Liebeschaos: Süß wie Cherry Cola. Ute Jäckle
dieselbe Masche abzog. Was sonst säuselte er ihr wohl ins Ohr? Marga tat kein bisschen spröde. Als er irgendwas antwortete, lächelte sie lasziv und wickelte eine Strähne ihrer mittelblonden Locken um den Zeigefinger. Mit langsamen Schritten kam ich näher, die beiden hatten mich noch nicht entdeckt. Nick redete leise auf sie ein, ab und an schenkte Marga ihm ein glockenhelles Lachen. Ich fragte mich, wie diese intelligente Frau auf Nicks durchschaubares Getue hereinfallen konnte. Überhaupt war er so oft mit irgendeiner Frau in ein Gespräch vertieft, dass ich mich schon fragte, wann der Kerl eigentlich mal arbeitete. Wie ein brünstiger Keiler legte Nick seine Duftspur von der Ambulanz bis hoch zur Neugeborenen-Intensiv. Keine Frau unter dreißig, die hier arbeitete und halbwegs passabel aussah, war vor ihm sicher.
»Ach, das hab ich doch gestern gern gemacht«, hörte ich Nick mit kratziger Stimme sagen, als ich bei ihnen angelangt war.
»Trotzdem, ohne dich hätte die Lehmann uns nie mit zur Visite genommen. Das war so cool. Du bist ein Schatz.« Margas Blick verweilte auf seinen Lippen, als stünde sie kurz davor, ihn hier auf dem Gang zu vernaschen. Meine Schultern spannten sich an, während ich betont locker das kleine Geplänkel mit einem Guten Morgen unterbrach.
Nick wandte den Kopf und stieß sich von der Wand ab. Als er einen Schritt zurücktrat, wurde Margas Miene länger.
»Morgen«, grüßte er lächelnd, in seinen grauen Augen glitzerte es, als er mir einen ausgedehnten Blick vergönnte, der mich glücklicherweise kaltließ.
Marga verschränkte die Arme vor der Brust und wirkte nicht, als würde sie sich über mein plötzliches Auftauchen freuen. Ich musste ein Augenrollen unterdrücken. Auch sie kannte Nick seit dem ersten Semester und müsste eigentlich wissen, dass das seine übliche Masche war.
»Na, alles klar bei dir?«, fragte Nick und deutete mit dem Kinn in meine Richtung. Eine winzige Vertiefung fiel mir dort auf, noch immer umschatteten Barstoppeln sein Gesicht und verliehen ihm etwas Draufgängerisches.
»Geht so. Bin nur etwas müde, war gestern lang wach.« Ich unterdrückte ein Gähnen.
»Allein?«, fragte Nick und musterte mich interessiert.
»Nein«, gab ich überspitzt zurück. »Mit einem Buch.«
»Oh, du liest.« Er klang beeindruckt. »Was liest du denn gerade?«
Mist. Sollte ich ihm etwa auf die Nase binden, dass ich gestern Bestrafe mich, mein Milliardär verschlungen hatte? Mein Gehirn sprang an und ratterte auf Hochtouren. »Ähm, also, das war so ein Klassiker, von diesem Dingens, diesem Literaturnobelpreisträger – wie hieß er noch gleich?« Ich rieb meine feuchten Handflächen, während Nick geduldig auf den Namen des verflixten Autors wartete.
»Ich geh dann mal.« Marga rauschte davon. Ein wenig tat es mir leid, sie verärgert zu haben. Ich konnte schließlich nichts dafür, dass Nick mich sofort in eine Unterhaltung verwickelt hatte. Wer konnte schon ahnen, dass dieser oberflächliche Wicht sich für Bücher interessierte? Wahrscheinlich tat er sowieso nur so, machte einen auf belesen, weil er glaubte, seine intellektuelle Ader käme in der Damenwelt gut an. Hier bot sich gerade eine günstige Gelegenheit ihn auflaufen zu lassen. Ich kramte in den Tiefen meines Gedächtnisses fieberhaft nach dem Namen eines Autors, über den ich einmal etwas gelesen hatte. Leider fiel er mir partout nicht ein, aber Nick hatte wahrscheinlich sowieso keine Ahnung, deswegen pokerte ich.
»Dieser peruanische Autor, du kennst ihn bestimmt nicht. Aber er schreibt herrliche Bücher, ein richtiger Sprachakrobat. Anspruchsvolle Unterhaltung ist bei ihm garantiert. Was dieser Mann an schriftstellerischem Können präsentiert, ist ein beinah greifbares Erlebnis, das eine unangefochtene Virtuosität der Worte voraussetzt, wenn er diese in seine ganz eigene Erzählsprache transkribiert. Ein Meister seines Fachs.« Hoffentlich hatte ich nicht zu dick aufgetragen. Nick betrachtete mich ohne äußere Regung. In Gedanken unterzog ich meine Aussage noch mal einer Prüfung, leider konnte ich mich an meinen eigenen genauen Wortlaut nicht mehr erinnern. Egal. Ob er mir mein Gerede abkaufte? Bestimmt. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass dieser Klugscheißer in seiner Freizeit freiwillig ein Buch in die Hand nahm.
Zu meiner Überraschung nickte er anerkennend. »Meinst du Mario Vargas Llosa? Der ist in der Tat klasse. Ich liebe seine Bücher. Welches liest du gerade?«
Oh, nein. Das durfte doch nicht wahr sein. Dieses Großmaul kannte sich mit Literaten aus? »Oh, ähm, also.« Ich schnippte wie wild in der Luft herum. »Ich komme gerade nicht auf den Titel. Wie war der noch gleich?«
»Meinst du Himmel und Hölle?«, gab er mir glücklicherweise eine Vorlage.
Ich klatschte in die Hände, als hätte ich soeben ein Zeichen von ganz oben erhalten. »Genau das. Es lag mir auf der Zunge.«
Nick deutete mit dem Zeigefinger auf mich. »Hättest du gedacht, dass Silvio der Mörder ist?«, fragte er, während ich innerlich zusammenbrach. »Also, ich wäre im Leben nicht darauf gekommen. Die ganze Zeit über hatte ich Wilda in Verdacht, aber dann dieser fiese Plot-Twist am Ende.«
Himmel noch mal, er wollte jetzt nicht wirklich mit mir über dieses verdammte Buch quatschen. »Also … ich hatte Silvio schnell in Verdacht.« Überall musste er sich einmischen, es war nicht zum Aushalten. Theatralisch warf ich einen Blick auf mein Handy. »Schon so spät, ich muss Frau Hausers Verband wechseln und nachsehen, ob das neue Antibiotikum angeschlagen hat. So gern ich es wollte, ich habe leider gerade überhaupt keine Zeit, mit dir über Himmel und Hölle zu philosophieren. Zu schade.« Ich fand, ich klang ziemlich enttäuscht, mir war eindeutig schauspielerisches Talent in die Wiege gelegt worden. Hastig machte ich mich zu den Spinden im Umkleideraum des Personals davon.
»Aber den Rest der Unterhaltung holen wir nach«, rief er mir hinterher. »Mich interessiert die Virtuosität deines greifbaren Erlebnisses.«
Nervensäge!
Nur langsam ließ mein Herzklopfen nach, als ich meine leichte graue Strickjacke über den Bügel hing und sie in meinem Spind verstaute. Meine Wangen glühten wie heiße Grillkohle. Der Kerl wollte allen Ernstes mit mir über diesen peruanischen Autor fachsimpeln, dessen Namen mir bereits wieder entfallen war. Ich zog mein Smartphone aus der Tasche und googelte Himmel und Hölle, wollte wenigstens einen Blick auf den Klappentext geworfen haben, falls ich Nick nachher in die Arme laufen sollte. Immerhin konnte er sehr penetrant sein. Die Rückansicht einer Frau zierte das Cover. Ganz hübsch, wenn auch nicht halb so ansehnlich wie mein halb nackter Milliardär aus dem gestrigen Roman. Himmel und Hölle – Neun Erzählungen von Alice Munro, las ich. Kanadische Literaturnobelpreisträgerin von 2013. Dieser verdammte Mistkerl. Ich war voll auf ihn reingefallen. Den leisen Respekt, der sich in mir regte, weil er mich mit meinen eigenen Waffen geschlagen hatte, ignorierte ich gekonnt.
Die nächsten zwei Stunden gelang es mir doch tatsächlich, Nick weiträumig zu umschiffen. Marga zeigte sich mittlerweile auch wieder umgänglicher und ließ mich am neuesten Tratsch über die Oberschwester teilhaben, die zwar verheiratet war, aber anscheinend eine Affäre mit einem Rettungssanitäter begonnen hatte. Den beiden war man bei einem Schäferstündchen im Rettungswagen auf die Schliche gekommen, als dieser zu einem Einsatz hatte aufbrechen sollen. Das alles berichtete mir Marga haarklein und unter ausdauerndem Gekicher. Wie kann man nur so blöd sein war einer ihrer Lieblingssätze während der ausufernden Berichterstattung. Ob die Sache noch ein Nachspiel für die beiden haben würde, wusste sie jedoch nicht. Sodom und Gomorra, mehr fiel mir zu den Zuständen in diesem Krankenhaus nicht mehr ein.
Nick kam mit einer Handvoll Mullbinden aus dem Verbandsraum, just zu dem Zeitpunkt, als ich daran vorbeiging. Reflexartig scannte ich den Raum durch den offenen Türspalt auf etwaige Sexpartnerinnen, fand ihn jedoch zu meinem Erstaunen tatsächlich leer vor. Offenbar arbeitete Nick durchaus manchmal.
»Na? Schon Himmel und Hölle gegoogelt?«, fragte er mit unschuldiger Stimme.
»Na? Immer noch keine willige Gespielin für den Verbandsraum gefunden?«, lenkte ich hastig vom heißen Thema ab und sofort stieg er darauf ein. Ich kannte ihn langsam einfach zu gut.
»Ich nehme doch nicht jede x-Beliebige mit da rein.« Er deutete auf die