Immunsystem und Psyche – ein starkes Paar. Anna E. Röcker

Immunsystem und Psyche – ein starkes Paar - Anna E. Röcker


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d.h. wir müssen uns mit einer fordernden Situation, mit der wir konfrontiert sind, auseinandersetzen. Entweder können wir dieses Ereignis bewältigen, oder es übersteigt unsere Coping-Möglichkeiten.

      »Können wir mit der Stresssituation umgehen, sie auflösen, vielleicht sogar innerlich davon profitieren, kann sie zu positivem Stress (Eustress) werden.

      »Wenn die Anforderungen unsere Bewältigungsmöglichkeiten übersteigen und wir uns überfordert fühlen, erleben wir die Situation als Belastung oder als Bedrohung. In diesem Fall kann man von negativem Stress (Disstress) sprechen.

      Sogenannte integrative Einzelfallstudien, die an der Medizinischen Universität in Innsbruck nach biopsychosozialen Forschungskriterien durchgeführt werden, zeigen, dass es in der Reaktion des Stresssystems in Abhängigkeit vom subjektiven Erleben einen klaren Unterschied zwischen positiven und negativen Ereignissen gibt. Dabei geht es um Ereignisse im Alltagsleben der Testpersonen, die positiv erlebt werden, also emotional guttun, und negativen Ereignissen, die bedrücken, verärgern und Disstress auslösen. Die Forschung der Innsbrucker Arbeitsgruppe zeigt, dass die Ereignisse in Abhängigkeit von ihrer emotionalen Valenz unterschiedliche zyklische Immunreaktionen zur Folge haben:

      »Negativer emotionaler Stress ist zuerst mit einem Anstieg der zellulären Immunaktivität und dann mit einem Abfall verbunden.

      »Stress, der emotional positiv berührt, ist erst mit einem Abfall der zellulären Immunfunktion und dann mit einem Anstieg assoziiert.

       Rechtzeitig gegensteuern

      Die Studien zeigen also, dass das Stressgeschehen hochkomplex ist und vor allem individuell unterschiedlich verläuft. Die Stressreaktion hängt neben vielen weiteren Faktoren insbesondere davon ab, wie der Mensch den Stressor subjektiv erlebt, mit welchen persönlichen Themen und Konflikten der Stressor verbunden ist, ob er an bereits erlebte psychische Verletzungen oder traumatische Erfahrungen anknüpft. Das sind ausschlaggebende Aspekte, um bewerten zu können, ob ein Ereignis für eine Person auch wirklich z.B. ein negativer Stressor ist oder nicht.

      Folgende Forschungsfragen sind in integrativen Einzelfallstudien von Bedeutung:

      »Wie funktioniert das Stresssystem der Person?

      »Welchen Rhythmen im Alltag gehorcht es?

      »Welche Ereignisse stellen eine Herausforderung oder Belastung dar, welche werden kaum registriert?

      »Nach wie vielen Stunden oder Tagen verändern sich die jeweiligen Immunwerte in Reaktion auf Alltagsereignisse?

      »Reagieren gesunde Menschen dabei anders als kranke?

      Es ist durchaus sinnvoll, uns immer wieder im Alltag bewusst zu machen, welche Ereignisse negativen Stress ausgelöst haben oder welche Erlebnisse uns positiv stimmen und motivieren. Fest steht, dass chronischer Stress zu den größten Gegenspielern unserer Selbstheilungskräfte zählt (siehe auch ab Seite 49). Maßnahmen zum Stressabbau können hier erfolgreich eingesetzt werden, wobei sich u.a. die Anwendung von Entspannungstechniken oder achtsamkeitsbasierten Meditationsformen, die Bewegung in der Natur, Chorsingen, Musizieren, soziale Aktivitäten und in schwierigeren Situationen psychotherapeutische Interventionen als immunologisch wirksam erweisen.

      Schlaf dich gesund …

      So hieß es zumindest früher im Volksmund. Tatsächlich ist gerade der Schlaf ein hochinteressanter Bereich für die Psychoneuroimmunologie.

      Schlaf ist ein reversibler Zustand, in dem man u.a. auf Außenreize vermindert reagiert. Eine reguläre Schlafeinheit ist in mehrere 90 bis 110 Minuten dauernde Schlafzyklen unterteilt, in denen jeweils eine charakteristische Abfolge von Schlafstadien durchlaufen wird. Immunsystem, Nervensystem und Hormonsystem (das »immuno-neuro-endokrine Netzwerk«) stehen dabei in enger, wechselseitiger Verbindung zum Tag-Nacht- bzw. Schlaf-wach-Rhythmus. Unser Immunsystem erledigt während des Tages und während der Nacht unterschiedliche Aufgaben. Dabei steht es in enger Verbindung mit der zirkadianen Cortisolausschüttung. So liegen z.B. während der Nacht relativ niedrige Cortisolwerte vor. Der Cortisolabfall in der Nacht dürfte primär dazu da sein, dass naive T-Zellen aus dem Knochenmark in die sekundären Lymphorgane (z.B. Lymphknoten) wandern können, wo in der Nacht Informationen, z. B. über eingedrungene Viren, Bakterien oder Pilze (Antigene), immunologisch registriert und ins Immungedächtnis überführt werden. Der Cortisolanstieg in den frühen Morgenstunden dient demgegenüber dazu, die in der Nacht stattfindenden adaptiven Immunmechanismen vor dem Einfluss des Tagesstresses, also der stressbedingten Cortisoleinwirkung, zu schützen und vorübergehend ins Knochenmark zu verlagern.

      Der Tag-Nacht-Rhythmus und unser Wach-Schlaf-Verhalten haben enormen Einfluss auf die Regulierung des immunologischen Gleichgewichts.

      Erholsamer Schlaf ist ein wahrer Gesundheitsbringer und wichtig für die Aktivierung der Selbstheilungskräfte. Was Sie aktiv dafür tun können, erfahren Sie im 4. Kapitel.

      Bewegung – positive Aktivierung für den Körper

      Bewegung stellt einen weiteren Faktor im Netzwerk von Immun-, Nerven- und Hormonsystem dar, der zu einer Erhöhung der Selbstheilungskräfte beitragen kann. Insbesondere Sport kann zu einer positiven Immunsteigerung führen. Das zeigen Studien aus der PNI, die beispielsweise darlegen, dass Menschen, die regelmäßig Sport treiben, seltener Infektionserkrankungen erleiden und eine verbesserte Wundheilung aufweisen. Regelmäßiger Sport fördert nachweislich die natürliche Killerzellaktivität, die unter anderem für die Überwachung und Vernichtung von Krebszellen wichtig ist. Ausschlaggebend ist, dass unsere sportliche Betätigung zu keiner körperlichen Überforderung oder übermäßigen Erschöpfung führt. Die Gefahr einer solchen Überbelastung entsteht, wenn man ständig über die eigenen Verhältnisse hinaus trainiert und die Signale des Körpers (z.B. Schmerzen) nicht wahrnimmt. In einem solchen Fall kann Sport zu negativem Stress führen, also eine Unterdrückung des Immunsystems und eine erhöhte Infektanfälligkeit begünstigen. Die Regeneration nach sportlichen Aktivitäten hat einen hohen Stellenwert. Beachtet man jedoch den Sport-Regeneration-Kreislauf und hört auf die Signale des Körpers, stärkt man durch Sport das Immunsystem nachhaltig.

      Ernährung und Verdauung als wichtige Faktoren für das Immunsystem

      Wenn wir von »guter« Ernährung sprechen, geht es nicht nur um die reine Nahrungsaufnahme und auch nicht allein darum, was wir essen, sondern auch, wie wir unsere Mahlzeiten gestalten. Es macht einen Unterschied, ob wir allein oder mit anderen essen, ob uns das Essen Freude macht und wir es genießen, ob wir dankbar dafür sind. Dabei halte ich ein schnell verschlungenes Essen während eines stressreichen Arbeitstages für genauso wenig nährend wie künstlich veränderte Nahrungsmittel, die kaum mehr das Lebensmittel erahnen lassen, aus dem es gemacht wurde. Grundsätzlich gilt, dass wir so ausgewogen wie möglich essen, mit der Natur und den Jahreszeiten im Einklang und mit Freude genießen sollten. Für Nahrungsergänzungsmittel gilt, dass es sich nur um »Ersatzstoffe« handelt, die keine Lebensmittel in ihrer Gesamtheit ersetzen sollten. Setzt man sich mit der Bedeutung von Ernährung für das Immunsystem auseinander, so ist es wichtig, Faktoren wie Gemeinschaft oder Genuss miteinzubeziehen. Auch im Bereich Ernährung braucht es also einen biopsychosozialen Blick auf das Thema.

       Die Schlüsselfunktion des Darms

      Ein gesunder Darm spielt eine wichtige immunologische Rolle. Wir wissen, dass es eine Verbindung zwischen Darm und Gehirn gibt, eine Verbindung zwischen Darmbakterien (materiell) und Psyche (immateriell). Das Immunsystem dürfte hier eine wesentliche Vermittlerrolle einnehmen.


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