Gonzo. Matthias Röhr

Gonzo - Matthias Röhr


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betrug neunundneunzig Pfennig. Irgendjemand hatte Norbert im Vorfeld gesagt, dass ab einer Mark Eintritt die GEMA auf der Matte stehe, und das wollte nun wirklich niemand riskieren.

      Die Halle hatte eine kleine Bühne, und es wurde sogar noch ein „Support Act“ aus dem Umkreis an den Start gebracht. Fast zweihundert musikinteressierte Menschen wohnten dem ersten Gig von Headliner bei. Ein Erfolg, der Matthias, Ralf, Tommy und Norbert stolz machte. Damit hatte niemand gerechnet. Nebenführs Vater, der an jenem Abend auch anwesend war, fiel direkt Matthiasʼ Art und Weise auf, mit dem Publikum zu interagieren. Dass der sich außerdem als Gitarrist pudelwohl fühlte, war offensichtlich.

      Wenig später stieß Andreas B. als neuer Sänger hinzu. Man lernte ihn auf einer der unzähligen Partys kennen. B. sang damals Songs von Pink Floyd rauf und runter. Seine hohe Stimme begeisterte. Das war der perfekte Mann, um die Gallionsfigur von Headliner abzugeben.

      Nun konnte sich Matthias voll und ganz darauf konzentrieren, ein waschechter Gitarrist zu sein. Er konnte von links nach rechts laufen, grinsen, seine Axt in den Händen halten und die Gitarre wie ein richtiger Rockstar hochreißen. Soli spielen, die Crowd anfeuern und lauthals mitgrölen. Aber ohne Mikrofon. Singen war seine Sache nicht.

      B. konnte das besser und hatte obendrein noch echte Entertainer-Qualitäten, die das Publikum mitreißen sollten.

      Norbert erinnert sich gut an die Monate, in denen Headliner richtig anfingen zu wachsen: „Im Proberaum ging es teilweise gut ab. Matthias hatte einen Song für seine damalige Freundin geschrieben, dessen Text er aber irgendwie nicht mochte. Also hat er einfach den Zettel samt Ketchup gefressen und wenig später ausgekotzt. Wir haben immer zusammengesessen, Bier getrunken, geraucht und Pommes gegessen. Langsam wurde auch das Equipment besser. Matthias und ich haben uns dann Stratocaster-Nachbauten von Ibanez gekauft. Die klangen deutlich geiler.“

      Andreas B. hatte eine Connection zu einem Aufnahmestudio klargemacht, in dem die Jungs ein bisschen die Luft professioneller Bands einatmen sollten. Die Besitzer waren schmierige Typen, die eher mit Schlager oder Discomusik gerechnet hatten, weniger mit Hard Rock. Und als die Matthias und dessen Aussehen sahen, witterten sie die Chance, aus ihm einen Schlaghosen tragenden Discotypen zu machen, den sie managen wollten.

      „Vergesst es, ihr spinnt wohl“, sagte der. Damit hatte sich das Thema der Studioaufnahmen erledigt.

      Der große Traum, Headliner würde es irgendwann aus der hessischen Provinz rausschaffen, wurde im Laufe des Jahres zerschlagen. Es gab noch einen Gig während des Schulfests in Kelkheim-Fischbach, und man hing zusammen viel ab, schaute gemeinsam die ersten Rocknächte im Fernsehen, während derer man schwer von Motherʼs Finest und Rory Gallagher begeistert war, aber langsam ging es bergab.

      Erledigt hatte sich bald auch die Schulzeit. Zumindest für Norbert, der unmittelbar nach der Schule eine Lehre begann.

      Matthias durfte noch eine „Ehrenrunde“ drehen.

      Es half alles nichts, und als auch noch Tommy die Band verließ und man auf die Schnelle keinen Schlagzeuger finden konnte, sahen sich Headliner mit dem Beinahe-Ende konfrontiert.

      Norbert: „Matthias war schon damals ein Typ, der seine Freunde brauchte und schätzte. Er war ein prima Kumpel, auf den man sich immer verlassen konnte, der aber auch den unbedingten Willen hatte, sich musikalisch weiterzuentwickeln. Er kam auch mit unserem neuen Schlagzeuger nicht zurecht, es entstanden Spannungen. Matthias hat Headliner dann 1979 verlassen. Wenig später ist er nach Frankfurt gezogen. Ab da hat man sich dann leider komplett aus den Augen verloren. Dennoch: Ich erinnere mich mit Genuss an die gemeinsame Zeit mit dem späteren ‚bösen Onkel‘.“

      Spätestens ab Ende des Jahres 1979 war Matthias oft Gast in der Offenbacher Stadt- oder der Frankfurter Jahrhunderthalle. AC/DC wurden besucht, damals noch Vorgruppe von Rainbow, deren Musik Kultstatus besaß. Später, noch ehe Bon Scott viel zu früh das Zeitliche segnete, kam es sogar zu einem kurzen Treffen mit Bon, Malcom und Angus während ihres Gastspiels in Offenbach.

      Led Zeppelin, Rush und unzählige weitere Bands wurden auf deren Shows abgefeiert und angefeuert. Vor allem aber wurden sie beobachtet. Matthias stand selten mitten im Publikum, noch viel seltener oben auf den Rängen, sondern nahezu immer direkt vor der Bühne und betrieb fleißig „Augenklau“. Fasziniert wanderten dann seine Blicke von links nach rechts. Vom Bassisten zum Gitarristen, und dann, wenn es richtig im Magen kribbelte, weil die Bassdrum drückte, schaute er ganz genau auf den Drummer.

      Im Geiste speicherte er alles ab, was er hörte und ihm eine krasse Gänsehaut bescherte, um es anschließend zuhause nachzuspielen. Darin konnte der junge Röhr eine fast schon pedantische Geduld und Genauigkeit an den Tag legen. Erst, wenn das Solo oder das Lick einwandfrei reproduziert werden konnten, wurden sie für Zuhörer adaptiert. Die Kunst lag allerdings darin, sie nicht bloß eins zu eins zu kopieren. Die Gefahr, die im reinen Covern der Lieblingskünstler lag, erkannte er schon damals. Das katastrophale Ergebnis der Bands, die ausschließlich so agierten, konnte man auf vielen Dorffesten, bei Scheunenfeten und in diversen Jugendzentren hören. Null Prozent eigene Kreation, hundert Prozent Kopie.

      Das war nicht das, was Matthias wollte. Sein Bestreben lag nicht im Kopieren. Nicht 1979, nicht 1999 und auch nicht 2019. Unselbstständigkeit und Stillstand waren ihm schon als Jugendlicher verhasst. Der Kelch des Nachspielens und der damit verbundenen schleichenden Mutation zum Cover-Gitarristen ging glücklicherweise an ihm vorüber. Und das hatte einen einfachen Grund. Beherrschte man die Songs einmal gründlich, legte man sie einfach erneut auf und improvisierte selbst, während im Hintergrund der Original-Track auf dem Plattenteller seine Runden drehte. Matthias spielte dann seine ureigenen Interpretationen der glorreichen Mid-Seventies-Rockbands. Die schon erwähnten Black Sabbath und Stones waren genauso dabei wie Sweet, Slade, Lynyrd Skynyrd oder die Faces. Und er war schnell darin, zu lernen und zu improvisieren.

      Irgendwann zu Beginn des Jahres 1979 spielte er in der Band Sinner. Zu jener Zeit warf der Punk schon seine Schatten voraus. Lange schwarze Haare, Lederjacken, Wrangler-Jeans mit 45er-Schlag, Sonnenbrille und ein dahinter lauernder „Leckt mich alle am Arsch“-Blick.

      Herr und Frau Röhr entzündeten kein Tischfeuerwerk, als sie ihren Sohn das erste Mal so nach Hause kommen sahen. Seine Bandkollegen sahen ähnlich wie er, aber doch anders aus. Grauer Parker, Kiffer-Scheitel, rote Jeans, Adidas-Sneakers.

      Oliver, Schulkamerad und Drummer von Sinner, schminkte sich das Gesicht weiß, zog die Mundwinkel mit schwarzem Kajalstift nach unten und gab den desillusionierten, traurigen Clown zum Besten. Zwei Jahrzehnte, bevor Brandon Lee als „The Crow“ mit einem ähnlichen Outfit zur Kultfigur wurde.

      Martin Röhr, heute Schlossermeister und seit vielen Jahren verheiratet, wurde 1965 geboren und ist Matthiasʼ kleiner Bruder. Einer von drei „kleinen Brüdern“. Bis zum großen Durchbruch der Onkelz 1991 arbeiteten die beiden Röhrs bei derselben Firma in Frankfurt. Heute wohnen er und seine Frau Anna in einem kleinen, beschaulichen Vorort von Frankfurt am Main. Martin erinnert sich heute gern an diese Zeit zurück, in der alles möglich war. Die mittleren Siebzigerjahre tauchten während unserer Gespräche immer wieder sonnenwarm vor seinem inneren Auge auf. Sprach man mit ihm, veränderte sich leicht, aber hörbar, seine Stimmlage. Er erzählte frei über seinen Bruder Matthias, den Rockstar.

      „Für mich war Familie immer das Wichtigste. Und ich habe eigentlich immer versucht, die Familie zusammenzuhalten“, sagt er. „Die wilden Jahre und die langen Haare. Das hat oft für wenig Gelächter bei uns zuhause gesorgt. In Liederbach gab es sonntags beim Mittagessen eigentlich immer die Gespräche mit Matthias. Unser Vater konnte da schon sehr penibel sein, wenn ihm was nicht gepasst hat. Das lief dann so ab, dass wir uns, nachdem mein Vater von der Arbeit zurück war (sonntags war die Gaststätte des Vaters immer von morgens bis mittags für den Frühschoppen geöffnet), zum Mittagessen zusammensetzten und nach kurzer Zeit die ‚Moralpredigt‘ losging: ‚Junge, die Haare müssen ab‘, sagte er immer. Und mein Bruder hat dann immer genickt und so getan, als höre er ihm zu. Tat er natürlich nicht. Wenn man Matthias kannte und wusste, was ihn interessierte, dann sah man auch schnell, dass bei ihm die Standpauken und Belehrungen unseres Vaters eher weniger taugten. Das ging sogar so weit, dass unser alter Herr bei ihm selbst Hand anlegen und die Haare schneiden


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