Seewölfe Paket 12. Roy Palmer

Seewölfe Paket 12 - Roy Palmer


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      Hasard benannte inzwischen den kleinen Landtrupp, der unter seiner Führung zur Sandbank hinüberpullen sollte.

      Außer Ed Carberry waren diesmal Stenmark, Matt Davies und der schwarze Herkules Batuti mit dabei.

      Ferris Tucker, der sich während des gestrigen Landausfluges ebenfalls mit dem gefährlichen Mohrenkaiman herumgeschlagen hatte, wurde noch an Bord der „Isabella“ gebraucht, um die Holzschäden auszubessern, die während des Piratenangriffs an der Balustrade zwischen Back und Galionsdeck entstanden waren.

      Philip und Hasard, die Zwillinge, hatten sich inzwischen an ihren Vater herangepirscht.

      „Dad“, sagte Philip junior mit hoffnungsvollem Blick, „hast du nicht einmal gesagt, daß es nicht genügt, seinen Kopf nur mit vielen Theorien vollzustopfen, sondern daß man vor allem auch die Praxis kennenlernen muß?“

      Für einen Moment sah der Seewolf seinen Sprößling irritiert an. „Ja – ja, natürlich, du hast recht. Aber was bezweckst du mit dieser Frage?“

      „Nun ja“, erklärte Philip junior, „Mister Brighton hat uns gestern erzählt, daß es hier viele Tiere gibt. Ich meine, außer dem riesigen Krokodil, mit dem ihr gekämpft habt. Und da dachten wir, daß wir – nun ja, wir könnten uns natürlich entsprechend bewaffnen …“

      „Aha!“ sagte Hasard. „Daher also weht der Wind, von wegen Theorie und Praxis. Tut mir leid, ihr beiden, auf die Praxis werdet ihr heute noch mal verzichten müssen. Die werdet ihr noch früh genug kennenlernen. Wenn wir da rüberpullen, dann ist das eine Fahrt ins Ungewisse. Wir haben keine Ahnung, was dort drüben geschehen ist und was uns dort erwartet. Vorerst brauchen wir zwei starke Männer wie euch noch dringend hier an Bord. Was ist, wenn noch einmal ein Piratenschiff hier auftaucht? Mister Brighton ist dann auf jeden Mann an Bord angewiesen, auch auf euch, zumal er euch schon einmal an den Drehbassen eingesetzt hat.“

      Im ersten Augenblick zeigten die beiden Zehnjährigen ein enttäuschtes Gesicht. Aber dann, als sie die Worte ihres Vaters, der von starken Männern und von Drehbassen sprach, verdaut hatten, blickten sie plötzlich stolz in die Runde. Daß sie auch nicht eher darauf gekommen waren! Klar, daß sie an Bord der „Isabella“ gebraucht wurden. Völlig logisch, was sollte sonst Mister Brighton ohne sie nur anfangen?

      „Aye, aye, Sir!“ sagten die beiden wie aus einem Munde, und damit war der Fall vorerst erledigt.

      Philip Hasard Killigrew nahm als Bootsführer auf der achteren Ducht des Beibootes Platz, nachdem der kleine Trupp von der „Isabella“ abgeentert war. Die übrigen Männer legten sich kräftig in die Riemen.

      „Ob wir heute wohl mehr Glück haben als gestern?“ fragte Ed Carberry. Seine Augen glitten dabei über die glitzernde Wasserfläche.

      „Auf den ersten Anhieb wohl kaum“, meinte Hasard. „Aber heute steht uns wesentlich mehr Zeit zur Verfügung, in der wir uns auch die weitere Umgebung des Wracks etwas näher ansehen können.“

      Auch der blonde Stenmark und Matt Davies, ein kräftiger Mann, dessen Haare durch ein schreckliches Erlebnis mit Haien vorzeitig ergraut waren, brannten darauf, die mysteriöse Stätte dort drüben auf der Sandbank kennenzulernen.

      Gleich ihrem Kapitän und dem Profos waren auch sie schwer bewaffnet. Der gestrige Angriff des Mohrenkaimans war für alle ein Warnsignal gewesen, das in höchst gefährlicher Weise daran erinnert hatte, wie ernst die vielfältigen Überraschungen und Gefahren des Dschungels genommen werden mußten.

      Matt Davies, dessen fehlende rechte Hand durch eine von Ferris Tukker angefertigte Spezialmanschette ersetzt worden war, die unten in einem Metallring mit spitzgeschliffenem Haken auslief, sah dadurch furchterregend aus. Und gar mancher, der im Nahkampf mit dieser recht vielseitig verwendbaren Prothese Bekanntschaft geschlossen hatte, konnte bestätigen, daß dieser Eindruck nicht fehl am Platze war.

      In gleichmäßigem Rhythmus tauchten die Riemen ins Wasser und brachten das Beiboot der „Isabella“ immer näher an die Sandbank heran. Deutlich war bereits das Mangrovendickicht zu erkennen, das sich im Hintergrund fast bis an das Wrack heranschob.

      In unmittelbarer Nähe des Wracks mündete ein kleiner Fluß, der höchstens eine Kabellänge, also zweihundert Yards, breit war. Das war nicht viel im Vergleich zu den gewaltigen Strömen, die sich, wie beispielsweise der noch etliche Seemeilen entfernte Rio Tocantins, in die Baja de Marajo ergossen.

      Hasard blickte als erster wie erstarrt zu der Galeone hinüber, von der nur noch das Spantengerippe übriggeblieben war.

      Ed Carberry, Batuti, Matt Davies und Stenmark folgten seinem Blick, dann huschte ein erstaunter Ausdruck über ihre Gesichter. Vergeblich versuchten sie, die Skelette durch das Gerippe des Wracks, dessen Beplankung vollständig fehlte, zu entdecken. Sie waren verschwunden, ganz einfach weg, als wären sie nie dagewesen.

      Der Profos fand als erster die Sprache wieder.

      „Ich weiß genau“, sagte er, „daß ich heute noch keinen einzigen Schluck Rum getrunken habe. Und ich werde auf der Stelle des Teufels Großmutter heiraten, wenn dort drüben auch nur noch ein einziger Knochenmann auf dem Kielschwein hockt.“

      Nachdem die erste Verblüffung vorbei war, sagte der blonde Stenmark: „Schade, Ed, daß aus dieser Hochzeit nichts wird. Ich hätte zu gern als Brautjungfer teilgenommen. Aber dort drüben ist wirklich kein einziges Skelett zu sehen.“

      Das Boot war inzwischen an der flachen Sandbank angelangt. Nachdem sich die Männer vergewissert hatten, daß im Moment zumindest keiner der gefährlichen Mohrenkaimane zu sehen war, sprangen sie in das niedrige Wasser und zogen das Boot ein Stück auf den Sand.

      Wenig später standen sie, Musketen in der Hand und Pistolen und Entermesser im Gürtel, vor dem Gerippe, das einmal eine Galeone zusammengehalten hatte.

      Es war tatsächlich kein einziger Knochen mehr zu sehen. Dort, wo am Vortag noch ein gutes Dutzend Skelette, die alle ziemlich klein gewesen waren, auf dem Kielschwein gesessen hatte, herrschte jetzt gähnende Leere.

      „Die können doch nicht von selber weggelaufen sein“, ließ sich der grauhaarige Matt Davis vernehmen. „Vielleicht hat sie das Wasser fortgespült?“

      Hasard schüttelte den Kopf. „Das ist unmöglich, dazu ist es viel zu flach. Selbst die Flut hat gestern das Wrack nur zwei Handbreiten unter Wasser gesetzt. Das reicht natürlich nicht aus, um die Skelette oder gar das Wrack wegzutragen. Die Reste der Galeone müssen deshalb schon sehr lange am selben Platz liegen, und auch die Skelette waren sicherlich schon längere Zeit hier.“

      „Also müssen die Skelette geholt worden sein“, stellte der Profos fest. „Aber von wem?“

      „Es bleibt nur die Schlußfolgerung, daß sie in der Nacht von Indianern oder Buschmännern abgeholt worden sind“, sagte Hasard und legte nachdenklich die Stirn in Falten. „Es müssen Skelette von Eingeborenen gewesen sein“, setzte er noch hinzu, „zumindest wenn man die Größe in Betracht zieht. Vielleicht hat man uns gestern beobachtet und befürchtet, daß wir die Ruhe der Toten stören könnten, wer weiß.“

      Stenmark blickte sich unwillkürlich um. „Das heißt also, daß wir hier mit Indianern oder Buschmännern rechnen müssen.“

      Hasard nickte. „Ich nehme es an. Übrigens, Sten und Matt, ihr beide habt doch in der vergangenen Nacht Wache gehabt. Ist euch da nichts aufgefallen?“

      Die beiden Männer blickten sich einen Moment fragend an und schüttelten dann die Köpfe.

      „Nein“, sagte Stenmark, „mir ist absolut nichts aufgefallen. Es war zwar nicht gerade stockfinster, aber trotzdem habe ich bei der Entfernung keine einzige Bewegung hier auf der Sandbank bemerkt.“

      „Ja, und hören konnte man natürlich auch nichts“, pflichtete ihm Matt Davies bei. „Denn gerade nachts ist der ganze Klamauk, der vom Urwald bis zum Schiff herüberdringt, ohrenbetäubend.“

      Gesehen hatte auch er nichts.

      „Wie dem auch sei“, sagte


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