Tanz der Finanzen. Thomas Neiße
dem Bild?«
»Das haben wir noch nicht raus.« Darkin hob die Hände. »Aber wir arbeiten daran. Diese Bilder stammen von einer Überwachungskamera im Frankfurter Flughafen. Wie du weißt, durchsuchen wir regelmäßig die uns von der deutschen Polizei überlassenen Filme nach verdächtigen Personen. Wenn du uns nichts gesagt hättest, wären uns die beiden nicht aufgefallen.« Darkin sah ihn bewundernd an. »Kein Wunder, dass du so gut bist.«
»Geschenkt. Jerry, schick mir Liam rein. Aber bitte unauffällig. Und ich will schleunigst wissen, wer der Typ neben Norton ist.«
Nachdem Darkin sein Büro verlassen hatte, ließ sich Snyder in seinen Sessel fallen. Dieser Mistkerl von Pair! Er sollte doch jeden Kontakt vermeiden. Nicht auszudenken, was der alles erzählt hatte. Er schlug mit der flachen Hand auf seinen Schreibtisch. Das war es dann ja wohl, Herr Norton. Damit hast du dein Todesurteil besiegelt. Max Snyder griff zum Telefon.
»Ilan, Max hier.«
»Hallo, Max. Was treibt dich um?« Die Stimme von Ilan Silberstein, dem nominellen Chef der Investmentfirma Silberstein und Partner in New York, klang wie fast immer sehr distinguiert.
»Wir hatten ja schon über unseren deutschen Freund gesprochen und die finale Möglichkeit erörtert. Jetzt sind neue Fakten aufgetaucht, die uns bestätigen und die Dinge beschleunigen. Ich schicke ihn zu dir nach New York. So etwas lässt sich in einer Millionenstadt besser bewerkstelligen.«
Trotz der aus Sicherheitsgründen unscharfen Ausdrucksweise verstand Silberstein perfekt, wovon Snyder sprach.
»Wen hast du ausgewählt? Liam?«
»Ja, Samuel steht ja nicht mehr zur Verfügung.«
»Gut, ich werde John Norton nach Ankunft bei mir mit Arbeitspapieren ausstatten und ihn dann in unsere Dependance auf Staten Island setzen. Da ist er ungestört und kann in Ruhe seinen Aufgaben nachgehen. Liam kann ihm dort assistieren.«
»Danke, Ilan.« Snyder trat ans Fenster und schaute nachdenklich in die Senke des Woodland Park hinab. Plötzlich schnippte er mit den Fingern und griff erneut zum Telefon.
»Jerry, habt ihr schon etwas?«
»Nein, Max, die deutschen Freunde haben unsere Anfrage noch nicht beantwortet.«
»Vergiss die, da kommt ohnehin nichts. Zapf die Fotodateien der Immigration-Jungs an. Alle Ausländer, die ESTA, Global Entry oder die Greencard beantragt haben, sind dort mit Passfotos festgehalten. Vielleicht ist unser Mann auch dabei.«
»Superidee, machen wir.«
Alles muss man selber machen, dachte Snyder. An alles muss unsereiner denken. Was machen die bloß, wenn ich mal nicht mehr da bin? Dabei war Jerry noch einer seiner besten Leute, aber auch ihm mangelte es manchmal an Fantasie. Bevor er sich noch tiefer in seinen Frust hineindenken konnte, betrat Liam Waggoner den Raum und setzte sich auf einen Wink vor seinen Schreibtisch.
Wortlos schob ihm Snyder die Fotos zu und wartete, bis Waggoner die Aufnahmen studiert hatte. Der ließ sich Zeit und sah sich jedes Bild mehrmals genau an. Er schien jedes gezeigte Detail in sich aufzusaugen. Dann zeigte er mit dem Finger auf Konrad Pair und sah Max Snyder an. Der nickte.
»Ganz richtig, unser neuer Kollege John Norton. Ich denke, Sie sollten seinen Arbeitsvertrag vorzeitig beenden. Am besten in New York, da fällt ein Toter mehr oder weniger kaum auf. Ich schicke ihn zu Silberstein, und die werden ihn im Büro auf Staten Island platzieren. Da haben Sie freie Bahn.«
»Können Sie mir ein paar Informationen über Norton geben? Ich weiß ganz gern, über welche Fähigkeiten mein Gegenspielerverfügt. Das erspart unliebsame Überraschungen.«
»Nun, er war zwar in Diensten unserer deutschen Freunde, aber nicht sehr aktiv. Die meiste Zeit hat er den Chefvolkswirt einer deutschen Bank gemimt. Ich glaube kaum, dass er Ihnen auch nur annähernd ebenbürtig ist.«
»Irgendwelche Jahre in der Armee, irgendwelche Spezialausbildungen?«
»Ach, Liam, jetzt hören Sie auf. Gut, er kann mit einer Waffe umgehen, das hat er ja kürzlich erst unter Beweis gestellt. Aber darüber hinaus traue ich ihm eigentlich nichts Besonderes zu.«
»Ist er etwa bewaffnet?«
»Natürlich, wie jeder hier hat er seine Standardausrüstung bekommen.«
»Na super. Was für eine Schulbildung hat er, wie ist seine Fitness, hat er Freunde in den Staaten, irgendwelche Angewohnheiten, Besonderheiten und dergleichen?«
»Was weiß ich, ich kenne den Mann ja kaum. Was ist bloß mit Ihnen los?«
»Sie kennen den Mann kaum, das genau ist das Problem, Herr Snyder. Ich kenne ihn überhaupt nicht, ich habe ihn nur einmal ganz kurz gesehen. Dieser John Norton stellt eine Unwägbarkeit dar, und Unwägbarkeiten mag ich in meinem Geschäft gar nicht. Wenn dieser Mann Chefvolkswirt war, dann hat er ein Hochschulstudium absolviert. Dann ist er nicht dumm, und das allein macht ihn zu einem Risiko. Mit welcher Begründung werden Sie ihm seinen Transfer nach New York schmackhaft machen?«
»Na, wie denn wohl? Plötzlich auftretende personelle Engpässe in New York bei der Analyse der aus Deutschland hereinkommenden Meldungen. Wir haben sonst niemanden, der Deutsch spricht. Das wird er wohl schlucken.«
Liam Waggoner schüttelte seinen Kopf, aber auch ohne diese Geste drückte seine Körpersprache Zweifel aus. »Wenn er das mal glaubt. In unserer Branche werden plötzlich auftretende Ereignisse grundsätzlich mit Misstrauen betrachtet. John Norton dürfte da keine Ausnahme sein.«
»Na, wenn schon, Sie werden das schon machen. Und jetzt muss ich Sie hinauskomplimentieren, ich habe mich auch noch um andere Dinge zu kümmern.«
VERKRÜMELN
Nicht, dass er sonderlich überrascht gewesen wäre, und natürlich hatte er kein Wort von dem geglaubt, was ihm da als Erklärung angeboten wurde. Von wegen Personalengpass in New York, lächerlich. Der gute Max Snyder wollte keinerlei Risiko eingehen und ihn aus dem Weg haben. Seine Organisation konnte es sich nicht leisten, irgendwelche Spuren zu hinterlassen. In Washington schien ihnen offenbar das Risiko bei seinem plötzlichen Tod zu groß, das war mit Sicherheit in New York kleiner. In solch einer Riesenmetropole wurden jeden Tag viele Menschen umgebracht. Einer mehr oder weniger fiel da nicht ins Gewicht, schon gar nicht angesichts einer notorisch unterbesetzten Polizei.
Bestätigt in seinen Überlegungen hatte ihn der Schatten, der ihm seit seinem gestrigen Gespräch mit Snyder folgte. Er hatte ihn sofort erkannt. Er wusste zwar seinen Namen nicht, aber mit Sicherheit war der ihm in der Organisation schon über den Weg gelaufen. Warum wollten die ihre eigenen Leute überwachen? Dafür gab es nur eine Erklärung. Sein Entschluss war daher schnell gefasst. Er würde nach Deutschland zurückgehen. Schließlich hatte er noch seine deutschen Papiere, seine Wohnung in München, seine Kreditkarten und seine ordnungsgemäße Entlassungsbescheinigung aus dem Gefängnis. In Deutschland kannte er sich aus, und mit diesem Aas von Kaminski würde er schon fertig werden.
Er hatte seinen unscheinbaren Duffle Bag aus abgewetztem Leder aus dem Schrank geholt und die Moleskinhose und - jacke sowie das großkarierte Baumwollhemd eingepackt. Hinzu kamen neben Unterwäsche und Socken noch seine aus weichem Rindsleder gefertigten Stiefel. Jeder Soldat hätte ihn um diese beneidet.
In Washington musste er aber zunächst seinen Schatten loswerden. Er hatte sich im Taxi zum Reagan Airport fahren lassen, schließlich hatte ihm Snyder einen Flug bei Delta Airlines gebucht, und er musste zumindest so tun, als ob er diesen auch nehmen würde. Dann war er in das mit Leuten vollgestopfte Terminal gegangen. Als er seinen Schatten ebenfalls aus seinem Taxi steigen sah, verließ er das Gebäude durch einen Seiteneingang. Wieder im Taxi hatte er sich zur Union Station fahren lassen und die ganze Zeit auf den rückwärtigen Verkehr geachtet.
Sein kleiner Trick hatte offenbar funktioniert, weit und breit war von einem Verfolger nichts zu sehen. In der Union Station erstand er eine Fahrkarte für den Amtrak nach New York. Als er drei Stunden später