Radieschen von unten. Marie Kastner
gar nicht, dass der alte Jesus mit Nachnamen Sananda hieß. Das hat uns die Bibel wohl verschwiegen«, feixte Zielinski. Man konnte ihm ansehen, wie begeistert er über die unerwartete Entdeckung war. Er reckte nun erst recht den Hals, um den Inhalt des Fachs genauer einsehen zu können. Neben einer lila Edelsteindruse lag ein Werkzeug.
»Das da kenne ich. Das ist ihre heilige Gartenschere«, kicherte Paul albern.
»Hä, ihre … was?«
»Die heilige Gartenschere der Larissa Schönhoff«, echote Paul. »Die Story dahinter musste sich schon jeder der Kollegen anhören, erst recht natürlich die Azubis. Diese Schere hatte sie damals zu Beginn ihrer eigenen Ausbildung vom Chef erhalten, vor einer kleinen Ewigkeit muss das gewesen sein. Offenbar war sie derart stolz darauf, dass dieser Typ ihr ihre eigene Blumenknipse in die Hand gedrückt hat, dass sie das uralte Ding seither in Ehren hält und niemanden hinlangen lässt.
Sie meint offenbar, diese Tradition fortsetzen zu müssen. Jeder Azubi kriegt deshalb hier auch so ein Gerät, und nicht gerade das billigste. Wehe dem, der es verlieren oder kaputtmachen würde. Ach, hier ist übrigens meines«, erzählte Zielinski. Er griff in die Brusttasche seiner Latzhose und förderte eine neuwertige Schere der Marke Felco zutage.
»Heilige Gartenschere … du bist vielleicht witzig«, lachte Marit. Sie lachte überhaupt viel öfters, seit sie von La Palma zurück war. Was in erster Linie daran lag, dass ein gewisser Björn sie täglich zweimal über Skype anrief.
»Was denn. Die muss heilig sein. Wenn sie neben Jesus Sananda liegen darf … haben Sie nie den legendären Film von Monty Python gesehen? In ›Life of Brian‹ war es erst eine heilige Sandale und dann eine Korbflasche, der die Gläubigen hinterhergehechelt sind. Der anzubetende Gegenstand ist, wenn man einfältig genug ist, beliebig austauschbar«, gab er schlagfertig zurück.
»Klar kenne ich den Film. Der ist klasse«, gestand Marit.
Paul schien den Plausch mit der unkonventionellen Beamtin zu genießen. Er verhielt sich bereits viel weniger abweisend als zu Beginn. Oder taktierte er aus irgendwelchen Gründen? Je redseliger die Leute wurden, desto mehr Skepsis war angebracht. Man würde es bald sehen, denn die eigentliche Befragung dieses Lehrlings stand noch aus.
Marit schloss das Fach sorgfältig wieder ab.
»Paul, kommen wir mal zur Sache. Du hattest wegen der Ausbildung naturgemäß ständigen Kontakt zu Frau Schönhoff. Ich müsste dir also ein paar Fragen stellen, damit wir sie und ihre Abwesenheit wenigstens ein bisschen besser einschätzen können. Mir ist klar, dass das hier auf der Arbeit schlecht geht, du musst sicher noch etwas tun für deinen Lohn. Könntest du bitte heute, gleich nach der Arbeit, bei uns im Revier vorbeischauen?«
»Nö, ich würde Ihre Fragen lieber gleich an Ort und Stelle beantworten. Zu tun gäbe es eh nichts Wichtiges. Keiner weiß was mit mir anzufangen, wenn die Frau Capo nicht da ist. Die lassen mich die ganze Zeit welke Blättchen abschneiden oder Anzuchttöpfe mit Erde befüllen, und zwar tausende davon. Dabei werden die erst fürs nächste Frühjahr gebraucht. Ich habe längst keinen Bock mehr auf diese langweilige Dreckwühlerei«, grummelte der adipöse Junge, während er mit beiden Daumen die Tastatur auf seinem Smartphone malträtierte. Soweit sie es erkennen konnte, erteilte er gerade Zockern über ein Forum Insider-Tipps, wie man sich bestimmte Items für ein Online-Game freischaltete.
Marit konnte sich schlecht vorstellen, dass er die Blumentöpfchen mit derselben Geschwindigkeit befüllte. Paul schien Prioritäten zu setzen. Wie ein passionierter Gärtner wirkte er jedenfalls keineswegs. Eher wie Einer, der sich wider Willen hier aufhielt. Sie konnte sich sehr gut vorstellen, dass es zwischen ihm und seiner Ausbildungsleiterin öfters Stress gegeben hatte. Mochte möglich sein, aber hatte er deshalb mit ihrem Verschwinden zu tun? Wohl eher nicht.
Paul musste für seine Aussage dann doch ins Revierkommissariat kommen. Jablonski und Weichelt waren mit ihren Befragungen nämlich schon fertig, gesellten sich zu ihnen. Das lag daran, dass scheinbar keiner der Beschäftigten viele Angaben zur Vermissten hatte machen können – oder wollen. Was Marit ziemlich seltsam fand, denn bei ihr im Revier war es schließlich auch üblich, dass man sich näher kannte und gelegentlich über Privates sprach.
Im Falle von Larissa Schönhoff hatte es hingegen fast den Anschein, als wäre nur ein Geist durch den Betrieb geschwebt. Ein unscheinbarer, selbstgerechter, unnahbarer Mensch, für den sich niemand erwärmen konnte.
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