Tanz der Finanzen. Thomas Neiße
einladenden Geste auf, wieder Platz zu nehmen. »Meine Herren, ich freue mich, Sie hier in diesem geschichtsträchtigen Gebäude begrüßen zu dürfen. Der Herr Minister wird später zu uns stoßen, er wartet noch auf den bayerischen Ministerpräsidenten, der ebenfalls an unserem Gespräch teilnehmen möchte.«
Peter Nehmer ergriff das Wort: »Vielen Dank, Herr Staatssekretär, ich darf vielleicht kurz unsere Gruppe vorstellen. Zu meiner Linken sehen Sie Niels Werner, den Leiter unserer Asset-Management-Sparte, zu meiner Rechten sitzt Konrad Pair, unser Repräsentant in Berlin, und ich bin Peter Nehmer. Ich leite die Wertebank.«
»Vielen Dank, Herr Nehmer, ich denke, wir sollten die Zeit, bis der Minister kommt, nutzen, um einige Details vorab zu besprechen. Ehrlich gesagt, bin ich doch etwas verwundert, dass ein verurteilter Mörder Ihre Bank hier in Berlin repräsentiert und an unserem Gespräch teilnehmen soll.«
Bei diesen Worten fixierte Dieter Krämer ausschließlich Konrad Pair. Der erwiderte jedoch seinen Blick mit stoischer Ruhe. »Ich darf darauf hinweisen, Herr Staatssekretär, dass ich wegen Totschlags und nicht wegen Mordes verurteilt wurde. Und ich bin nach, inklusive der Untersuchungshaft, einem Jahr Gefängnis wegen extrem guter Führung vorzeitig, und ich möchte betonen, offiziell, entlassen worden.«
»Herr Pair, verstehen Sie mich nicht falsch, ich möchte das deutsche Rechtssystem auch nicht kritisieren. Für mich ist das völlig in Ordnung. Aber meine Meinung wird nicht von allen geteilt werden und Ihre Arbeit hier in Berlin wird durch Ihre Vergangenheit nicht unbedingt erleichtert.«
»Das ist uns durchaus bewusst, Herr Staatssekretär, aber zu der Vergangenheit von Herrn Pair gehört auch seine Reputation als ausgezeichneter Wirtschaftsfachmann. Und als solcher ist er heute hier.« An dieser Stelle wurde Peter Nehmer unwillkürlich lauter. »Und ehrlich gesagt, wenn er nicht geschossen hätte, dann hätte vermutlich ich es getan, spätestens dann, wenn eine Auslieferung in die USA diskutiert worden wäre. Dieser Kerl hatte schließlich meinen Sohn entführt und wollte mich erpressen.«
Sieh an, sieh an, die halten zusammen wie Pech und Schwefel, ziemlich selten in der heutigen Zeit, das gefällt mir.
»Schön und gut, Herr Nehmer. Im Zusammenhang mit Ihrer Bank existiert aber noch ein anderes Problem. Wie wir hören, steht Ihre internationale Bankenallianz kurz vor dem Scheitern. Sie haben aber noch keine entsprechende Mitteilung herausgegeben, um die Börse zu informieren.«
»Bis heute haben wir noch keine schriftlichen Dokumente diesbezüglich erhalten. Nur auf Grund von vagen verbalen Äußerungen können und dürfen wir auch keine Ad-hoc-Mitteilung herausgeben. Aber auch ohne schriftliche Informationen werden wir das demnächst wohl doch tun müssen, denn die Spatzen pfeifen das offensichtlich ja schon von den Dächern. Es ist mir völlig unerklärlich, wie diese Information nach draußen dringen konnte. Darf ich fragen, woher Sie diese Erkenntnisse haben?«
In diesem Moment betraten der Finanzminister und der bayerische Ministerpräsident den Raum.
»Bleiben Sie sitzen, bleiben Sie sitzen, meine Herren. Ich freue mich, Sie in meinem Ministerium begrüßen zu dürfen. Wir kennen uns ja alle bereits, eine gegenseitige Vorstellung kann daher unterbleiben«, und an Krämer gewandt: »Ich habe doch hoffentlich nichts verpasst?«
»Keineswegs, Herr Minister, wir haben nur über einige Kleinigkeiten gesprochen, eigentlich war es lediglich Smalltalk.«
»Na schön, meine Herren, bitte bedienen Sie sich, wie ich sehe, ist für das leibliche Wohl gesorgt«, und nachdem das Tassengeklapper und Kaffee einschenken erledigt war, fragte der Finanzminister: »Was kann ich für Sie tun?«
Peter Nehmer ergriff das Wort: »Vielen Dank, Herr Minister, für diesen Gesprächstermin. Vielen Dank, Herr Ministerpräsident, auch Ihnen. Die Wertebank ist heute hier, um Ihnen einen, zugegebenermaßen leicht revolutionären, Vorschlag bezüglich der Staatsfinanzen zu machen. Wird dieser Vorschlag umgesetzt, würde Deutschland auf Jahre, nein, Jahrzehnte hinaus ein enormes finanzielles Polster besitzen, welches bei ökonomischen Krisen die Handlungsfähigkeit der deutschen Politik sicherstellen würde. Darüber hinaus wäre die Stellung Deutschlands in der Europäischen Union, aber auch weltweit nachhaltig gestärkt. Ich schlage vor, dass Herr Pair Ihnen jetzt die Idee erläutert. Er war wesentlich an ihrer Entwicklung und Formulierung beteiligt.«
»Pair, sagten Sie, war der Name?«
»Ja, Konrad Pair, er war als anerkannter Ökonom über lange Jahre unser Chefvolkswirt und leitet nun seit einigen Tagen unsere Berliner Filiale.«
Es war unmöglich, in den Gesichtszügen des Ministers zu lesen.
»Na schön, dann schießen Sie mal los.«
»Herr Minister, Herr Ministerpräsident, Herr Staatssekretär, wir alle wissen, was für ein wunderbares Land Norwegen ist. Was nicht alle wissen, ist, wie klug die dortige Wirtschafts- und Finanzpolitik ist. Norwegen hat schon vor einigen Jahren einen Staatsfonds ins Leben gerufen, der durch die Einnahmen aus den Öl- und Gasressourcen gespeist wird. Dieser Staatsfonds investiert sein Vermögen in die weltweiten Kapitalmärkte mit deutlich höheren Renditen als angesichts der gegenwärtigen Nullzinsphase zu erwarten gewesen wäre. Sein Volumen beträgt mittlerweile tausend Milliarden Euro. Dieser Fonds dient der Zukunftssicherung des Landes und als Reserve für Zeiten mit wirtschaftlichen Problemen. So hat Norwegen im Zuge der Corona-Pandemie dem Fonds 50 Milliarden entnommen, um der daniederliegenden Wirtschaft des Landes wieder auf die Sprünge zu helfen.«
An dieser Stelle hakte Dieter Krämer sofort ein: »Wir haben aber leider keine signifikanten Öl- und Gasreserven, Herr Pair.« »Das ist natürlich richtig, Herr Staatssekretär, und deswegen haben wir bis heute auch keinen Staatsfonds in unserem Land. Aber auch wir haben eine Einnahmequelle. Infolge des erstklassigen Rufes Deutschlands als Schuldner können wir zu Nullzinsen am Kapitalmarkt Geld aufnehmen. Unser Vorschlag ist nun, derartige Anleihen mit einer Laufzeit von dreißig Jahren zu begeben und mit dem so gewonnenen Kapital einen Staatsfonds ins Leben zu rufen.«
Die Politiker am Tisch tauschten ungläubige Blicke und schüttelten leicht den Kopf. Der Minister ergriff zuerst wieder das Wort: »Sie wollen, dass wir neue Schulden machen, obwohl wir das Geld gar nicht benötigen? Wissen Sie eigentlich, wie froh wir sind, den Haushalt wieder auf halbwegs solide Füße gestellt zu haben?«
»Herr Minister, genau deshalb wäre jetzt der richtige Zeitpunkt für eine Mittelaufnahme. Ihr Jahreshaushalt wird davon ja in keiner Weise tangiert. Sie zahlen für diese Anleihen keine Zinsen, also steigt in Ihrem Budget der Posten Schuldendienst auch nicht.«
»Aber irgendjemand muss dieses Geld am Ende doch zurückzahlen.«
Nun schaltete sich Niels Werner ein: »Herr Minister, wenn Aktien auch künftig die Renditen abwerfen, die sie in den letzten 100 Jahren erzielt haben, nämlich durchschnittlich zwischen 6 und 8 Prozent jährlich, dann verdoppelt sich in den nächsten 10 Jahren Ihr eingesetztes Kapital. Um es an einem Beispiel zu verdeutlichen: Bei 500 Milliarden Kapitalaufnahme hätte der deutsche Staatsfonds in 10 Jahren auch ein Volumen von 1000 Milliarden.«
Auf den hilfesuchenden Blick des Finanzministers nickte Dieter Krämer zustimmend. Für ihn klang das alles extrem logisch. Er war gespannt, wie sein Chef darauf reagieren würde. Der jedoch hüllte sich in Schweigen, so dass er selbst das Frage- und-Antwort-Spiel fortsetzte: »500 Milliarden! Gibt der Kapitalmarkt das überhaupt her und wird eine derartige Kreditaufnahme nicht letztendlich doch den Zins nach oben treiben?«
Niels Werner schüttelte den Kopf: »Herr Staatssekretär, der weltweite Anleihemarkt hat ein Volumen von rund 100 Billionen Euro, der Aktienmarkt übrigens nicht ganz so viel, aber auch da sind es 90 Billionen. Da würden die 500 Milliarden leicht zu erzielen sein. Aber natürlich müssten die marktschonend aufgenommen und dann platziert werden, das bedeutet volumenmäßig Schritt für Schritt und im Zeitablauf nach und nach. Das würde sicherlich kaum Auswirkungen auf Zinsen und Aktienmärkte haben.«
»Herr Werner«, der Minister hatte seine Sprache wiedergefunden, »bei jedem Konzept liegt der Teufel im Detail. Wir, das heißt, die Bundesregierung, sind Politiker und keine Fondsspezialisten. Woher sollen wir denn die Expertise nehmen, um ein solches