Radieschen von unten. Marie Kastner

Radieschen von unten - Marie Kastner


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Die beiden haben sich nicht im Guten getrennt.«

      »Verstehe. Sonstige Verwandtschaft?«

      »Die gibt es wohl, aber dazu kenne ich leider keine Namen. Lara hat mir ab und zu wilde Geschichten erzählt. Sie ist mit allen heillos zerstritten, und das seit Jahren. Ich weiß von einer jüngeren Schwester, von Onkels und Tanten. Ihre Mutter lebt auch noch, in Bremen, glaube ich. Doch die ist dement.«

      Der Polizeiobermeister kratzte sich seufzend am Hinterkopf.

      »Nicht sehr ergiebig, was? Schön, dann geben Sie mir bitte die Personalien. Mal sehen, was wir herausfinden. Geburtsdatum?«

      Einige Minuten lang fragte Weichelt alles an Personalien ab, was er wissen musste. Dann wurde es auf einmal anstrengend.

      »Also, das alte Passfoto aus den Unterlagen Ihres Personalbüros reichen Sie mir bitte nach, wie besprochen. Aber wir müssten natürlich auch wissen, wie sie heutzutage aussieht. Könnten Sie mir bitte eine möglichst genaue Personenbeschreibung geben?«

      »Ja natürlich, also … durchschnittlich, würde ich sagen.«

      »Durchschnittlich … was bitte wäre denn durchschnittlich? Diese vage Beschreibung kann ich wohl kaum in die Vermisstenanzeige eintragen. Sie haben mit Ihrer Kollegin jahrelang beim Findeisen zusammengearbeitet, da müsste das doch etwas genauer gehen«, grinste der Beamte süffisant.

      Die Frau dachte angestrengt nach, zuckte die Achseln.

      »Es ist aber so, wie ich sagte. Lara, die eigentlich Larissa heißt, ist weder groß noch klein, nicht besonders dick, aber auch nicht schlank. Ihr Gesicht … wie soll ich es Ihnen am besten klarmachen … hat absolut nichts Außergewöhnliches oder Attraktives an sich. Lara ist weder nennenswert hübsch noch auffallend hässlich. Gewöhnlich halt.

      Ihre Haarfarbe wäre fast noch schwieriger zu beschreiben. Ein stumpfes Asch-Hellbraun vielleicht, oder meinetwegen auch dunkelblond. Was weiß denn ich, irgendeine undefinierbare Straßenköter-Farbe. Sie trägt ihr Haar … «

      »Nein, lassen Sie mich bitte raten. Halblang, also auch durchschnittlich? Nicht lockig und nicht glatt?«, stöhnte Weichelt und änderte nebenbei den Vornamen der Vermissten im System von Lara auf Larissa.

      »Genau«, nickte die Gärtnerin.

      »Augenfarbe?«

      »Keinen blassen Schimmer, sorry.«

      »Nochmals zum Mitschreiben. Es handelt sich somit um eine mittelgroße Person, weiblich, die vom Gesicht her unscheinbar aussieht und bräunliches, halblanges Haar hat.«

      »Jetzt haben Sie es endlich kapiert. Das ist Larissa Schönhoff«, entgegnete sie überheblich.

      Der Polizist überging die Unverschämtheit einfach, blieb sachlich. Das war definitiv der schnellste Weg, diese nervige Frau vor seinem Schreibtisch wieder loszuwerden.

      »Beim Hereinkommen hatten Sie den Verdacht geäußert, dass Ihre Kollegin sogar ermordet worden sein könnte. Wie kommen Sie darauf, gibt es konkrete Hinweise auf Feinde oder Motive?«

      Ihr selbstbewusstes Lächeln erstarb. Sie betrachtete ihre Fingernägel, deren braunschwarze Trauerränder ihren Beruf verrieten. Vermutlich war sie direkt von der Arbeit hergekommen.

      Gegen das tägliche Wühlen in feuchter Erde sind Wasser und Seife wahrscheinlich machtlos, sinnierte Weichelt.

      »Feinde … wenn Sie damit Leute meinen, die Lara nicht ausstehen können, sie womöglich sogar hassen, müsste ich Ihnen eine Liste anfertigen. Eigentlich mochte sie niemand leiden, im Betrieb schon gar nicht – niemand außer mir. Privat ist sie auch überall angeeckt, was mich aber keineswegs wundert.

      Ich bin scheinbar die Einzige, die sich jemals die Mühe gemacht hat, hinter ihre beinharte Fassade zu schauen, um den wirklichen Menschen dahinter zu erkennen. Und der ist gar nicht so übel.

      Larissa hat eine ausgesprochen schwierige Kindheit durchlitten, mir einiges Schlimme anvertraut, nachdem wir uns angefreundet hatten. Es ist deshalb meines Erachtens kein Wunder, dass sie mit der Zeit so unnahbar geworden ist, von jedem Menschen erstmal nur Schlechtes denkt und ihn dementsprechend behandelt.

      Außerdem entwickelte sie im Laufe der Zeit einen krankhaften Ehrgeiz, wurde immer ärger zur sturen Perfektionistin. Die überzogen hohen Ansprüche, die sie an sich selbst stellt, überträgt sie leider auch auf andere Leute.

      Damit macht sie besonders unseren Azubis das Leben schwer. Kein Berichtsheft ist ihr akkurat genug geführt. Die Jungs und Mädels arbeiten ihr entweder zu lahmarschig – oder zu ungenau. Selbst an deren T-Shirts kritisiert sie herum, dabei geht es sie gar nichts an, was einer unter der Latzhose trägt.«

      »Na schön, dann fahnden wir nach einem menschlichen Ekelpaket, so wie Sie Ihre Kollegin darstellen. Aber ich muss Sie das jetzt nochmal fragen: Gab es konkrete Hinweise, dass ihr jemand ans Leder wollte, hat sie irgendwas darüber erzählt?«

      »Von einer Morddrohung weiß ich nichts. Aber ihrem Exmann Gerald würde ich einiges Üble zutrauen. Er hatte bereits vor ihr bei Findeisen gearbeitet. Der Chef stellte Lara damals bloß ihm zuliebe ein. Als die Ehe nach ein paar Jahren in die Brüche ging, schied Gerald aus und machte sich als Landschaftsgärtner selbständig, während sie uns weiterhin erhalten blieb. Dummerweise macht er uns seitdem Konkurrenz. Gerald hat zwar einen miesen Charakter, ist jedoch ein super kreativer Gärtner. Er fehlt bei uns an allen Ecken und Enden.

      Wir waren vor knapp zwei Jahren dennoch froh über sein Ausscheiden, weil die beiden Streithammel sich sonst höchstwahrscheinlich bald gegenseitig umgebracht hätten. Und wer möchte schon irgendwann eine Leiche, der eine Hacke im Kopf steckt, im Gewächshaus finden? Der ›Rosenkrieg‹ war bei denen buchstäblich zu nehmen.«

      Weichelt beendete seine Notizen, nahm den Blick vom Monitor und wandte sich ihr zu.

      »Dann werden wir wohl als erstes bei Gerald Schönhoff nachfragen müssen. Vielen Dank, dass Sie hergekommen sind, Frau Bilcher. Wir melden uns, sobald es etwas Neues gibt. Oder falls weitere Fragen auftauchen sollten.«

      Jeanette Bilcher machte indes keine Anstalten, zu gehen.

      »Ja … und wie lange kann sowas dauern? Es ist so viel Arbeit liegengeblieben, dass ich mich schier zerteilen könnte. Der Azubi hängt mangels Aufgabenzuteilung nur faul herum und daddelt auf dem Smartphone. Der kann halt noch nicht alles, benötigt für jeden Dreck Anleitung und Aufsicht.

      Wir brauchen die Lara dringend. Solange kein Mensch weiß, ob, beziehungsweise wann sie zurück in den Betrieb kommt, wird natürlich niemand Neues eingestellt. Diesen Dauerstress packe ich nicht mehr lange«, jammerte die Brünette.

      »Das kann ich Ihnen nicht beantworten, schon gar nicht jetzt gleich. Wir müssen uns erstmal ein eigenes Bild machen, herausfinden, ob sie wirklich vermisst wird. Womöglich hatte sie einen Unfall und liegt im Krankenhaus. Oder jemand aus der Familie weiß eben doch, wo Lara sich momentan aufhält. Wir werden das alles nachprüfen«, beschied ihr der Polizist.

      Sie trollte sich augenrollend, und Weichelt sah allmählich klar, was der wahre Grund für ihr Auftauchen gewesen sein mochte. Bilchers zur Schau gestellte Sorge um die wenig nette Kollegin hielt sich in Wirklichkeit in engen Grenzen. Vermutlich durfte sie einfach nicht freinehmen, solange die Schönhoff unentschuldigt fehlte, weil sie sie vertreten musste.

      Unglaublich, diese verlogene Augenwischerei. Dass die meisten Leute sich aber auch edelmütiger darstellen müssen als sie es tatsächlich sind, dachte der Beamte angewidert.

      Das war das Allererste gewesen, woran er sich im Polizeidienst hatte gewöhnen müssen. Man wurde während der Erfüllung seiner Pflichten unablässig angelogen.

      *

       08. Mai 2019, Kanareninsel La Palma, Playa de Nogales

      Der Fußweg zu diesem einsamen, von Felsen und Klippen eingerahmten Strandabschnitt im Ostteil der Insel war vergleichsweise beschwerlich gewesen.


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