Immunsystem und Psyche – ein starkes Paar. Anna E. Röcker
was die biologischen Zusammenhänge, Ursachen etc. betrifft, sollten Ärzte und Ärztinnen natürlich zur Verfügung stellen. Dabei sollten sie aber vor allem den ganzen Menschen sehen und ihm als Berater*in zur Seite stehen.
Ich bin sicher, dass der ganzheitlichen Betrachtung, dem biopsychosozialen Modell, für das Prof. Schubert als renommierter Wissenschaftler steht, die Zukunft gehört.
Auf der Basis dieses Wissens möchte ich Sie einladen, mithilfe der Übungen in diesem Buch mehr von Ihren Ressourcen zu nützen, um Ihr Immunsystem zu unterstützen. Ich weiß, dass es nicht ganz leicht ist, Geduld für die vorgeschlagenen Übungen aufzubringen, vor allem wenn nicht sofort Erfolge sichtbar sind. Doch Sie stärken damit die Verbindung zu Ihrem inneren Selbst, die Verbindung zu Ihrer Intuition und entwickeln immer mehr die Bereitschaft, für sich und Ihre Gesundheit Verantwortung zu übernehmen und sich aktiv dafür einzusetzen. Ein indisches Sprichwort sagt, dass es reichlich spät ist, einen Brunnen zu bohren, wenn man Durst hat. In diesem Sinne wäre es wichtig, dem Immunsystem regelmäßig ein wenig Zeit und Energie zu widmen, bevor man körperlich und seelisch aus dem Gleichgewicht gerät.
Eine Besonderheit stellt die Möglichkeit dar, die Anleitung für einige Übungen in diesem Buch auch hören zu können, beachten Sie dazu bitte den Hinweis im Impressum.
1. Kapitel:
Wie Psyche, Gehirn und Immunsystem zusammenwirken
von Prof. Dr. Dr. Christian Schubert
Unser Immunsystem ist ein Teamplayer: Psyche, Gehirn und Immunabwehr arbeiten eng zusammen, sie sprechen eine gemeinsame biochemische Sprache und verfolgen ein übergeordnetes Ziel: uns vor Gefahren zu schützen und gesund zu halten. Sowohl bei der Aufrechterhaltung von Gesundheit als auch bei der Entstehung von Krankheiten wirken Körper und Geist eng zusammen. Es handelt sich um ein ganzheitliches Geschehen.
Das Immunsystem
Jeder äußere Reiz, jeder eingedrungene Erreger, jede kleine Verletzung aktiviert unser Immunsystem, das eigentlich aus zwei Teilen besteht, einem angeborenen und einem erworbenen Teil. Das Immunsystem entwickelt sich bereits im Mutterleib und schützt den Säugling vor der Vielzahl von Mikroorganismen, die es in der Welt erwartet.
Das angeborene Immunsystem
Der angeborene Teil des Immunsystems ist mit einer schnellen und unspezifischen Reaktion unsere erste Abwehrbastion. Das angeborene Immunsystem kann nur zwischen Selbst und NichtSelbst unterscheiden. Wird etwas als fremd erkannt, wird es von diesem entwicklungsgeschichtlich älteren Teil der Immunabwehr innerhalb von Minuten oder Stunden zerstört. Als »Fühler« nach außen hat es spezielle, sogenannte dendritische Zellen unter der Hautoberfläche, die als antigenpräsentierende Zellen fungieren. Weiterhin stehen für diese erste Abwehrfront Monozyten, Makrophagen (Fresszellen), Granulozyten und natürliche Killerzellen zur Verfügung. Mithilfe dieser Immunzellen können Fremdantigene erkannt und beseitigt werden. Außerdem können körpereigene Zellen aufgespürt werden, die aufgrund von Mutationen als fremd bzw. als nicht mehr gesund gelten und ausgemerzt werden müssen. Solch entartete Zellen, die ständig in unserem Organismus gebildet werden, haben das Potenzial, sich bei Anhäufung längerfristig zu Krebs weiterzuentwickeln. Wenn unser Immunsystem kräftig und das Sensorium gut ausgebildet ist, werden diese mutierten Zellen frühzeitig aufgespürt und regelmäßig vernichtet.
Das erworbene Immunsystem
Die Zellen des erworbenen Immunsystems werden aktiv, wenn die potenziell schädlichen Fremdeinflüsse zu stark sind oder ihre Zahl zu groß ist oder aber wenn ein Immungedächtnis gebildet werden soll, um bei erneutem Erregerkontakt spezifisch, schnell und effizient reagieren zu können. Die T-Zellen und B-Zellen des erworbenen Immunsystems ergänzen sich bei der Abwehr feindlicher Mikroorganismen. Alle Immunzellen (weiße Blutkörperchen) entstehen im Knochenmark. Die weitere Differenzierung findet bei B-Zellen direkt im Knochenmark (B für »bone marrow«), bei T-Zellen im Thymus (T für »thymus«) statt.
Die T-Zellen attackieren Körperzellen, die mit Viren oder Mykobakterien (z.B. Tuberkelbazillen) infiziert sind. Bei Viren handelt es sich um intrazelluläre Erreger, die erst durch das Einschleusen ihrer eigenen Nukleinsäure in den Zellkern aktiv werden. Das Virus kann man sich sozusagen als toten Bauplan vorstellen, der zum Leben erwacht, wenn er in das menschliche Genmaterial gelangt und sich dort vermehrt.
Sind Bakterien in den Körper eingedrungen, ruft die erworbene Abwehr B-Zellen auf den Plan. Sie bilden kleine Eiweißteilchen, sogenannte Antikörper, die sich an der Oberfläche der Bakterien anhaften. Damit wird das Bakterium als Fremdkörper sichtbar und kann vom Immunsystem zerstört werden.
Das Immunsystem in seiner Gesamtheit
Eine gute Immunabwehr definiert sich sowohl hinsichtlich der Quantität als auch der Qualität der Zellen und auch dadurch, wie schnell die Immunabwehr hochgefahren und danach wieder rückreguliert werden kann.
Unser Immunsystem in seiner Gesamtheit besteht hauptsächlich aus Organen, Zellen, biochemischen Botenstoffen, humoralen Mechanismen sowie Eiweißen, die von Immunzellen freigesetzt werden (Zytokine).
Die Immunorgane sind Bildungs- und Differenzierungs- sowie Speicher- und Aktivitätsorte für das Immunsystem. Wir unterscheiden dabei primäre lymphatische Organe, wie Knochenmark und Thymus, und sekundäre lymphatische Organe, wie Milz, Lymphknoten und lymphatische Gewebe in Schleimhäuten (z.B. Mandeln im Rachenraum, Peyer-Plaques im Darm). In den sekundären lymphatischen Organen entwickeln sich »naive« B-Lymphozyten zu Antikörper bildenden Plasmazellen und »naive« T-Lymphozyten zu T-Helferzellen, regulatorischen T-Zellen oder zytotoxischen T-Zellen.
Auf die komplexen Immunvorgänge, z.B. bei chronischen Entzündungsprozessen oder allergischen Reaktionen, kann in diesem Rahmen nicht näher eingegangen werden. Detaillierte Informationen hierzu finden sich in Schubert (2015).
An dieser Stelle soll auf eine der wichtigsten Erkenntnisse der Psychoneuroimmunologie hingewiesen werden: Unser Immunsystem macht in seiner Abwehrreaktion keinen Unterschied zwischen einer Gefahr von außen – wie einem Virus oder einem Bakterium – oder einem »Feind« von innen, wie einer entarteten eigenen Zelle, oder einem psychischen Belastungsfaktor. Unser Immunsystem setzt sich ebenso gegen eine körperliche wie eine seelische Verletzung zur Wehr. Der Mensch reagiert ganzheitlich – mit Leib und Seele.
Der Mensch als Ganzes – das biopsychosoziale Paradigma
Die Biomedizin konzentrierte sich bisher weitgehend auf den Körper und dessen biologische Vorgänge. Mit diesem Ansatz ist die Medizin dort, wo akut gehandelt werden muss (z.B. Notfallmedizin), sehr erfolgreich. Dort, wo es um chronische Erkrankungen wie Rheuma, Allergien oder Krebs geht, kommt die Schulmedizin aber oft an ihre Grenzen. Symptome können hier zwar häufig gelindert, aber das Problem nicht ursächlich behandelt werden. Das liegt daran, dass bei chronischen Erkrankungen psychosoziale Faktoren eine maßgebliche Rolle spielen, was einen ganzheitlichen Blick auf den Menschen verlangt. Die Erkenntnis, dass körperliche und psychische Prozesse engmaschig verwoben sind, sollte sich in der Medizin sowohl in der Diagnostik als auch in der Therapie widerspiegeln. Die Psychoneuroimmunologie (PNI), ein noch junges Forschungsgebiet der Psychosomatischen Medizin, kann hierzu Wesentliches beitragen. Ihre Forschungsfragen beziehen sich auf die Wechselwirkungen zwischen Nerven-, Hormon- und Immunsystem und dabei im Besonderen auf die Einflüsse von positiven und negativen psychosozialen Faktoren (z.B. Optimismus, Einsamkeit) auf die Immunfunktion.
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