The Who - Maximum Rock I. Christoph Geisselhart

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Roger baute dafür weitere Gitarren und erste Verstärker: „Meine Gitarren­ waren gar nicht übel. Die letzte, die ich selber baute, war sogar richtig­ gut. Ich benutzte sie bis ungefähr 1962 auf der Bühne. Dann kaufte mir mein Vater eine neue ­Epiphone.“

      Pete Towshend bestätigt: „Seine Gitarren waren ziemlich gut, nur die Hälse verbogen sich nach einiger Zeit.“

      Da die oben genannte Gitarre Baujahr 1961 war, eine Epiphone Wilshire mit Solidbody, kann etwas an Rogers Rechnung nicht stimmen. Entweder bekam er seine erste richtige E-Gitarre schon 1959, wie andere Quellen behaupten (zum ­Beispiel Chris Charlesworth, Die illustrierte Who-Biografie, 1982), als absehbar war, dass sich seine schulische Laufbahn dem Ende neigte; oder er benutzte die selbstgebaute Gitarre nicht ganz so lange, wie er nachträglich meinte. In jedem Fall aber galt: „Musik war alles für mich. Nichts sonst interessierte mich.“

      Zu dieser Schlussfolgerung kam 1959 auch Schuldirektor Desmond Kibble­white:­ „Roger war ein lebhafter Bursche. Wir hatten ein Jahr voller Ausein­andersetzungen. Oft ist nicht nachvollziehbar, was Jugendliche antreibt, wenn sie glauben, die Gesellschaft sei gegen sie. Da war nichts richtig Kriminelles an ihm. Aber wenn ein Junge mit den Taschen voller gestohlenen Toilettenspül­ketten­ erwischt wird, muss man was unternehmen.“

      Der Schulmeister führte ein letztes, ein abschließendes Gespräch mit den Eltern. Roger wurde der Schule verwiesen, offiziell weil er das Rauchverbot wiederholt missachtet hatte; aber es gab auch Gerüchte, wonach ein Messer oder eine Luftgewehrkugel nahe am Auge eines Mitschülers die Entscheidung des Rektors beeinflusst hatte.

      Rogers Eltern waren von dem Schulverweis geschockt. Ihr hoffnungsvoller Spross war als Unruhestifter gebrandmarkt und galt im ganzen Viertel als Raufbold mit zweifelhafter Zukunftsprognose. Schwester Gillian bestätigte das schlechte­ Image des späteren Who-Frontmanns. „Er war ein richtiger kleiner Tyrann.“

      Roger selbst verteidigt sich gegen die Vorwürfe: „Ich habe mein ganzes Leben lang bedauert, dass sich keiner mit mir hingesetzt und mir erklärt hat, dass die Schule für einen selbst ist. Ich habe nie nach Streit gesucht. Ich habe nie jemanden grundlos verletzt, nur der Sache wegen. Aber ich konnte mich verteidigen.“

      Dort, wo Roger herkam, durfte man nicht ausweichen, wenn man heraus­gefordert wurde. Man lieferte einen guten Kampf ab. Wenn jemand kaum einsfünfundsechzig groß war und von der Statur eines Kleiderschranks einiges ­entfernt,­ musste er vielleicht besonders aggressiv auftreten, um zu bestehen und seine Vorstellung vom Leben verwirklichen zu können: „Ein Junge von meiner ­Herkunft­ – welche Möglichkeiten, da raus zu kommen, hat er schon? Entweder du arbeitest in einer Fabrik und wirst ein Spießer. Oder du ergreifst, wenn bloß ein Funke des Wunschs nach Selbstverwirklichung in dir ist, einen von vier Berufen:­ Fußballspieler, Boxer, Krimineller oder Popsänger“, meinte Roger Daltrey.

      Fußballer und Boxer wurde keiner von seinen Freunden. Einige landeten im Knast, wie Roger später herausfand. Die verbliebene Alternative nahm er fortan entschlossen in Angriff.

      6.: Vereint im Zorn: Pete wird vom Schulhofkönig herausgefordert, und John, der ­Waldhornbläser, schaut ­ungerührt zu

      „Den verdammt größten Triumph meiner Schulzeit feierte ich, als mich Roger fragte, ob ich Gitarre spielen könne.“

      Pete Townshend

      „Eine Nase auf einer Bohnenstange.“

      Roger Daltrey über die optische Erscheinung seines Mitschülers Townshend

      „… und ich erblickte diesen Typ, der wie Tony Curtis gestylt war.“

      John Entwistle beschreibt Rogers Outfit während einer Schulversammlung

      Betty und Cliff Townshend hatten es nicht leicht miteinander. Beide waren hitzköpfig und ehrgeizig, tranken gern über den Durst, gingen oft aus und wollten als Musiker erfolgreich sein. Keine geringen Ansprüche für ein junges Paar mit Kind.

      Nach Petes Geburt musste Betty zwangsläufig ihre Karriere und das lieb gewonnene Künstlerleben zurückstellen, und so blieb sie zuhause in Acton in 22 White­hall Gardens. Cliff war die meiste Zeit mit seiner neu formierten Big Band unterwegs. Sie war aus dem RAF Dance Orchestra hervorgegangen und nannte sich nun The Squadronaires. In kürzester Zeit wurde die Combo in England so populär, dass in Musikfachblättern sogar mit Cliff und seinem „singenden Saxofon“ geworben wurde.

      Cliffs erfolgsbedingte Abwesenheit tat der jungen Künstlerehe gar nicht gut. Betty begann Affären mit anderen Männern und bekam Probleme mit Alkohol. Pete war noch ein Kleinkind, als sich die überforderten Eltern trennten und Betty den Jungen zu ihrer Mutter nach Kent brachte. „Granny Denny“, wie Bettys ­Mutter,­ Emma Dennis, gerufen wurde, durchlief allerdings selbst unruhige ­Zeiten­ und befand sich laut Pete in einer „Midlife Crisis“. In einem Interview 1993 berichtet er: „Ich war sehr einsam, von meinem Vater hörte ich überhaupt nichts mehr.“ (In einer anderen Erinnerung schickt der Vater immerhin eine Menge Taschengeld.) „Meine Mutter kam am Wochenende für eine Stunde, um mich zu sehen, unglaublich verführerisch angezogen. Sie war sehr schön, und ich wünschte mir innig, mit ihr zusammen sein. Ich wollte immer mit meinen berühmten, aufregenden, schönen Eltern zusammen sein. Stattdessen lebte ich bei dieser bitteren, übellaunigen, klinisch verrückten Großmutter.“

      In einem weiteren Interview äußerte er sich so: „Ich hatte eine merkwürdige Beziehung zu meiner Mutter. Sie war sehr schön und heiratete einen gutaus­sehenden Mann“ (Petes Vater). „Dann hatte sie dieses sehr gewöhnliche Kind.“ (Pete meint sich selbst!) „Sie war liebevoll, aber ich konnte ihre Verwirrung und Enttäuschung fühlen. Ich schaffte es nicht mehr, sie für mich zu interessieren, als ich kein Baby mehr war.“

      Ungeachtet der für Pete typischen poetischen Einfärbung seiner Erinnerungen besteht kein Zweifel, dass er als Junge aus der für ihn unverständlichen Abschiebung durch die Eltern einen weitreichenden Minderwertigkeitskomplex ent­wickelte.­ Zorn, Frustration und die Sehnsucht nach Nähe und Anerkennung bestimmten früh seine Gefühlswelt.

      Die Situation spitzte sich zu, als Granny Dennys reicher Liebhaber davonlief und die labile Mittvierzigerin laut Pete nackt durch die Straße rannte. Seine beiden­ Jahre im Haus der Großmutter bezeichnete er 1993 als „Hölle“ und „Trauma“, das ihn als Künstler stark beschädigen würde, wenn er sich bewusst damit aus­einandersetzte. „Ich hasste meine Großmutter“ gab er bekannt. Aber er sagte auch: „Sie war so alt wie ich heute, und ich identifiziere mich sehr mit dieser Frau, die sich um mich kümmern musste.“

      Solche ambivalenten Aussagen wurden einige Jahre später spekulativ aus­gedeutet, als ihn die Vergangenheit im Zusammenhang mit dem sogenannten ­„Kinderpornografie-Skandal“ doch wieder einholte (siehe Band 2). War Pete als Kind etwa selbst missbraucht worden?

      Die endgültige Antwort auf alle Fragen und Vorwürfe aus jener Zeit hat sich Townshend für seine Autobiografie vorbehalten, an der er seit 1995 arbeitet und die nach seiner Auskunft „in Kürze“ (2009? 2010?) erscheinen soll. Auf seiner Website hatte er 2007 Auszüge veröffentlicht, die sich flüssig und interessant lasen und viele detaillierte Beobachtungen boten – allerdings fehlten verbindliche Stellungnahmen zu dieser Phase seines Lebens. Einige Äußerungen Townshends lassen auch die Vermutung zu, dass er erst später, im Alter von zehn Jahren, von jugendlichen „Seekadetten“ zu sexuellen Handlungen gezwungen wurde. Ein anderes Mal sieht es eher so aus, als habe er sich den Missbrauch nur eingebildet. Aktuelle Informationen könnte der interessierte Leser unter www.petetownshend.com finden, wobei zu bemerken ist, dass Townshend das Medium Internet gleicher­maßen begeistert wie wechselhaft benutzt. Zur Drucklegung dieses Buchs war seine eigene Webseite mit der neuen Who-Webseite gleichgeschaltet.

      Sicher ist, dass sich die Eltern nach zwei Jahren der Trennung zusammen­rauften­ und ihren dreijährigen Sohn zurückholten. Die wieder vereinte Familie bezog Quartier in einem gepflegten zweistöckigen Backsteinhaus in der Woodgrange Avenue, Hausnummer 20, einer Sackgasse in Ealing, jeweils nur ein paar Kilometer von Shepherd’s Bush, Acton und Chiswick entfernt, wo ein gewisser John Entwistle vielleicht gerade


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