Radieschen von unten. Marie Kastner

Radieschen von unten - Marie Kastner


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lassen möchte. Du musst mir glauben, dass ich sowas nicht beabsichtigt hatte, Bernd. Es kam einfach aus dem Nichts.

      Ich bin verliebt und werde auf die Insel ziehen, dort mit meinem Freund eine Surfschule eröffnen. Er hat mich gebeten, ihn zu unterstützen. Ich weiß, was ich dir damit antue. Ich kann einfach nicht anders, es tut mir leid. Manchmal schreibt das Leben Geschichten, die man selbst kaum glauben kann«, strahlte sie.

      Es tut ihr leid? Geschenkt! Sie hat dich, aus einer Laune heraus, ausrangiert und abgeschoben. Vielleicht war es sogar gut, dass es jetzt zu Anfang und nicht später, nach vielen gemeinsamen Jahren, geschehen ist. Trotzdem. Sie lässt dich wegen einer Urlaubsaffäre fallen wie eine heiße Kartoffel und erwartet dafür auch noch Verständnis. Du musst ihr so richtig die Meinung geigen, suggerierte sein Verstand.

      Bernd verzog das Gesicht, schüttelte missbilligend den Kopf.

      »Und für einen braungebrannten Hallodri, den du seit wenigen Tagen kennst, willst du daheim alles hinschmeißen, inklusive deines Jobs? Mensch Marit, solch ein himmelschreiender Leichtsinn passt doch überhaupt nicht zu dir!

      Okay, der Typ hat dir die Sinne vernebelt. Die wunderschöne Umgebung, die Sonne, die Unbeschwertheit nach all dem Stress … in solchen Situationen kann es leicht vorkommen, dass man ein wenig abhebt. Ich weiß aus eigener Erfahrung, was das spanische Lebensgefühl mit einem anstellen kann. Aber eine gestandene, lebenserfahrene Frau wie du solltest doch merken, wann es an der Zeit wäre, wieder auf dem Boden der Tatsachen zu landen. Wach auf und denk nach, Marit!«

      Sie zog eine beleidigte Grimasse, entgegnete kein Wort.

      Er war ohnehin noch nicht fertig mit ihr.

      »Ein arbeitsloser Surfer, der von der Selbständigkeit träumt. Du meine Güte, was für ein abgedroschenes Klischee. Ist dir eigentlich schon mal ernsthaft in den Sinn gekommen, dass er dich womöglich als Mittel zum Zweck sieht, im Grunde bloß deine Arbeitskraft und dein Geld abzocken will? Du bist sicherlich nicht die erste und auch nicht die letzte Frau, der er diesen Bären mit der Surfschule aufgebunden hat. Geschichten wie diese sind geradezu typisch«, wetterte Bernd abschätzig.

      Er war tatsächlich vollkommen außer sich. Gut, dass Marit sich gegen ein Leben mit ihm, dem elf Jahre älteren Scheidungsopfer und Vater von zwei Kindern, entschieden hatte, zugunsten eines Jüngeren, schien ihm, jedenfalls von ihrer Warte, noch halbwegs verständlich zu sein. Sowas kam vor. Damit musste er irgendwie fertigwerden, auch wenn es irre wehtat.

      Aber ein neues Leben mit einem Surflehrer anfangen zu wollen, den sie gerade seit ein paar Tagen kannte, für ihn auszuwandern … so dumm konnte sie doch eigentlich gar nicht sein, oder? Surfer gehörten, genau wie Ski- und Fahrlehrer, zu den berüchtigtsten Flirtprofis dieser Welt. Das sagte ihm seine Lebenserfahrung. Und ausgerechnet sie war einem Exemplar dieser Gattung aufgesessen, stach ihm dafür skrupellos den Dolch des Verrats in die Brust. Ganz schön herb.

      Jetzt straffte sie ihren Rücken, ihr Blick wurde trotzig.

      »Du kennst ihn nicht und erlaubst dir ein vernichtendes Urteil? Schön, das ist dein Bier. Ich lasse ihn mir wegen deiner Eifersucht keinesfalls madig machen. Er ist anders, das weiß ich. Du kannst oder willst es nicht verstehen, Bernd. Man kann eigene Gefühle schlecht manipulieren oder mit dem Verstand totknüppeln. Und wenn doch, hätte ausschließlich ich das Recht dazu.

      Damit ist das Thema für mich beendet, Bernd. Ich muss mich außerdem für nichts rechtfertigen, schon weil du dich nicht etwa wegen mir von Julia getrennt hast. Das hattest du selbst gesagt, schon vergessen? Du warst es, der endlos lange gezögert hat. Vielleicht zu lange.

      Wir hatten vor meiner Abreise zwar eine wunderbare gemeinsame Nacht, das will ich gar nicht abstreiten, aber nun ist es eben anders gekommen. Das Schicksal hat mir meinen Weg gezeigt, und der führt nach La Palma.

      Bis heute Abend lege ich dir meinen Antrag auf Beurlaubung vor. Ich bitte dich, ihn trotz deiner Enttäuschung möglichst objektiv zu behandeln. Gäbe es jetzt noch was Dienstliches zu besprechen, wo soll ich mich dransetzen? Einige Wochen bin ich ja sicherlich noch in Deutschland präsent.«

      Mader hatte momentan eigentlich keine dringliche Aufgabe für sie. Er überlegte krampfhaft, wohin er sie schicken könnte, damit sie erstmal aus dem Revier und aus seinen Augen war.

      Plötzlich fiel ihm dazu etwas Passendes ein.

      »Da wäre tatsächlich was Aktuelles. Melde dich bitte beim Kollegen Weichelt. Der hat einen obskuren Vermisstenfall hereinbekommen. Eine Gärtnerin ist seit ungefähr drei Wochen spurlos verschwunden. Es wurde von einer Kollegin sogar Mordverdacht geäußert. Da die Frau zwischenzeitlich immer noch nicht aufgetaucht ist, weder tot noch lebendig, müssten wir dieser Sache allmählich doch nachgehen.

      Fahr bitte rüber zum Gartencenter Findeisen und befrage dort alle Kollegen einzeln. Gemeldet hat das Verschwinden eine Frau Bilcher. Die wollte mir ohnehin ein Foto der Vermissten vorbeibringen, hat das jedoch scheinbar vergessen. Das könntest du dir mitgeben lassen. Fahr bitte mit dem Jablonski, damit er vor Langeweile nicht andauernd auf dem Dienstcomputer surft. Ich erwische ihn nahezu jedes Mal, wenn ich ins Zimmer komme.«

      Marit wirkte erleichtert, atmete durch. Scheinbar war auch sie heilfroh, ihm auf diese Weise aus dem Weg gehen zu können. Sie stand auf, ging zur Tür.

      »Klar, mache ich gleich. Und Bernd … es tut mir wirklich leid. Ich mag dich nach wie vor sehr, wünsche mir, dass wir Freunde bleiben. Hoffentlich kannst du mich eines Tages verstehen und mir verzeihen«, sagte sie kleinlaut.

      Bernd seufzte tief. Er konnte sie nicht direkt ansehen, schaute zum Fenster hinaus. In der Scheibe spiegelte sich ihre Silhouette.

      »Glaubst du, ich wüsste nicht, wie sowas gehen kann? Ich habe mich in meinem Leben schon öfters verliebt. Zuletzt in dich.

      Böse bin ich dir nicht. Nur sehr enttäuscht und traurig. Trotzdem wünsche ich dir Glück, obwohl ich denke, dass du es bei ihm auf Dauer nicht finden wirst«, entgegnete er leise.

      »Danke. Das war mir sehr wichtig«, flüsterte sie und schloss die Tür hinter sich.

       Sowas nennst du also ›die Meinung geigen‹? Du bist ein Schlappschwanz, Bernd. Wie so eine sozialromantische Pädagogen-Wollsocke zeigst du auch noch Verständnis, dass sie dich einfach ersetzt hat, und wünschst ihr Glück. Kein Wunder, dass sie meint, auf deinem Herz herumtrampeln zu dürfen.

      Eines muss dir aber klar sein. Sollte sie wieder angeschissen kommen, weil der Surfer sie erwartungsgemäß verarscht hat, darfst du dich keinesfalls wieder auf sie einlassen. Die ist es nicht wert, meckerte sein Gehirn.

      Die Enttäuschung saß tief.

      *

       Später in Wernigerode, Gartencenter Findeisen

      Die Kripo rückte gleich mit drei Mann, oder vielmehr zwei Mann und einer Frau, in der Gärtnerei an. Ronny Weichelt hatte es sich nicht nehmen lassen, mitzukommen. Der Vermisstenfall Schönhoff erinnerte ihn unangenehm an die Sache mit einer gewissen Anne Gräbner im Frühjahr. Man hatte die junge Frau tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Ermordet vom Wernigeröder Ex-Revierleiter, dem einstigen Polizeichef höchstpersönlich.

      Gut, diesmal kam selbiger keinesfalls als Killer infrage. Er hatte sich aufgehängt, damit selbst gerichtet. Wobei der Tod allerdings erst eingetreten war, nachdem ihm die eigene Gattin ein Messer in die Brust gerammt hatte, um sicherzugehen, dass er auch wirklich tot war. Schier unglaublich, wenn man die Ereignisse des vergangenen Frühlings im Geiste so sachlich-kühl zusammenfasste.

      Ihn schauderte bei dieser Erinnerung, auch wenn er nicht unter jenen bedauernswerten Beamten gewesen war, welche Remmler, in dessen Gartenlaube von einem Balken baumelnd, aufgefunden hatten. Marit hatte ihm neulich gebeichtet, dass sie diesen Anblick wohl nie wieder aus dem Kopf bekommen könne.

      Dennoch. Er fand es schrecklich, wozu Menschen fähig waren. Insbesondere dann, wenn sie die Gewalt gegen sich selbst richteten. Insofern hoffte er inständig, dass wenigstens die Schönhoff lebend wiederauftauchte.


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