Seewölfe Paket 1. Roy Palmer
Bootsmann grinste. „Was heißt Hackfleisch?“
„Picadillo.“
„Wenn du das sagst, mit den Augen rollst und das Enterbeil schwingst, dann weiß jeder Don, was die Glocke geschlagen hat. Gefangennehmen heißt übrigens hacer prisionero.“
Hasard wiederholte es. Er lernte leicht und schnell. Ben Brighton staunte.
„Sag mal, hast du bei Sir John schon Spanisch gelernt?“
„Nicht die Bohne. Warum?“
„Das geht so flüssig, als sei Spanisch deine Muttersprache.“
„Jetzt hör aber auf, Ben.“
„Verzeihung.“
„De nada“, sagte Hasard und grinste. „Keine Ursache. Vielleicht habe ich ein besonderes Ohr für die spanische Sprache. Ich finde sie übrigens sehr klangvoll. Viel eleganter als unser Geknautsche. Wir kauen auf den Worten herum wie auf einer Speckschwarte.“ Er schaute zur Sonne hoch. „Ich schätze, in drei Stunden sollten wir die Pumpe bemannen und schon mal so tun, als seien wir schwer damit beschäftigt, unsere Bilge leer zu kriegen. Wenn es dunkelt, drehen wir einfach bei und rufen nach Verstärkung. Ferris soll dann auch die Entermannschaft aufstellen und die Männer informieren. Zum Entern werde ich acht Männer mit hinübernehmen. Mit Ferris und mir sind wir dann zehn. Kommst du für diese Zeit mit dem Rest aus?“
„Sicher, Hasard. An und für sich brauche ich nur jemanden, der unsere Dons bewacht.“
„Das schon, aber Pete und Gary kannst du noch nicht mitrechnen, allenfalls vielleicht Pete. Aber das möchte ich nicht. Ohne die beiden hast du also drei Männer zur Verfügung. Einer geht die Wache im Unterdeck – bleiben dir zwei.“ Er lächelte knapp. „Wenn uns die Dons drüben auf der ‚Barcelona‘ in die Pfanne hauen, stehst du schön da, Ben.“
Völlig unerschüttert sagte Ben Brighton: „Dann hauen wir euch wieder heraus.“
„Und wie?“
„Sobald ich so etwas merke, gehe ich mit der ‚Santa Barbara‘ bei euch längsseits und greife mit ein.“
Hasard nickte. Dann sagte er: „Ich weiß übrigens, wie stark die Besatzung da drüben ist – dreißig Männer. Der Capitan hat es mir unfreiwillig verraten. Bleibt also abzuwarten, wie viele uns Capitan Descola zum Pumpen zur Verfügung stellt.“
„Verdammt“, sagte der Bootsmann plötzlich.
„Was ist?“
„Wenn alles klappt, haben wir vierzig spanische Gefangene. Ich würde lieber ’n Sack Flöhe hüten.“
„Ich auch. Was würde denn Kapitän Drake in einem solchen Fall tun?“
„Was Carberry tun würde, weiß ich. Er würde dafür sorgen, daß der Kapitän dieser Sorgen enthoben wäre und die Fische was zu fressen hätten.“
„Nein“, sagte Hasard hart, „für eine solche Kampfführung habe ich nichts übrig. Wenn sie sich ergeben, sollen sie die Chance haben, am Leben zu bleiben. Ich lehne es ab, Wehrlose niederzumetzeln. Carberry ist ein guter Mann, aber brutal. Wenn der Kapitän seine Handlungsweise duldet, ist das seine Sache. Bei mir dürfte es Carberry nicht tun.“
„Aber wohin mit den Gefangenen? Willst du sie bis Plymouth mitnehmen?“
Hasard schüttelte den Kopf. „Wir laufen die Azoren an und setzen sie dort an Land. Dann kann Ferris sich auch gleich nach einem neuen Fockmast umsehen.“
„Das wäre eine Lösung“, sagte der Bootsmann.
Allmählich neigte sich die Sonne auf ihrer Bahn. Hasard ließ Ferris Tucker wecken und informierte ihn über ihre weiteren Pläne.
„Sorg dafür, daß die Entermannschaft bis an die Zähne bewaffnet wird, Ferris. Wen du für die Entermannschaft aussuchst, überlaß ich dir. Nur Donegal Daniel O’Flynn wird nicht dabeisein.“
Dan, der von Blacky als Ausguck abgelöst worden war, hörte mit und maulte.
„Du setzt mich dauernd zurück, Hasard“, sagte er wütend.
„Das ist keine Zurücksetzung, Dan“, erwiderte Hasard ruhig. „Ich brauche deine guten Augen. Wenn wir drüben mit den Dons kämpfen, wirst du nichts weiter tun, als uns zu beobachten, soweit das bei der Dunkelheit möglich ist. Wenn wir die Dons nämlich nicht in den Griff kriegen, muß Ben eingreifen. Das heißt, er wird mit euch bei der ‚Barcelona‘ längsseits gehen, und dann kannst du dich immer noch auf die Spanier stürzen. Ob er aber rechtzeitig eingreift, das hängt einzig und allein von deinen Augen ab. Hast du das kapiert?“
„In Ordnung“, sagte das Bürschchen.
„Wie viele Männer soll ich aussuchen?“ fragte Ferris Tucker.
„Acht. Mehr wäre mir auch lieber, aber es geht nicht anders. Wir brauchen eine Eingreifreserve, und die Gefangenen hier an Bord müssen auch bewacht werden. Erklär den Männern unseren Plan. Dann laß die Pumpe besetzen, aber die Männer sollen sich keinen abbrechen und nur Theater spielen. Wenn die Dons später zu uns herüberpullen, wird nur eine Jakobsleiter ausgebracht. Dann entern sie einzeln, und wir können sie auch einzeln schlafen legen. Sie müssen sofort gefesselt und sicherheitshalber auch geknebelt werden. Laß also genug Riemen oder Tampen heranschaffen. Selbstverständlich bleiben wir alle spanisch kostümiert.“
„Aye, aye“, sagte Ferris Tucker und rieb sich die riesigen Pranken. „Ich bin schon ganz wild darauf, den Dons eins überzubraten. Wie entern wir? Achtern über die Heckgalerie?“
„Nein. Dort, wo sie ihre Jakobsleitern ausgebracht haben. Wenn wir achtern rangehen, könnten sie Verdacht schöpfen.“
„Richtig. Aber dann stoßen wir sofort zum Achterkastell vor, nicht wahr?“
„Ja. Und ich hoffe, daß wir Capitan Descola auf Anhieb erwischen.“
„Was willst du für Waffen haben?“
„Ich hab hier die zwei Pistolen.“ Hasard überlegte und sagte dann: „Gib mir den Stoßdegen von unserem Capitan.“
„Kannst du denn mit so einem Piekser umgehen?“ Dem Schiffszimmermann rutschte das so heraus, und er sagte schnell: „Verzeihung, Sir.“
„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, Ferris.“ Hasard zeigte sein Raubtiergebiß. „Meine Gegenfrage lautet: Kannst du denn mit so einem Ding fechten?“
„Nein. Ich bin doch nicht verrückt!“
„Falsch“, sagte Hasard, „und weißt du, warum?“
Der rothaarige Riese blickte den Seewolf konsterniert an. Sie waren beide gleichgroß, aber Hasard wirkte schlanker und geschmeidiger. Der Riese schüttelte den Kopf. „Nein, das weiß ich nicht.“
„Mit was wirst du kämpfen, Ferris?“
„Mit ’ner handfesten Spake.“
Hasard peilte zu der „Barcelona“ hinüber, blickte den Riesen wieder an, deutete auf den Winkel, der vom Backbordschanzkleid und der Vorkante des Achterkastells gebildet wurde und sagte: „Hol Spake und Stoßdegen. Ich werde es dir dort zeigen.“
Drei Minuten später war Ferris Tucker zurück, unter dem rechten Arm einen Prügel von Spake, in der linken Hand den Stoßdegen Capitan de Pordenones. Er hielt ihn, als sei er giftig oder zumindest ein Ding, das man nur mit der Kneifzange anfassen konnte.
Hasard nahm den Degen, prüfte die schmale Klinge, bog sie, ließ sie zurückschnellen und sagte: „So, Ferris, jetzt lern deine Lektion.“ Er stellte sich genau in den Winkel des Schanzkleides und der Querwand des Achterkastells, senkte den Degen und blickte den Riesen an. „Schlag zu!“
„Aber ...“
„Schlag zu, Ferris Tucker, oder hast du Angst?“
Angst? Ein Ferris