Immunsystem und Psyche – ein starkes Paar. Anna E. Röcker
und Krankheit geht.
»Es gilt anzuerkennen, dass jeder Mensch selbst der Experte für sein Leben und seine Gesundheit ist. Ärzt*innen und Menschen in anderen Gesundheitsberufen sollten dabei helfen und beraten.
1Lutgendorf SK, Russell D, Ullrich P, Harris TB, Wallace R.: Religious participation, interleukin-6, and mortality in older adults. Health Psychol. 2004 Sep; 23(5):465-75. doi: 10.1037/0278-6133.23.5.465.
2. Kapitel:
Selbstheilungskräfte und Spiritualität
Die moderne, wissenschaftlich ausgerichtete Medizinforschung hat sich bislang wenig mit den energetischen, geistigen oder spirituellen Aspekten der Selbstheilungskräfte beschäftigt. Und das obwohl Spiritualität nach meiner Erfahrung die körperlichen, psychischen und sozialen Aspekte der Selbstheilungskräfte nicht nur wirkungsvoll ergänzt, sondern von entscheidender Bedeutung ist. Unter Spiritualität verstehe ich dabei vor allem »Verbundenheit« mit einer Kraft, die in uns, um uns und über uns hinaus wirkt. In uns wirken die psychischen Kräfte und die Intuition, um uns ist es die heilende Kraft der Natur und die wichtige menschliche Gemeinschaft. Darüber hinaus gibt es eine transpersonale Kraft, eine spirituelle oder göttliche Energie, die alles belebt und zu der wir Zugang haben können. Alle Weisheitstraditionen der Welt und alle Religionen haben die Verbindung mit dieser Kraft zum Ziel. Spiritualität kann deshalb innerhalb oder außerhalb einer Religion erfahren und gelebt werden.
Heilung im Spiegel der Geschichte
In allen frühen Heiltraditionen kannte man neben den Heilmitteln aus der Natur und manuellen Behandlungen schon immer die Bedeutung von geistigen Kräften, von Ritualen, von Imagination, von Handauflegen oder von gemeinsamem Gebet für die eigene Heilung oder die Heilung anderer. Gesundheit wurde in der traditionellen Heilkunde immer in Verbindung mit körperlichem, psychischem und sozialem Wohlbefinden verstanden. Wie die Untersuchungen aus dem Bereich der Psychoneuroimmunologie zeigen, gilt das auch für den modernen Menschen: Auch wir brauchen soziale Beziehungen, eine Verbindung zur Natur und Vertrauen in die in uns wirkenden Lebenskräfte, wenn wir gut mit den Herausforderungen und Problemen des Alltags umgehen und gesund bleiben möchten.
Die Bedeutung des harmonischen Flusses der Lebensenergie
Für das Verständnis von Gesundheit und Heilung war in den frühen Heiltraditionen der harmonische Fluss der Lebensenergie von größter Bedeutung. Durch sie befinden wir uns in Beziehung mit der kosmischen Energie, und so galt ihr besondere Aufmerksamkeit. Im Chinesischen wird diese Lebensenergie als Chi-Energie bezeichnet, im Japanischen als Ki-Kraft, im Indischen als Prana-Energie (siehe auch Seite 115). Auch in der alttestamentlichen Vorstellung, dass Gott dem Menschen den Atem eingehaucht hat, können wir diese Beziehung der Lebensenergie des Menschen mit der kosmischen Energie finden. Wie ein großer Energiestrom durchfließt die universelle Lebenskraft alles, was lebt: Menschen, Tiere, Pflanzen, ja die Erde selbst. Viele Methoden, wie Akupunktur oder spezielle Massageanwendungen, Teezubereitungen oder Atemübungen, dienten vor allem dem Ziel, diese Energie in Fluss zu halten oder wieder in Fluss zu bringen. Zeitweise wurden chinesische Ärzte nur bezahlt, wenn sie damit Erfolg hatten und der Patient gesund blieb. Krankheit bedeutet in diesem Verständnis einen gestörten Energiefluss. In der chinesischen Heiltradition genauso wie in der indischen Ayurveda-Lehre (die Lehre vom guten Leben) oder in der Vorstellung der antiken Ärzte, im Verständnis der Mystikerin und Heilkundigen Hildegard von Bingen (1098–1179) oder des Naturheilkundlers und Hydrotherapeuten Pfarrer Kneipp (1821–1897) ist im Falle einer Krankheit das Ziel der therapeutischen Bemühung zunächst, die Ursache für diese gestörte Lebenskraft zu finden.
Ganzheitlichkeit oder das frühe »biopsychosoziale« Konzept
Die eingesetzten Methoden dienten dazu, die Lebensenergie wieder in Balance und ins Fließen zu bringen. Der ganze Mensch sollte dadurch wieder ins Gleichgewicht kommen – auf körperlicher, seelischer und geistiger Ebene. Man könnte also sagen, dass es schon sehr viel früher ein »biopsychosoziales« Konzept gab, wie es Prof. Schubert im vorherigen Kapitel beschrieben hat, bei dem es um die Einbeziehung aller Bereiche des Lebens geht.
Zu den therapeutischen Methoden der überlieferten traditionellen Heilverfahren zählten u.a.:
»Ernährungsempfehlungen
»der Einsatz von Heilpflanzen und Substanzen aus der Natur
»der Einsatz von Edelsteinen
»Wasseranwendungen
»Bewegung und manuelle Therapien
»heilende innere Bilder
»Affirmationen
»Licht und Farben
»Gebete
»eine heilende Gemeinschaft oder heilige Orte
Auch der achtsame Umgang mit Gedanken und Gefühlen spielte bei diesen Heilverfahren eine wichtige Rolle.
Lediglich ein Symptom zu beseitigen würde in diesem Verständnis bedeuten, dass sich die gestörte Lebenskraft über kurz oder lang ein anderes Ventil suchen, dass sie ein anderes Symptom produzieren würde.
Altes Wissen weiterpflegen
Auch aus unserem Kulturkreis kennen wir eine Fülle von Heilmethoden und Heilmitteln, die sowohl der Stärkung des Immunsystems dienten als auch zur Therapie von Krankheiten eingesetzt wurden und die sich über Jahrhunderte bewährt haben. Verweisen möchte ich dabei auf die von Samuel Hahnemann begründete Homöopathie oder auf die Spagyrik, die auf den Erkenntnissen der Alchemie basiert. In diesem alchemistischen Modell ist sowohl die Herstellung des Heilmittels von besonderer Bedeutung als auch der/die Heiler*in oder Therapeut*in. Ähnlich wie später in der psychoanalytischen Arbeit gefordert, müssen sich Therapeut*innen selbst den eigenen Entwicklungsprozessen stellen, an ihren Schatten arbeiten und den eigenen wichtigen Lebensfragen stellen, um sich einem anderen Menschen zuwenden und ihn in der Tiefe verstehen zu können.
Ich sehe es als großen Glücksfall an, dass altes Wissen aus unserer und auch aus anderen Kulturen vor allem durch Heilpraktiker*innen und Heiler*innen über die Zeit weitergetragen und gepflegt wurde. Dieser große Weisheitsschatz, der heute auch in der Komplementärmedizin wieder ein Stück weit Einzug findet, stellt einen unschätzbaren Wert dar.
Aus dem weiten Feld der Heiltraditionen möchte ich an dieser Stelle einen Blick auf die Praxis der Schamanen als älteste Heilerfiguren werfen.
Schamanen – die ältesten Heiler
Schamanen gelten als die frühesten bekannten Repräsentanten menschlicher Heilkunst. Heute hat sich der Begriff Schamane weltweit für religiös-medizinisch tätige Menschen durchgesetzt, die sich auf alte Traditionen berufen. Viele Zeugnisse schamanischen Wirkens kennen wir aus Südamerika, Afrika und Asien sowie von den Ureinwohnern Nordamerikas. Man könnte sie als Wanderer zwischen den Welten bezeichnen. Im Laufe ihrer verschiedenen Einweihungen lernen sie, aus dem Körper herauszutreten, um in die »andere« Welt einzutreten, die der normale Mensch nach dieser Vorstellung erst nach dem Tod kennenlernt.
Berühmt sind Schamanen für ihre einzigartige Fähigkeit, in einer willentlich herbeigeführten und kontrollierten Trance Diagnosen zu stellen, die Ursachen einer Krankheit herauszufinden und Heilrituale durchzuführen.
Vorbeugen und »das, was uns fehlt«, integrieren
Bei