Radieschen von unten. Marie Kastner

Radieschen von unten - Marie Kastner


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hatte Recht behalten, Marit bräunte unglaublich schnell. Ihre ebenmäßige getönte Haut leuchtete bereits jetzt, nach wenigen Sonnenstunden, in einem goldenen Farbton, der gut zu den vereinzelten Goldreflexen in ihrem braunen langen Haar kombinierte. Sie strahlte von innen heraus.

      Ihre Seelen-Wehwehchen, die sie seit Monaten gepflegt hatte, schienen sich binnen kürzester Zeit in Wohlgefallen aufgelöst zu haben. Genauso wie Bernd, Wernigerode und ganz Deutschland noch dazu.

      Bernds WhatsApp-Nachrichten beantwortete sie nur halbherzig, zeigte sich äußerst kurz angebunden. Meist schickte sie ihm kommentarlos Landschafts- oder Strandfotos zurück. Aber auch das nur widerwillig und häufig mit stundenlanger Verspätung.

      Sie wollte ihren Wernigeröder Freund und Kollegen, was ihre gemeinsame Beziehungskiste anging, weder in Sicherheit wiegen noch ihn vorsätzlich anschwindeln oder gar vor den Kopf stoßen. Das hatte er keineswegs verdient, daher war diese Gratwanderung vorübergehend notwendig. Nach ihrer Rückkehr würde sie sofort Farbe bekennen müssen.

      Das war ein späteres Problem. Davon wollte sie sich den restlichen Urlaub keinesfalls verderben lassen.

      Gestern hatte Björn sie geradeheraus etwas gefragt. Ohne Vorwarnung, ohne Bedenkzeit. Ob sie zu ihm auf die Insel umziehen und ihm helfen wolle, sein Surfer-Business aufzuziehen. Sie sei genau die passende Frau für ihn persönlich – und außerdem fürs Büro, die Internetwerbung, Kundenbetreuung und Akquise. Dafür brauche er jemand Zuverlässigen, jemanden, dem er absolut vertrauen könne. Ergo sie.

      Marit war eine bodenständige fünfunddreißigjährige Beamtin, hatte den Leichtsinn der Jugend längst hinter sich gelassen, Verliebtheit hin oder her. So hatte sie Björn innig geküsst, ihm dann verklickert, dass sie zunächst einmal zurück nach Hause müsse, um einiges zu regeln. Hals über Kopf könne sie als Beamtin im Polizeidienst beim besten Willen nicht verschwinden. Sie wolle sich erstmal für ein Jahr beurlauben lassen, wobei die Genehmigung durchaus mehrere Wochen in Anspruch nehmen könne, hatte sie ihm erklärt. Aber so bald wie irgend möglich werde sie wieder hierherkommen und der gemeinsamen Sache eine Chance einräumen. Marit freute sich unbändig auf ihn und die neue berufliche Herausforderung. Daraus machte sie keinen Hehl.

      Björn hatte sich voller Begeisterung einverstanden erklärt, seine neue Flamme liebevoll hochgehoben, ihr Gesicht über und über mit Küssen bedeckt und sie rücklings auf den Küchentisch gelegt. Kurz darauf hatte sie die Englein singen hören.

      Noch achteinhalb wundervolle Tage, bis sie ihren Billigflieger zurück nach Frankfurt besteigen musste. Aber hieran dachte sie lieber noch nicht allzu intensiv. Sie freute sich unbändig auf die verbleibenden Urlaubstage – und erst recht auf Björn und ihren neuen, abenteuerlichen Lebensabschnitt. Den Koffer mit ihren Siebensachen würde sie ihm gleich als Pfand dalassen.

      Jemand klopfte an die Zimmertür. Punkt zwölf, genau wie vereinbart. Björn war der Beste. Ihr Herz vollführte vor Freude mehrere Bocksprünge.

      *

       20. Mai 2019, Revierkommissariat Wernigerode

      Allmählich wurde Hauptkommissar Bernd Mader doch mulmig zumute. Irgendetwas stimmte da nicht. Er hatte seit seinem Eintreffen immer wieder aus dem Fenster geschaut. Schon vor zwei Stunden hatte er seine Kollegin Schmidbauer das Revier über den Nicolaiplatz betreten sehen, doch seither war sie noch nicht in seinem Zimmer aufgetaucht.

      Er war ihr unmittelbarer Vorgesetzter. Marit hätte sich deshalb normalerweise als erstes bei ihm aus dem Urlaub zurückmelden müssen, aber längst nicht nur das bereitete ihm Sorge. Er hörte sie glücklich auflachen, mit Kollegen über ihre Ferienerlebnisse reden. Das versetzte ihm einen schmerzhaften Stich mitten ins Herz. Er ahnte längst, nicht zuletzt wegen der merkwürdig unterkühlt formulierten WhatsApp-Posts, dass sich zwischen ihm und Marit was Maßgebliches verändert haben musste.

      Aber was, und vor allen Dingen: Wieso, zum Henker?

      Nervöse Unruhe befiel ihn, er geriet ins Grübeln.

      Er konnte in der Zwischenzeit wohl kaum was falsch gemacht haben, ganz im Gegenteil. Julia hatte ihre restlichen Sachen bei ihm in Elend abgeholt. Sie hatten sich in finanzieller Hinsicht fair geeinigt und waren danach friedlich auseinandergegangen. Eine schmutzige und langwierige Scheidung war damit endgültig vom Tisch. Also hatte er genau das getan, worauf Marit größten Wert gelegt hatte. Weshalb also behandelte sie ihn wie Dreck? Oh ja. Marit war ihm definitiv eine Erklärung schuldig.

      Irgendwann hielt er es nicht mehr aus, total ignoriert zu werden, ging Marit suchen und fand sie mit Fred Jablonski, Verena Kant und Thomas Wolters‘ Vorzimmerdame Christa in der Teeküche. Es genügte ein tiefer, prüfender Blick in Marits bernsteinbraune Augen – und Mader wusste mit vernichtender Klarheit, woran er bei ihr war. Das durfte doch nicht wahr sein.

      »Ach, hier bist du. Mir war doch so, als hätte ich deine Stimme gehört. Bringst du mir bitte auch eine Tasse Kaffee mit, wenn du dich nachher offiziell zurückmelden wirst?«, plauderte er, scheinbar lässig. In seinem Innersten sah es freilich vollkommen anders aus. Sein Herz stand kurz davor, brüllend Amok zu laufen.

      Marit nickte, tat so, als hätte sie den Seitenhieb mit der verspäteten Rückmeldung nicht bemerkt.

      »Na klar, ich komm in ein paar Minuten rüber. Und zum Wolters muss ich vorher auch noch«, beschied sie ihm emotionslos. Keine erkennbare Wiedersehensfreude, kein Lächeln erhellte ihr hübsches Gesicht. Das konnte ja heiter werden.

      Fred und Verena merkten ebenfalls, dass Ärger in der Luft lag. Diese Kollegen hatten längst was vom Techtelmechtel der beiden geahnt, wechselten jetzt irritierte Blicke.

      Wer hatte hier wohl wen abserviert?

      Die illustre Runde löste sich auf. Mader dackelte wie ein geprügelter Hund zurück in sein Zimmer. Er kam sich reichlich doof vor. Hatte er sich dermaßen in Marit getäuscht – oder gab es eine harmlose Erklärung für ihr schnödes Verhalten?

       Das werden wir sehen. Nur Geduld, Bernd. Du darfst nichts übers Knie brechen und keine voreiligen Schlüsse ziehen. Beruhige dich erstmal. Sie wird die Sache aufklären, das muss sie ja eigentlich.

      Die Selbstsuggestion zeigte keinerlei Wirkung. Er tigerte entnervt in seinem Zimmer auf und ab, bis sie schließlich mit zwei dampfenden Tassen zur Tür hereinkam. Selbst die anmutige Bewegung, mit der sie ihm immer die Kaffeetasse über den Schreibtisch reichte, hatte sich nach diesem vermaledeiten Urlaub verändert. Auch das aufmunternde Lächeln fehlte gänzlich.

      Sie setzte sich ihm gegenüber. Der Schreibtisch stand wie eine Barriere zwischen ihnen. Aber leider nicht nur der.

      »So, der Dienst hat mich wieder. Na, wie viele Leichen haben unsere lieben Harzer in der Zwischenzeit produziert?«, fragte sie launig. Ein Ausweichmanöver, zweifellos. Sie wollte offenkundig nicht über Privates reden. Aber so billig würde sie ihm nicht davonkommen.

      »Du wirst es ja kaum glauben, die Wernigeröder leben alle noch. Wir kommen momentan sogar zum Aufarbeiten der liegengebliebenen Sachen. Richtig langweilig ist es hier zurzeit, doch das kann auch mal nicht schaden. Wir kriegen unsere Schreibtische frei und können endlich wieder ein bisschen Privatleben genießen.

      Apropos genießen … wie war dein Urlaub? Alles so gewesen, wie du es dir erhofft hattest?«

      »Oh, es war herrlich, noch viel schöner als ich es mir vorgestellt hatte. Du hast ja die Fotos gesehen«, schwärmte Marit verträumt.

      Er verschränkte die Arme, nahm sie ins Visier.

      »Und?!«

      »Was … und?«

      »Das weißt du ganz genau. Aber bitte sehr. Ich hätte gerne gewusst, was in diesem Urlaub vorgefallen ist. Du bist reserviert und abweisend«, brummte er angesäuert. Nun durfte er sich nicht nur eine schallende Ohrfeige für sein Gefühlsleben abholen, sondern musste ihr diese auch noch selber aus der Nase ziehen.

      »Ich wollte damit nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen, lieber später mit


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