Tanz der Finanzen. Thomas Neiße
sondern nur die grobe Richtung seines Strategiewechsels andeuten. Bankvorstände generell waren häufig Selbstdarsteller und auch der eine oder andere Vorstandskollege von ihm neigte zum Plaudern in der Öffentlichkeit.
Nehmer griff erneut zum Telefon und rief seinen Personalchef Jan Bernhardt an.
»Bernhardt.«
»Hallo, Herr Bernhardt«, obwohl sie schon jahrelang zusammenarbeiteten, waren sie immer noch per Sie. »Ich sehe Sie nachher bei unserem Vorstandstreffen?«
»Selbstverständlich, wenn Sie das wünschen.«
»Sehr schön, dann bringen Sie doch bitte eine detaillierte Aufstellung der Mitarbeiterzahlen mit. Vielleicht brauche ich sie zwecks Erläuterung der durch die Umstrukturierung zur Bankenallianz ausgelösten Bewegungen bei unseren Arbeitnehmern. Eventuell müssen wir erneut eine andere Weichenstellung in unserem Geschäftsmodell diskutieren, und da möchte ich ein Gefühl für mögliche Auswirkungen im Personalbereich haben.«
»Gehen wir denn zu unserem alten Modell zurück?«
»Ganz sicher nicht, aber ehrlich gesagt, weiß ich selbst noch nicht, wo die Reise hinführt. Es ist aber klar, die ursprünglich angedachte globale Bankenallianz wird sich so nicht verwirklichen lassen. Wir werden unseren Plan zumindest adjustieren müssen.«
»Ich werde die Zahlen parat haben, Herr Nehmer.«
»Ach, Herr Bernhardt, wenn ich Sie schon mal am Telefon habe«, die Sprechpause hatte genau die richtige Länge, um unschuldig zu wirken, »sagen Sie, wie sieht es eigentlich mit den Vorstandsverträgen aus? Stehen da einige zur Verlängerung an?«
Soso, dachte Jan Bernhardt, kommen wir jetzt zum eigentlichen Zweck des Anrufs? »Nun, Ihr Vertrag ist ja gerade verlängert worden«, sein Tonfall war absolut neutral, »Herr Kern hat noch vier Jahre und Herr Wohler zwei Jahre Laufzeit. Lediglich bei Frau Kohler müsste der Aufsichtsrat so langsam aktiv werden, ihr Vertrag endet in zwölf Monaten.«
»Danke, Herr Bernhardt, wir sehen uns später.«
Dachte ich es mir doch, Nehmer war hochzufrieden. Dann wollen wir mal sehen, wie die Gute reagiert. Aber erst muss ich den Kaiser briefen. Auch bei seinem Finanzchef rief er direkt an, die Sekretärinnen mussten ja nicht alles mitbekommen. Bereits nach dem ersten Klingeln war Horst Kaiser am Telefon. »Peter?«
»Hallo, Horst, wir sehen uns ja nachher beim Vorstandstreffen. Ich möchte bewusst nur ein Treffen und keine offizielle Vorstandssitzung. Du und der Bernhardt sind dabei. Du kennst ja schon das Thema, und wie du dir denken kannst, wird es an der einen oder anderen Stelle hoch hergehen. Deine Aufgabe wird es sein, auf einen Wink von mir darauf hinzuweisen, dass es vielleicht gut wäre, bei einer Neuausrichtung unserer Aktivitäten uns an den erzielbaren Renditen zu orientieren. Mit anderen Worten, wir sollten das Asset Management und die Vermögensverwaltung weiter forcieren.«
Horst Kaiser erfasste sofort den tieferen Sinn des Anliegens seines Chefs. »Heißt das, du hast einen Plan, wie das gehen soll? Und du weißt, dass wir endlich wieder einen absoluten Spitzenmanager für diese Sparte brauchen.«
»Niels Werner hat mich angerufen und mir dafür eine Superidee geliefert. In Kurzform: Staat leiht sich zu den derzeitigen Nullzinsen Geld und investiert in den hoch rentierlichen Aktienmarkt. Und diesen, ich nenne ihn mal Bürgerfonds, verwalten wir und verdienen so nebenbei eine hübsche Summe Geld.«
Es dauerte einige Momente, bis die Antwort kam. »Wow, umso dringlicher ist die Managementfrage. Meinst du, du kannst Niels zurückholen?«
»Da bin ich mir ziemlich sicher.«
»Super, dann lass uns diese Sache angehen. Vermutlich wird aber die Kohler wieder Zicken machen.«
»Du alter Chauvi, ich glaube, ich kann sie etwas einbremsen. Ihr Vertrag steht zur Verlängerung an.«
»Endlich mal eine gute Nachricht, sie piesackt mich ganz schön. Und das Schlimme ist, du kannst ihr auch kein X für ein U vormachen. Clever ist sie.«
»Lass mich mal machen.«
Mit diesen Worten beendete er das Gespräch und rief seine Assistentin Hannah Pauli herein.
»Hannah, bitte doch Frau Kohler, mir vor der Vorstandssitzung ein kurzes Briefing über unsere Risikosituation zu geben.«
Bereits nach fünf Minuten war seine Assistentin zurück. »Frau Kohler hat gerade einen Besucher von der Finanzaufsicht empfangen und kann noch nicht so ganz abschätzen, wann das Gespräch beendet sein wird. Sie kommt so bald als möglich.«
Nehmer nickte. »Danke, bis Frau Kohler kommt, bitte keine Gespräche«, und als sich ein Hoffnungsschimmer im Gesicht von Frau Pauli breitmachte: »Nein, auch keine Postbesprechung. Ich muss nachdenken.«
Wieder allein nahm er ein Blatt Papier aus dem Schreibtisch und fing an, seine ersten Überlegungen zu skizzieren. Der Gedanke von Niels Werner war brillant. Deutschland konnte in der Tat zu Nullzinsen Geld am Kapitalmarkt aufnehmen, weil seine Reputation als Schuldner erstklassig war. Der Haushalt würde daher durch diese Aktion nicht belastet werden. Die Frage war nur, was mit diesem Geld geschehen sollte. Das könnten zum einen Investitionen in Infrastrukturoder Umweltprojekte sein. Aber es könnten auch Finanzinvestitionen sein, also Aktienkäufe. Dazu war die Expertise von Asset Managern nötig, sowohl für die Begebung der Anleihen als auch für die Käufe von Wertpapieren und natürlich vor allem für das Managen der getätigten Investments. Da kam dann seine Bank ins Spiel. Es mussten also drei Schritte gelingen, erstens Politiker von der Kreditaufnahme zu überzeugen, zweitens ihnen die Anlage der Gelder im Aktienmarkt schmackhaft zu machen und drittens die Wertebank als das Kompetenzzentrum für diese Transaktionen zu etablieren.
Der dritte Schritt war angesichts der in der Vergangenheit erworbenen hervorragenden Beziehungen in die Politik vermutlich der einfachste. Vor allem die Bayernpartei dürfte ihn stark unterstützen, sie war ihm noch so einiges schuldig für die infolge der gewonnenen Übernahmeschlacht gegen die Meinebank mögliche Rettung von tausenden Bankarbeitsplätzen in München. Den zweiten Schritt musste er mit einem zündenden Marketingschlagwort garnieren, wie Bürgerfonds, Schaffen von Werten für die Bevölkerung, Schaffen eines dritten Standbeins für die marode Rentenversicherung oder ähnliches. Der erste Schritt dürfte der schwierigste sein. Wer macht schon gern ohne Not Schulden? Da müssten in Berlin so einige über ihren Schatten springen, insbesondere der Finanzminister, der immer noch seinen Traum von einer schwarzen Null im Budget hochhielt.
Es war aber völlig klar, dass er einen detaillierten Plan zur Ausgestaltung und Umsetzung nicht allein bewerkstelligen konnte, er brauchte dafür eine Arbeitsgruppe. Dazu sollten auf alle Fälle sein Finanzchef Horst Kaiser und Niels Werner, den er hoffte zurückholen zu können, gehören. Vielleicht wäre es ja nicht schlecht, auch Barbara Kohler hinzuzuziehen. Zuckerbrot und Peitsche, das altbewährte Mittel. Und er hätte sie dann schon mal auf seiner Seite. Er selbst könnte nur sporadisch mitarbeiten, schließlich hatte er so nebenbei noch eine Bank zu führen, deren internationale Allianz gerade in Trümmern lag. Woher Niels Werner das wusste, war ihm völlig schleierhaft, er selbst hatte erst gestern diesbezügliche Hinweise erhalten. Er ließ derzeit von seinen Experten eine Ad-hoc-Mitteilung für die Kapitalmärkte vorbereiten, schließlich war es seine Pflicht, Eigenkapital- und Kreditgeber sofort über geschäftsrelevante Veränderungen zu informieren. Ach ja, und dann musste er noch seinem Aufsichtsratsvorsitzenden Benjamin Fieber die bittere Nachricht der auseinanderdriftenden Partner der Bankenallianz überbringen.
Nehmer notierte sich die einzelnen Schritte und malte jede Menge Diagramme in sein Notizbuch. Er registrierte weder, wie schnell die Zeit verging, noch dass Barbara Kohler plötzlich vor seinem Schreibtisch stand. Erst als sie sich räusperte, schaute er auf. »Ah, Frau Kohler, setzen Sie sich doch bitte.« Er zeigte auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch.
»Ich fürchte, dazu haben wir keine Zeit, Ihr Vorstandstreffen soll doch in zehn Minuten beginnen.«
»Ach, entspannen Sie sich, ohne uns können die nicht anfangen.« Er drückte den Knopf der Sprechanlage. »Frau Pauli, informieren Sie doch bitte meine Kollegen, dass das Treffen fünfzehn Minuten später