Radieschen von unten. Marie Kastner

Radieschen von unten - Marie Kastner


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das Ganze lässt sich schwer beschreiben. Es sind eigentlich unzählige kleine Gemeinheiten. Sobald ich auf diese ätzende Tante treffe, gibt es Sticheleien, Kritik oder scheele Blicke. Was immer ich mache, ist schon von vornherein verkehrt oder unzureichend. Die kann mich nicht ausstehen, das ist offensichtlich.

      Weißt du, nach der Schule hatte ich erst einmal gar keinen Bock auf Ausbildung, wusste auch nicht recht, was ich werden wollte. Genaugenommen hätte ich am liebsten überhaupt keine Lehre gemacht, sondern neue PC-Games durchgespielt und Kommentare auf YouTube eingestellt. Wenn man irgendwann zu den Besten gehört und gute Sponsoren findet, lässt sich damit ein Riesenhaufen Kohle verdienen. Das weißt du ja bestimmt.

      Du kannst gerne mal unter SkinnyAssPaul nachschauen, es gibt schon jede Menge Abonnenten, die ganz heiß auf aktuelle Videos von mir sind. Das Gamer-Business wäre sicher gut gelaufen und voll mein Ding gewesen, Mann. Und wenn man das schon perfekt beherrscht und sich in der Szene auskennt, wieso sollte man dazu noch was anderes lernen wollen?

      Reine Zeitverschwendung, sag ich dir.

      Aber nö, mein spießiger Vater bestand stur darauf, dass ich erst mal eine abgeschlossene Ausbildung in der Tasche haben müsste, bevor ich meine brotlosen Flausen durchziehe, wie er das Zocken nennt. Also überlegte ich halt widerwillig, was für mich überhaupt infrage kommen könnte. Sonst hätte mir Mister Unwissend wahrscheinlich sofort den Geldhahn zugedreht oder mir das Internet gekappt, was er schon mal getan hatte. Und womit hätte ich mir anschließend Games runterladen sollen, hä?

      Okay, also musste irgendein Ausbildungsjob her.

      Onkel Olli meinte dann, ich solle halt Gärtner lernen. Da wäre ich wenigstens nicht den ganzen Tag nur zwischen vier Wänden eingesperrt, sondern hätte viel im Freien zu tun. Mit Menschen müsste ich mich dabei relativ wenig abgeben, und Pflanzen würden schließlich schön brav die Fresse halten und mir nicht andauernd auf den Zeiger gehen.

      Dieses Argument hatte mich schwerstens beeindruckt. Ich bin nun mal ein Einzelgänger, ertrage es nicht, wenn dauernd wer um mich rumschwirrt. Also bewarb ich mich, weil mir nichts Besseres einfiel, beim Gartencenter Findeisen in Wernigerode – und da stellte man mich prompt als Zierpflanzengärtner ein.

      Wenn ich allerdings geahnt hätte, dass ich dort schon am Tag eins auf eine dermaßen nervige Schlampe treffe, hätte mich mein alter Herr kreuzweise am Arsch lecken können, und zwar mitsamt dieser verfickten Ausbildung«, zog Paul schnoddrig vom Leder.

      Leon grinste insgeheim in sich hinein. Dieser Zielinski war der Inbegriff eines Gamers, jedenfalls soweit er, der er nicht zu jener eingeschworenen Szene zählte, das beurteilen konnte. Er taxierte ihn unauffällig aus den Augenwinkeln. SkinnyAssPaul … dieses Pseudonym war bestimmt mit einem Augenzwinkern zu verstehen. Neben ihm saß ja ein fettleibiger Kerl mit hängenden Schultern, unreiner Haut, gelblichen Zähnen und fettigem Haar.

      Der Aufdruck seines einstmals schwarzen Band-T-Shirts war vom vielen Waschen kaum mehr erkennbar. Das Ding stammte offenbar noch aus den Anfangszeiten der Metalband Whitesnake. Es spannte ihm über den speckigen Hüften, war mittlerweile mindestens um zwei Nummern zu klein geworden.

      Das einzig Neuwertige an Paul Zielinski waren seine sündhaft teuren Sneakers. Leon hatte ein Faible dafür, sah auf den ersten Blick, dass es sich um Sammlerstücke handelte. Die hatte er sich wohl von seinen üppigen YouTube-Einnahmen geleistet.

      »Na ja … du musst eigentlich bloß durchhalten und so tun, als würdest du mitspielen, auch wenn dir nicht danach ist. Das erste Lehrjahr haben wir fast geschafft. Zwei Jahre noch, die sitzt du doch auf der linken Backe ab. Danach bist du frei, weil volljährig, und anschließend kannst du tun oder lassen, was immer du möchtest. Auch Spiele kommentieren«, meinte Leon achselzuckend.

      Diese pragmatische Antwort schien Paul nicht zu gefallen. Er sah Leon verächtlich an, ächzte missbilligend.

      »Auf gar keinen Fall, du spinnst wohl. So lange tue ich mir das garantiert nicht mehr an. Ich bin doch längst am Überlegen, wie ich meinen baldigen Abgang möglichst spektakulär in Szene setzen könnte. Ganz ungeschoren soll mir diese Schönhoff nämlich keinesfalls davonkommen, never ever.

      Hey, kennst du eigentlich den Ego-Shooter ›Battlefield 5‹? Wie gerne würde ich auch körperlich in diesem Game rumlaufen und dort plötzlich auf die Gärtnerfotze treffen. Es wäre mir ein echtes Vergnügen, sie durch die Gegend zu jagen und am Ende grausam zu killen. Ich würde natürlich aufpassen müssen, dass mir hierbei kein Mitspieler mit einem ›Medi-Pack‹ in die Quere kommt und sie damit womöglich wieder heilt. Na ja, obwohl … dann könnte ich ihr gleich nochmal mit Schmackes die Birne wegblasen. Und anschließend ab auf den Komposthaufen mit ihr.«

      Sein Nebenmann schien leicht verunsichert zu sein. Das amüsierte ihn. Er tätschelte dem Weichei mitleidig die Schulter.

      »Keine Sorge, ich werde sie schon nicht kaltmachen. Aber der nette Gedanke, Dünger aus den Überresten der blöden Kuh herzustellen, ist einfach verführerisch. Unsere Begonien würden sich bestimmt freuen. Wie steht es denn mit dir, hast du in deiner Fantasie noch nie jemanden genüsslich getötet?«

      »Nein«, gestand Leon wahrheitsgemäß.

      Inzwischen war auch sein Glimmstängel bis zum Filter aufgeraucht. Er drückte die Kippe mit größter Sorgfalt am Mäuerchen aus und versenkte sie in seiner Jackentasche, um sie später in einer Mülltonne zu entsorgen.

      Paul beobachtete ihn kopfschüttelnd dabei. Wie konnte man nur so einen kranken Ordnungsfimmel haben.

      Leon war zwar im Innersten völlig anders als Zielinski gestrickt, umgab sich aber trotzdem oft und gerne mit Typen seines Kalibers. Der Kontakt zu zwielichtigen Gestalten wertete sein langweiliges Dasein ein wenig auf, es verlieh ihm Würze. Er brauchte den Nervenkitzel, auch wenn er von Paul und anderen Kumpels, mit denen er in seiner Freizeit abhing, meist nicht für voll genommen wurde. Er galt als klassischer Mitläufer, der sich im Schutz einer vermeintlich starken Gruppe wohlfühlte.

      Seine Eltern hatten ihm einen falschen Vornamen gegeben. Er war überhaupt kein mutiger Löwe, eher schon wie eine wehrlose Antilope. Leon wollte jedoch kein Opfer mehr sein, so wie früher in der Grundschule. Deshalb verbarg er sein wahres Wesen nach außen hin, kaschierte es mit aufgesetzter Coolness.

      Eigentlich hasste er selbergedrehte Zigaretten wie die Pest. Daheim dampfte er ausschließlich elektronisch.

      Die Pause war nun zu Ende, und die ungleichen Gärtner-Azubis kehrten murrend in den Klassenraum zurück.

      *

      

       06. Mai 2019, Revierkommissariat Wernigerode

      Die zierliche Brünette vor Ronny Weichelts Schreibtisch wirkte hibbelig. Sie gehörte offenbar zu jenen Menschen, welche, wenn sie meinten, unbedingt etwas loswerden zu müssen, schnell ungeduldig wurden. Er nahm den Blick vom Computermonitor.

      »Na, dann schießen Sie mal los, Frau Bilcher. Wer wird vermisst und seit wann genau?«

      »Meine Chefin Lara Schönhoff. Zuletzt haben wir sie vergangenen Montag an ihrem Arbeitsplatz gesehen. Wir arbeiten beim Gärtnereibetrieb Findeisen. Sie hat seither weder Urlaub eingetragen, noch ist sie krankgemeldet. Bei ihr daheim macht niemand auf. Ich erreiche sie nicht übers Festnetz und auch nicht über die Handynummer. Ihre Mails beantwortet sie ebenfalls nicht.«

      PHM Weichelt machte sich Notizen, wirkte erstaunt.

      »Sie sind also ihre Arbeitskollegin. Aber hat diese Frau Schönhoff gar keine Angehörigen, denen sie fehlt? Es kommt zwar gelegentlich schon mal vor, dass Kollegen, Nachbarn oder Freunde das Verschwinden einer Person melden. Zuerst fällt es jedoch üblicherweise den Familienangehörigen auf, wenn ein Mensch tagelang ohne ersichtlichen Grund abgängig ist. Haben Sie im privaten Umfeld Ihrer Chefin bereits Nachforschungen angestellt?«

      »Lara hat kein privates Umfeld mehr. Sie lebt allein.«

      »Also keinen Partner und keine Kinder?«

      »Nein.


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