The Who - Maximum Rock I. Christoph Geisselhart

The Who - Maximum Rock I - Christoph Geisselhart


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      Beide Bands, das RAF Dance Orchestra und das Sydney Torch Orchestra, waren in London stationiert. Betty, damals vierundzwanzig, und der drei Jahre ältere Cliff entwickelten eine stürmische Beziehung. Musik spielte darin eine wesentliche Rolle. Schon ihre Eltern hatten mit einer professionellen Musikerkarriere geliebäugelt. Cliffs Vater hatte als versierter Flötist vor dem Krieg ­Konzerte­ gegeben und war fast schon ein Berufsmusiker gewesen; seine Mutter hatte in Kabaretts gesungen, auch Bettys Vater galt als guter Sänger.

      Am 19. Mai 1945, der Krieg war erst seit wenigen Tagen beendet, hatte Cliffs Orchester einen öffentlichen Auftritt, um die martialische Siegesrede eines ­Luftwaffenkommandeurs zu begleiten. Mitten in der Ansprache brauste ein Motorrad heran. Alle rechneten damit, dass dem Kommandeur eine wichtige Botschaft ans Mikrofon gereicht wurde; doch der Kradmelder schlitterte den Bühnenrand entlang, stoppte vor dem Orchester und verkündete in Richtung Bühne: „Es ist ein Junge, Cliff!“

      Peter Dennis Blandford Townshend, wie der theatralisch angekündigte Knabe von den stolzen Eltern in voller Länge getauft wurde, sollte sein ganzes Leben im Licht und Schatten jener Bühnenwelt zubringen, die zu seiner Geburt applaudierte. Wie ein Musenbringer aus dem Olymp war der Kradmelder vor dem Orchester des Vaters erschienen, die Ankunft eines künftigen Musikheroen vor erwartungsvollen Zunftbrüdern ausrufend – ein herrliches, ein anekdotisches Bild, das dem Leben Peter Townshends eine durchgehende Linie zuweist.

      Ohne das musikalische Erbe und die Tradition seiner Eltern wären die Errungenschaften, die Pete Townshend und The Who in die Geschichte der Rock­musik eingebracht haben, nicht möglich gewesen. Was die Eltern ihm in die Wiege legten, entwickelte der Sohn auf höchst eigenständige Weise weiter und brachte es mit einer Schar Gleichgesinnter zur Entfaltung. Dass ihm seine schon als Baby prägnante Nase dabei im Weg stand, war indessen ein Irrtum, dem selbst der Besitzer des beachtlichen Riechorgans jahrzehntelang beharrlich aufsaß.

      4.: Eine Legende wird geboren: Aber wann?

      „Er liebte einfach all die Aufmerksamkeit.“

      Keiths Mutter über die frühe Lust ihres Sohns, im Mittelpunkt zu stehen

      Der Mond symbolisiert das Unergründliche, ewig Emotionale; er reflektiert das schöpferische Licht der Sonne und erhellt die Nacht. Doch was auf seiner dunklen,­ dem Betrachter abgewandten Seite geschieht, bleibt verborgen.

      Keith Moon, der mit seinem donnernden, rollenden, unvorhersagbaren, voranpeitschenden Schlagzeugspiel die Tradition seines Instruments revolutionierte und mit exzentrischen Eskapaden auch abseits der Bühne für Dramen und Burlesken sorgte, solange er lebte, hielt vieles verborgen.

      Wie es sich für einen echten Rock’n’Roll-Mythos gehört, beginnt das Rätsel schon bei seiner Geburt. Nahezu alle Biografien über The Who, die offizielle der Band eingeschlossen, legen Keith Moons Eintritt in diese Welt auf den 23. August 1947 fest. Der Musikjournalist Tony Fletcher, der für seine Biografie Dear Boy über hundertzwanzig Zeugen aus Keiths Leben befragte, konnte jedoch nachweisen, dass sich der Drummer vor seinem Berühmtwerden ein Jahr jünger gemacht hatte, als er tatsächlich war. Keith Moon wurde in Wahrheit am 23. August 1946 geboren­ und war damit nur fünfzehn Monate jünger als Pete Townshend – was ihm wohl nicht ausreichte, um ein juveniles Image gegenüber dem saturiert wirkenden Songwriter zu etablieren.

      Mit Keith Moon beginnt die Nachkriegszeit in der Geschichte der Who. Helden­ werden im Krieg geboren; doch um selbst ein Held zu werden, musste der letzte im legendären Quartett wohl außergewöhnliche Schritte unternehmen. Er begann damit konsequenterweise bei der Geburt und verschleierte seine ­Herkunft umso mehr, als sie beinahe langweilig zu nennen ist. Seine Mutter, Kathleen „Kitty“ Hopley, Tochter eines Eisenbahners, und der Bauernsohn Alfred Charles Moon trafen einander in den späten dreißiger Jahren, als Familie­ Hopley Urlaub in Kent machte. Die Farm der Moons lag unweit des Ferienorts Herne Bay, wo Arbeiterfamilien wie die Hopleys gern die Freuden des Strandlebens genossen. Als junger­ Bauer war Alf von der Einberufung freigestellt und konnte selbstbewusst um Kit werben.

      Bald gewann er jedoch die Überzeugung, dass er eigentlich nie Bauer werden­ wollte und dass sein Land ihn brauchte. So nutzte er die Gelegenheit, sich ­freiwillig zum Wehrdienst zu melden, um nach dem Krieg ein anderes Leben führen zu können.

      Alf und Kit heirateten noch im Krieg, 1941, in Nordwest-London. Sie bezogen ihr erstes urbanes Zuhause in Wembley, 224 Tokyngton Avenue, nahe dem Haus der Großeltern in Harlesden. Keith wurde auf dem Höhepunkt des britischen Nachkriegs-Babybooms im Central Middlesex Hospital, Acton Lane, geboren – ohne jede Komplikation. Er kam in eine geordnete, liebevolle und sichere Umgebung, die sich merklich von den dramatischen Umständen unterschied, in denen etwa Roger Daltrey sein erstes Lebensjahr verbrachte.

      Keiths Eltern waren brave, einander fürsorglich und treu verbundene Menschen, die sich nichts sehnlicher wünschten, als ein behagliches und unauf­geregtes­ Leben führen zu können und ihr aufgewecktes Söhnchen nach Herzenslust zu verwöhnen. Alf arbeitete als Maschinist in einem metallverarbeitenden Betrieb und brachte jede Woche ein festes Gehalt nach Hause, Kit versorgte den Haushalt und hatte viel Zeit, dem drolligen Keith eine gute Mutter zu werden.

      Hätte diesen braven Eltern jemand prophezeit, welch uferloses, skandalum­wittertes und fieberhaftes Leben dieser niedliche Wonneproppen dereinst führen werde, es wäre ihnen äußerst unglaubwürdig erschienen.

      5.: Erster Lorbeer, erste Narben: Roger wird zum Rebellen

      „Ich liebte Rock’n’Roll, weil man ihn hasste!“

      Roger Daltrey

      Nach ihrer Evakuation aus London waren Roger und Irene Daltrey in einem ärmlichen Bauernhof in Schottland untergekommen. Es gab weder fließendes Wasser noch Licht, geschweige denn einen Herd oder elektrischen Strom. Der Brunnen lag zehn Minuten Fußmarsch entfernt, und zum nächsten Einkaufsladen ging man fast zwanzig Kilometer. „Ich glaubte nicht, dass wir überleben würden. Zum Essen hatten wir nur gekochte Kartoffeln. Ich konnte kaum gehen, und meine Hände konnte ich auch kaum bewegen“, erinnert sich Irene.

      Dazu kam die Angst um ihren Mann, der als Schütze in Deutschland ­kämpfte,­­ und die ungewohnte Trennung von ihrer Familie. Dreizehn Monate verbrachten Roger und seine immer noch gehandicapte Mutter in der rauen schottischen Umgebung, bis der Krieg vorüber war und die kleine Familie endlich wieder in der Percy Road vereint war. Mit der Rückkehr seines Vaters setzt auch Rogers Erinnerung ein: ein fremder Mann mit Blechhelm, der hereinkommt und die ­Mutter küsst.

      Roger war ein hübscher, blondgelockter Bub, der von seiner Mutter die ersten­ beiden Jahre nur in jungfräuliches Weiß gekleidet wurde. Doch alles Schutz­bedürfnis­ half nicht; Roger hatte ein Talent dafür, sich immer wieder in Schwierig­keiten zu bringen – um sie mit Pauken und Trompeten zu überstehen. Mit drei Jahren schaffte er es, einen langen Nagel zu verschlucken, der ihm operativ entfernt werden musste: „Mein Vater und ich spielten ein kleines Spiel: Versteck den Nagel“, erzählt Roger. „Ich dachte mir, dir werde ich’s zeigen, und steckte mir den Nagel in den Mund.“

      Die beeindruckende Narbe, die er von diesem Eingriff zurückbehielt, sollte ihm zwar als Jugendlicher zum Vorteil gereichen, indem er sie zum Beweis einer angeblichen Messerstecherei vorzeigen konnte; die Folgen jedoch waren zunächst lebensgefährlich. Der Nagel war rostig gewesen, und über die Zeit hinweg hatte sich in Rogers Magen ein Tumor gebildet, der zwei Jahre nach dem Unfall aufbrach und den Fünfjährigen innerlich vergiftete.

      Wieder lag Roger im Hospital, sechs Wochen, in denen seine Mutter fast verzweifelte. Da hatte sie ihren Sohn gegen so viele Unbilden durchgebracht, und nun sollte sie ihn wegen eines rostigen Nagels verlieren? Aber Roger kam durch, wieder einmal, und bewies jenen kämpferischen Instinkt, der ihn lebenslang auszeichnete.

      Nach seiner Wiederherstellung wurde Roger Daltrey eingeschult. Zur Freude­ seiner Eltern war er ein begabter und lernwilliger Schüler, der besonders in Kunst, Musik und Sport gute Noten nach Hause brachte. Er lernte ein wenig Trompete spielen, sang in einem protestantischen Kirchenchor und trainierte sich beim Boxen Zähigkeit und Ausdauer


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