilich hatte Roger seinen Nimbus als Rebell und echter Rock’n’Roller dadurch um so mehr gestärkt. „Er war ‚Big Bad Roger‘, der Leader der Teddyboys“, erinnerte sich John.

      Nicht mehr lange, und Roger sollte auch sein Bandleader sein.

      7.: Über Umwege zum Ziel: The Detours und ihr beschwerlicher Weg durch Londoner Nächte

      „Ich wusste immer, dass ich es schaffen würde.“

      Roger Daltrey

      „Und du spielst also Bass?“ – „Yeah.“

      Entscheidendes Gespräch zwischen Roger Daltrey und ­John ­Entwistle, der mit Bass und Verstärker die Straße quert

      „Musik war für mich die einzige Möglichkeit, jemals zu gewinnen.“

      Pete Townshend

      Roger nahm die Musik sehr ernst, ernster als andere Jungen in seinem Alter und ernster alles andere in seinem Leben.

      Schon während seiner Schulzeit hatte seine Band regelmäßig bei Partys, Geburtstagsfeiern, Hochzeiten und kleineren öffentlichen Veranstaltungen gespielt. Unter Rogers Führung machten sich The Detours auf, auch größere Aufgaben zu meistern. Immer häufiger traten sie in richtigen Klubs und Tanzsälen auf – gegen Lohn und Brot. Es mochte nicht viel sein, aber der materielle Aspekt hatte für Roger stets einen Antrieb dargestellt. Nach seinem vorzeitigen Schulabgang war dieses Geld der nötige Ansporn, sich auf der Bühne zu verbessern und seine Band nach vorn zu bringen. Andere Teenager machten nur aus Spaß Musik oder hängten sich Instrumente um den Hals, um sich zu profilieren. Roger dagegen betrachtete Rock’n’Roll von Anfang an als Geschäft und Berufung zugleich. Auch aus diesem Grund waren The Detours die beste Band in der Gegend; sie arbeiteten fast professionell und hatten Woche für Woche Gelegenheit, ihre Fähigkeiten vor einem nicht ganz einfachen Publikum zu erproben und weiter zu entwickeln.

      Nach seinem Schulausschluss 1959 gab es für den fünfzehnjährigen Roger ­keinen Zweifel, dass er eine erfolgreiche Laufbahn als Musiker einschlagen würde. Seine Hoffnung speiste sich aus einem Karrierevorbild, das Zeitungen, Fernsehen, Kino, aber auch der Rock’n’Roll selbst suggerierten: Der aufsässige Junge aus bescheidenen Verhältnissen, der dank seiner Gitarre zum Star wird – das war damals ein gängiges Klischee, das Bill Haley und Elvis Presley, spätestens aber der Skiffleboom 1956/1957 und endgültig Chuck Berrys Rock’n’Roll-Hymne „Johnny B. Goode“ zementierten. Tausende Jugendliche in den Arbeitervierteln Englands fühlten sich dadurch zu einer Musikerkarriere aufgerufen. George ­Tremlett, damals Mitarbeiter des Fachblatts New Musical Express, schätzt, dass es in England zu Beginn der sechziger Jahre zwanzig- bis fünfundzwanzigtausend ­Amateurbands gab, die Abend für Abend in Tanzsälen oder Klubs auftraten.

      Rogers Vision vom eigenen Starruhm war also keineswegs ungewöhnlich; außergewöhnlich waren jedoch seine Durchsetzungskraft und die Disziplin, mit der er schon als Teenager seinen Traum anging. Musik bedeutete ihm alles, mehr noch als Mädchen, die ihn trotz seiner unscheinbaren Körpergröße von einsdreiundsechzig liebten und die er bei seinen Auftritten von der Bühne herab wie ein Jäger mit großem Geschick eroberte.

      Die einzige Konstante in seinem Leben aber blieb die Musik. Nachdem seine Eltern darauf bestanden hatten, dass er eine Lehre begann, um wenigstens eine gewisse


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