Der Fluch der Dunkelgräfin. Simona Turini

Der Fluch der Dunkelgräfin - Simona Turini


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ihr Bewacher war zu aufmerksam. Auch wenn er fest zu schlafen schien oder unterwegs war oder eingeschlossen in der Bibliothek saß und konzentriert die zahlreichen Briefe verfasste, die er täglich verschickte; jedes Mal hatte er plötzlich an ihrer Seite gestanden, immer genau in dem Moment, in dem sie bereit gewesen war, loszulassen. Nicht einmal der Tod gönnte ihr Erlösung.

      Als sie aufblickte, stand ein Mann vor ihr. Erschrocken sprang sie auf. Der Fremde war groß, dabei schlank und feingliedrig. Seine vollständig schwarze Kleidung war erlesen, er schien von edler Abstammung zu sein. Die schmale Nase ein wenig zu spitz, die hellen Augen ein wenig zu nah beieinander, die vollen Lippen ein wenig zu eng aufeinandergepresst – edel, doch nicht attraktiv.

      Er wirkte so harmlos in seinem teuren Aufzug, und dabei so bedrohlich. Eine Bedrohung, die rasch nicht mehr ungreifbar und vage blieb, sondern sich zu Sofias Entsetzen schauerlich manifestierte: Sein Mund verzog sich zu einem widerlichen Grinsen, immer weiter und weiter, weiter, als die Mundwinkel eines Menschen sich dehnen lassen sollten, als risse er sein Gesicht mitten entzwei, um ihr Reihen strahlend weißer, spitzer Zähne zu präsentieren, deren Anblick Schauer der Angst ihr Rückgrat hinab sandte.

      Sie wollte sich abwenden und zum Haus fliehen und stand doch wie gelähmt da, als hätten ihre Füße sich in das Erdreich gegraben, als müsse sie hier auf ewig bleiben und den grauenerregenden Anblick des Fremden ertragen.

      Seine Zähne, diese bedrohlichen Spitzen, wurden größer, wuchsen aus dem weit aufgerissenen Maul heraus, verdeckten bald seine Augen. Sie ertappte sich bei dem Versuch, sie zu zählen, als könne diese ganz und gar unpassende, profane Handlung den Zauberbann brechen, unter dem sie sich gefangen fühlte. Es waren mehr Zähne, als ein Mensch haben durfte, was sie nicht verwunderte, immerhin war dieser Herr fern von allem Menschlichen.

      So schnell, wie es begonnen hatte, war es vorbei; der Herr schloss seinen Mund ohne Mühe, das schreckliche Gebiss verschwand und nur ein leichtes, fast freundliches Lächeln kräuselte seine Lippen. Immer noch blickten seine Augen ernst, fast verächtlich. Er zog seinen Hut und verbeugte sich leicht. Dabei registrierte sie eine kreisrunde kahle Stelle genau in der Mitte seines Kopfes. Aus Gründen, die ihr verwirrter Verstand nicht erfassen konnte, entsetzte sie dieser durchweg alltägliche Anblick mehr, als es das monströse Grinsen vermocht hatte.

      Sie schrie aus Leibeskräften, bis ihr Hals schmerzte und ihre Lunge keine Luft mehr hatte. Dann war der Fremde verschwunden.

      Weinend eilte sie zum Haus, in die vermeintliche Sicherheit der Nähe ihres Bewachers und seines stummen Dieners.

      II

      Am späten Abend begab sie sich über die leeren Flure des Hauses, das ihr Gefängnis war, in ihr privates Badezimmer. Der Dienstbote hatte bereits die große, frei stehende Wanne vorbereitet. Duftende Essenzen und fein schäumende Zusätze sollten ihre angespannten Nerven beruhigen. Sie schloss die Tür und stellte einen der kleinen Sessel davor. Der Diener war ihr unheimlich, und sie wollte nicht riskieren, dass er sie störte. Nicht, dass ihm das erlaubt wäre, aber in diesem Haus voller Schrecken wusste man nie. Sie setzte sich auf den Sessel und zog sich aus. Achtlos ließ sie ihre Kleider auf den Boden fallen und glitt vorsichtig in das warme Wasser.

      Rasch tat das Bad seine Wirkung und entspannte ihren müden Leib. Ihr heutiger Geburtstag, so hatte ihr Bewacher ihr verraten, sei derselbe wie der ihrer Mutter selig. Ein besonderer Tag. Sie schloss die Augen und stellte sich vor, wie ihr Leben gewesen sein musste, als sie noch ein Kind gewesen war, mit einer Mutter, die sie liebte.

      Lächelnd schwebte sie in der großen Wanne. Ein kleines Stück Frieden.

      »Alles wird gut!«, flüsterte der Mann und drückte die Hand der Frau fester. Sie war blass, ihr Gesicht voller Schweiß, das Haar klebte in feuchten Locken an ihrem Kopf. Sie stöhnte leise, ehe sie sich auf dem ausladenden Bett zusammenkrümmte und gellend aufschrie.

      Sofia beobachtete das Paar aus einer dunklen Ecke des von übel riechenden Kerzen dämmrig beleuchteten Zimmers. Wer waren sie? Wie kam sie hierher? Ein Lichtschein hinter dem großen Fenster lenkte ihre Aufmerksamkeit ab. Draußen herrschte Nacht, doch sie sah den dunklen Herrn, den sie heute im Park getroffen hatte. Er grinste sie hämisch an und gestikulierte vielsagend in Richtung des Paares. Sie runzelte die Stirn, als sie sich den beiden wieder zuwandte.

      Die Frau lag auf dem Rücken, den Oberkörper durch viele Kissen gestützt, vollkommen verspannt und unter großen Schmerzen leidend. Über ihren weit gespreizten Beinen wölbte sich ein enormer Bauch. Sie gebar gerade.

      Eine Hebamme betrat den Raum. Kam sie erst jetzt zur Hilfe, oder hatte sie nur rasch etwas holen wollen? Sie kniete sich ans Fußende des Bettes und redete beruhigend auf die Frau ein.

      Der Mann schien helfen zu wollen, es aber nicht zu vermögen, er umklammerte nur hilflos die Hand seiner Frau, dass seine Knöchel weiß hervortraten, und stammelte immer und immer wieder »Nein, nein, nicht du, Martha, nicht du, bleib bei mir, bleib, oh …«

      Entsetzt beobachtete Sofia, wie sich die Scham der Frau weitete und weitete und sich etwas Blutiges, Fleischiges, voller Schleim hindurchzwängte. Die Gebärende schrie, als risse man sie entzwei, und weinte nun heftig.

      Übelkeit erfasste Sofia. Sie wandte sich ab. Doch der letzte unheilvolle Schrei der Frau zwang ihren Blick zurück zum Bett.

      Das Kind war aus dem Leib der Gebärenden geglitten und lag nun in den Armen des verzweifelten Vaters. Die Mutter sank erschöpft zurück, dann verkrümmte sie sich erneut und stöhnte schwach, bis auch die Nachgeburt blutig und schleimig ihren Bauch verließ. Die Blutung indes hörte nicht auf, mehr und mehr quoll zwischen ihren Beinen hervor und tränkte die dicke Matratze.

      Die Hebamme schrie nach ihrer Helferin, die unverzüglich hereinstürmte, die Arme voller Stoffbinden und merkwürdiger Gerätschaften. Der Vater stand wie gelähmt in der Ecke, das leblose Kind nach wie vor in den Armen. Er murmelte unverständliche Worte, zunehmend verzweifelt, je heftiger der Kampf der Hebamme um das Leben der Mutter wurde. Schließlich schrie er fast, mit verzerrtem Gesicht, den Blick gen Decke gerichtet und eine schreckliche Intensität in sich: »SO ERSCHEINE DOCH, ELENDER!«

      Wieder entdeckte sie den dunklen Herrn aus dem Park, diesmal im Zimmer, unbemerkt von allen Anwesenden – nur der Vater schaute ihn erleichtert an und reichte ihm das Kind, das immer noch keinen Laut von sich gegeben hatte. Der dunkle Herr nahm es sanft in seine Arme und liebkoste das kleine Gesichtchen.

      »Nimm es«, sagte der Vater. »Nimm es mit dir, aber lass mir meine Martha. Ein Leben für ein Leben, das ist es doch, was du forderst, nicht wahr?«

      Der dunkle Herr blickte den Vater an und wandte sich dann dem Bett zu. Die Mutter hatte das Bewusstsein verloren. Der dunkle Herr legte nachdenklich den Kopf schief.

      »Du bietest mir also das Leben dieses unschuldigen Kindes an? Eine reine, unberührte Seele gegen die deiner Dirne von Frau? Ist das dein Ernst, alter Mann?«

      »Meine Martha ist keine Dirne. Sie ist fromm und brav. Immer war sie mir eine gute Frau und ich will sie nicht missen. Ein Leben ohne sie ist kein Leben! Nimm das Kind, aber lass mir mein Weib!«

      Der dunkle Herr schwieg, das Kind in seinen Armen nach wie vor reglos. Dem Vater schien es unbehaglich, er wand sich regelrecht unter dem Blick des Anderen. Ein Druck schien auf ihm zu lasten, Unruhe, die sich in unkontrollierten, winzigen Zuckungen äußerte.

      »So tu es doch!«, rief er schließlich.

      Der dunkle Herr lächelte wieder sein ekelhaftes Lächeln. Dann senkte er den Blick zu dem Kind in seinem Arm – wie winzig es aussah! – und streichelte es sanft. Das Baby öffnete die Augen und schrie aus Leibeskräften. Im gleichen Moment, als der Herr dem Vater das Kind in den Arm legte, wandte sich die Hebamme um, erschöpft und angstvoll.

      »Knapp war’s, aber sie wird’s schaffen. Achtet gut auf das Kind, es wird Euer einziges bleiben. Reinigt sie und ihr Lager und versorgt das Kleine. Ich komme morgen wieder. Wenn sie beide dann noch leben, wird alles gut.«

      Mit diesen Worten gingen die Alte und ihre Helferin. Der Vater sackte an der Wand zusammen, das Kind wieder


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