Radieschen von unten. Marie Kastner
Parkplatz zu finden, stellte sich als schwierig heraus. Sonnige Tage luden die Hausfrauen der Umgebung grundsätzlich dazu ein, ihre Balkonkästen neu zu bepflanzen oder Gartenaccessoires zu kaufen. Und heute war solch ein Tag.
Findeisen hielt neben einer ansehnlichen Auswahl an Pflanzen für drinnen und draußen ein riesiges Angebot an trendigen Deko-Artikeln und Werkzeugen bereit.
Trotz der übermächtigen Konkurrenz diverser Filialen namhafter Gartenmarkt-Ketten war es dem Familienunternehmen gelungen, sich mithilfe hoher Qualitätsstandards und tollem Kundenservice in der Harzregion durchzusetzen. Man setzte auf den zeitgemäßen Öko-Trend. Alles das versprachen auch die knallgrünen Werbeplakate, welche den gesamten Außenbereich einrahmten.
Fred Jablonski wurde nach zwei nervigen Parkplatzrunden zwischen sperrigen Blumentrögen, ein- und ausparkenden Autos und vollgepackten Einkaufswagen ungeduldig. Er fluchte, stellte den Wagen kurzerhand auf einem extrabreiten Behindertenparkplatz nahe dem Eingang ab.
Marit wies ihn vergeblich auf das vermeintliche Versehen hin, aber er zog trotzdem die Handbremse an.
»He, wir sind im Einsatz, und das ist ein Dienstwagen. Wir werden vom Steuerzahler finanziert, Zeit ist also Geld. Da kann man die Sonderrechte besten Gewissens ausnutzen. Es ist außerdem nicht meine Schuld, dass vor Geschäften offensichtlich mehr solche Parkplätze vorgehalten werden als es Gehbehinderte in ganz Wernigerode gibt«, rechtfertigte sich Freddie achselzuckend.
Marit grinste kopfschüttelnd, ließ die Begründung aber durchgehen. Von den insgesamt fünf blau markierten Parkbuchten waren schließlich noch vier frei.
Wenige Minuten später standen die drei Polizisten im Office der Geschäftsleitung. Man hatte sie bereits erwartet. Oskar Findeisen persönlich drückte Marit einen Packen Fotokopien und ein Passfoto in die Hand.
Die Kriminalistin betrachtete es, stellte fest, dass man die Vermisste mit diesem Foto wohl kaum finden könnte. Die Frau sah unscheinbar aus, wie Jeanette Bilcher dies bei Ronny auch angegeben hatte. Genauso gewöhnlich wie tausend andere, denen man jeden Tag begegnete, ohne sich ihre Gesichter zu merken.
»Sie müssen bitte entschuldigen, dass Sie diese Unterlagen erst jetzt erhalten. Das ist alles, was wir in der Personalakte über Frau Schönhoff gesammelt hatten. Wissen Sie, ich hatte Frau Bilchers Sorge um die Kollegin erst für überzogen gehalten, gemeint, dass sich alles von selber aufklärt und sie einfach, mit einer nachvollziehbaren Erklärung im Gepäck, wieder hereinschneit. Da wollte ich aus Gründen des Datenschutzes nicht voreilig private Details herausrücken.
Inzwischen mache ich mir jedoch selbst Sorgen. Frau Schönhoff gilt als sehr zuverlässig. Auch wenn sie irgendwo nach einem Unfall im Krankenhaus läge … die würde augenblicklich hier anrufen, sobald sie bei Bewusstsein wäre. So ist sie gestrickt. Sie geht davon aus, unentbehrlich zu sein, verstehen Sie? Es wäre sehr ungewöhnlich, wenn sich ihre Einstellung zu Pflichten plötzlich so sehr verändert hätte.«
»Verständlich, dass Sie sich allmählich doch Gedanken gemacht haben«, nickte Weichelt.
»Wir müssten jetzt Ihre Angestellten befragen. Keine Sorge, wir stören den Betrieb so wenig wie möglich. Wir haben schon bemerkt, dass heute viel los ist. Hat Frau Schönhoff eigentlich einen Spind oder Schreibtisch, den man sich ansehen könnte?«
»Es gibt einen großen Einbauschrank im Sozialraum, wo jeder sein absperrbares Fach für Privates und Wechselkleidung hat. Ich lasse unseren Azubi holen, der kann Sie hinbringen.«
Findeisen griff zum Telefon und trug einer Bürokraft auf, Paul Zielinski zu holen. Dann wühlte er in der obersten Schublade seines Schreibtischs, förderte einen Schlüsselbund zutage.
»Warten Sie … die Schönhoff nutzt Schließfach Nummer drei. Hier ist der Schlüssel zu treuen Händen, damit Sie mir nicht den schönen Schrank ruinieren. Aber bitte nichts anfassen oder herausnehmen, okay? Soviel ich weiß, bräuchten Sie eigentlich einen Durchsuchungsbeschluss. Ich meine aber, in Laras Interesse zu handeln, wenn ich dabei helfe, sie schnell zu finden.«
»Das tun Sie, und wir werden das mit dem Schlüssel auch nicht an die große Glocke hängen«, grinste Fred. Er war schon immer der festen Ansicht, dass Persönlichkeitsrechte und Datenschutz voll für den Arsch waren. Sobald jemand meinte, einen triftigen Grund zu haben, die Rechte anderer Leute mit Füßen zu treten, waren sämtliche Vorschriften obsolet. Das zeigte sich an solchen Kleinigkeiten. Oskar Findeisen wollte in erster Linie die Arbeitskraft seiner Gärtnerin zurückhaben, die er auch in Abwesenheit bezahlen musste. Darum ging es hier eigentlich.
Die Büromaus kam, mit einem missmutig dreinblickenden Jugendlichen im Schlepptau, zurück.
»Das ist Herr Zielinski. Paul, bitte bring die Polizisten zum Sozialraum runter und erzähle ihnen alles Wissenswerte über deine Ausbilderin. Du hattest naturgemäß den engsten Kontakt zu ihr«, kommandierte der Chef.
»Wenn es unbedingt sein muss«, brummte der Teenie.
»Wie bitte?!«
Zielinski zog ein schiefes Gesicht, zuckte mit den Schultern.
»Aber gerne, Chef.«
»Schon besser, Paul. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte alle, mein Typ wird woanders gebraucht«, komplimentierte sie Findeisen höflich, aber bestimmt hinaus.
Auf dem Flur teilten sich die Beamten auf. Marit Schmidbauer folgte Paul. Die anderen beiden wollten jeden greifbaren Mitarbeiter kurz zu Lara Schönhoff befragen und, falls irgendeiner etwas mehr zu erzählen hatte, denjenigen für den nächsten Tag ins Revier zitieren.
Der Sozialraum entpuppte sich als eine Art Wohnzimmer. Neben langen Tischen, einem Kaffee-Vollautomaten der Edelmarke Jura und jenem Einbauschrank, von dem Findeisen gesprochen hatte, gab es darin sogar eine gemütliche Couchecke. Die Umkleide und die Duschen lagen praktischerweise gleich nebenan.
Marit klappte die Kinnlade runter.
»Wow … das ist ja richtig edel. Sowas hätte ich auch gerne im Revier«, staunte die Polizistin. »Aber wären stinknormale Spinde aus Metall nicht praktischer? Ihr arbeitet doch allesamt mit Erde und geht daher nicht gerade mit sauberen Klamotten in die Pause, oder?«
Paul schnaubte verächtlich.
»Das ist doch nicht für uns Fußvolk gedacht! Da drin tummelt sich nur die Affenbande aus dem Büro – und halt die Schönhoff, die sich ihre Hände auch nicht mehr dreckig machen muss. Dafür hat sie schließlich jede Menge schlecht bezahlte Lakaien, so wie mich zum Beispiel.«
Er zeigte auf eine weiß lackierte Metalltür, die man in der ebenfalls weißen Wand leicht übersehen konnte.
»Dort draußen, das ist unser Kabuff. Hier residieren die Arbeiter und Landschaftsgärtner. Nackter Estrich, verbeulte Spinde und eine uralte Sitzbank, das ist alles. Unseren Kaffee dürfen wir teuer aus einem Verkaufsautomaten ziehen. Aber unser Chef lässt seine Besucher immer nur in den schöneren Raum schauen, zum Angeben, wie toll er mit seiner Belegschaft umgeht«, schimpfte der picklige Azubi.
»Okay, dann werfen wir mal einen schnellen Blick ins Fach der Frau Schönhoff. Du hältst dich bitte im Hintergrund«, sagte Marit augenzwinkernd.
Natürlich dachte Paul Zielinski nicht einmal im Traum daran, einen diskreten Abstand herzustellen oder gar wegzusehen. Vielmehr schaute er ihr neugierig über die Schulter. Frau Capos Zeug interessierte ihn brennend. Vielleicht gab es da drin etwas, womit er später ihre Autorität untergraben konnte. Er selbst lagerte ja in seinem Spind auch ein paar Kleinigkeiten, die sein Vater daheim besser nicht im Zimmer finden sollte, wie zum Beispiel eine Bong fürs Cannabisrauchen und ein ultrascharfes Militärmesser, das er sich erst vor ein paar Wochen auf einem illegalen Markt in Tschechien gekauft und außer Landes geschmuggelt hatte.
Der Schlüssel passte, und Pauls Hoffnung auf eine Sensation sollte sich erfüllen. Sowohl er als auch Marit starrten amüsiert auf ein in Pastellfarben gehaltenes Poster, das auf der Innenseite des Türchens klebte. Es zeigte einen blassen, langhaarigen Mann mit Bart, dessen Augen strahlten. Um seinen Kopf hatte der Künstler